Jahreswechsel

Silvester

Ich geriet mit der Hand in den Deckenventilator, aber egal. In dieser Nacht war ich unsterblich

Von Selim Özdogan

Erste Freundin, erste Exzesse, erste existentiell wirkende Verzweiflungen, erste Worte auf Papier, ich war siebzehn, mein Leben chaotisch genug, dass ich dachte, es sei abenteuerlich und unerträglich zugleich. Auf der privaten Silvesterparty jenes Jahres war ich angenehm angeschickert. Wahrscheinlich ein wenig mehr, als nur angeschickert. An diesem Abend lief ein Stück, in dessen Refrain es hieß: I see people fighting for freedom. Ich weiß nicht mehr, von wem es ist oder wie es heißt. Wir mochten die Kraft dieses Lieds und es lief so einige Male in dem frei geräumten Wohnzimmer.

Natürlich muss man bei so einem Chorus die Faust beim Tanzen siegreich in die Luft strecken. Dass da oben dann mit meiner Hand etwas passierte, das nicht vorgesehen war, begriff ich. Aber nicht, was genau geschah.

Hinterher fühlte sich meine Hand wärmer an, als sie sollte. In meinem vernebelten Zustand brauchte ich so einige Zeit um zu verstehen, dass das Warme Blut und ich mit meiner Hand in den Deckenventilator geraten war.

Die Gastgeberin hatte kein Pflaster und ich begnügte mich mit Klopapier, um die Blutung zu stillen.

Um zwölf stand die gesamte Party auf der Straße und da war ein Typ, der an einem Stromkasten lehnte und die Hand in Klopapier eingewickelt hatte. Auch der Ventilator, stellte sich heraus und wir wurden in sieben Sekunden dicke Freunde. In betrunkenem Überschwang fiel ich auch allen anderen in die Arme und freute mich des Lebens.

Dass ich später auf dem Speicher des Hauses stand und sich der Mantel über dem Hintern meiner Freundin teilte, war nicht mal mehr die Krönung, sondern angenehmes Beiwerk. In dieser Nacht war ich unsterblich, jung, stark, übermütig und randvoll angefüllt von der Überzeugung, dass das nächste Jahr das beste meines Lebens sein würde.

Mein Leben ist seither stetig besser geworden. Aber alle anderen Silvester hinterher waren schlechter. Viel schlechter. Bestenfalls nicht der Rede wert.

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Nach Hause - Zuender. Das Netzmagazin

52 / 2006
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