Kolumne

Titten glotzen

Selim ist im Freibad und liest. Was dann passiert, ist nicht seine Schuld. Aber schwer zu erklären.

Von Selim Özdogan

Es ist voll auf der Liegewiese dieses Madrider Freibads, aber nicht ganz so voll, dass man sich so nah zu mir legen müsste. Zwei Frauen platzieren ihre Handtücher so, dass ich nur von meinem Buch hoch zu schauen brauche, um die dunklen Rillen in der aufgerauhten Ferse der einen einzeln zählen zu können. Diese Stelle, die man den ganzen Sommer über nicht ganz sauber kriegt, wenn man viel in Flipflops oder barfuss herumläuft.

Die beiden unterhalten sich laut und ausgiebig in einer slawischen Sprache und ich setzte mich auf und betrachtete sie kurz. Beide sind gebräunt, tragen Sonnenbrillen, die nicht so richtig in ein Schwimmbad passen, sondern eher zu schicken Kleidchen. Der Bikini der Dünneren ist orangefarben, die andere ist immer noch schlank und hat einen grünen. Ich versuche im Sitzen weiter zu lesen, während die beiden weiterreden. Ist immerhin eine fremde Sprache, ich kann das wegschalten, ich muss da nicht zwanghaft zuhören.

Nach über eine Stunde zieht die in dem grünen Bikini ihr Oberteil aus. Zum Vorschein kommen zwei gebräunte Brüste, die in meinen Augen kaum einen Reiz haben. Aber ich gucke trotzdem etwas zu lange drauf. Sie merkt es und ist sofort angepisst: Interesting, isn't it? keift sie mich an.

Natürlich bin ich unangenehm berührt, versuche mir das nicht anmerken zu lassen, schaue ihr ins Gesicht, deute ein geringschätziges Lächeln an - hoffe ich zumindest - und sehe dann weg.

Eigentlich eine falsche Reaktion. Zuerst legst du dich mit deinen Füßen in meine Nase und redest die ganze Zeit in einer unnötigen Lautstärke, aber vergessen wir das. Über eine Stunde lang hast du dein Bikinioberteil an und auf einmal, ohne erkennbaren Grund, ziehst du es einfach aus, wie du es offensichtlich schon oft getan hast. Und dann fährst du mich so an. Na klar ist das interesting, einfach weil ich es nicht verstehe. Kein Grund sich was auf die Brüste einzubilden und dem Wahn zu verfallen, ich würde mich an deren Anblick aufgeilen. Aber erklär das mal.

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Nach Hause - Zuender. Das Netzmagazin

34 / 2006
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