Kolumne
Sonnenklar
Selim Özdogan erklärt den Handke-Streit in zwei Sätzen und sagt, wie viel er davon hält. Nämlich eher wenig. "Passen die Schuhe vergisst man die Füße" – die Zuender-Kolumne
Zugegeben, ich habe wenig Ahnung von den meisten Sachen. Zeitung lese ich eher selten und wenn, dann meistens nur den Kulturteil, doch meine Bildung reicht um Feuilleton dazu zu sagen. Aber wirklich begreifen tue ich das meiste nicht.
Wenn im Feuilleton Theorien aufstellt werden, über der Herrschaft der Alten, über die Befindlichkeit einer Generation, über die Zunahme von Gewalt im täglichen Leben, über die Psychologie von islamistischen Fundamentalisten, wenn dort Trends in der Kulturlandschaft scharfsichtig erkannt und scharfsinnig erklärt werden, dann wird oft bewusst der Eindruck erweckt, der Schreiber hätte etwas verstanden, sei zu einer tiefen Einsicht gelangt, die man kaum mehr in Frage stellen kann.
Dabei habe ich das Gefühl, dass hier nur eine weitere Meinung abgedruckt ist. Es gibt andere Theorien, die mir genauso einleuchten und man kann fast immer auch einen gegenteiligen Trend ausmachen kann. Aber die Dinger wirken eh nicht, als seien sie geschrieben, um zu diskutieren, sondern um zu belehren.
Wenn es dann aber nichts zu diskutieren gibt, zumindest in meinen Augen, gibt es zahlreiche Artikel, großes Bohei und Diskussion eben. Wie gerade bei Peter Handke, der einen Literaturpreis abgelehnt hat, weil man überlegt hat, ihn ihm aus politischen Gründen nicht zu geben.
Zwei Dinge, die man trennen könnte, wenn man sonst auch so messerscharf rationalisiert und argumentiert: Literatur und Politik. Oder sogar noch mehr: Literatur und Leben. Der zu vergebende Preis war ein Literaturpreis, es geht um die Qualität dessen, was jemand schreibt. Alles andere, ob er politisch fragwürdige Ansichten vertritt, zu Hause seine Frau schlägt, das Bier immer noch mit den Zähnen aufmacht oder soviel raucht, dass er zwei Feuerzeuge am Tag verbraucht, ob jemand verbotene Phantasien auslebt oder sein Ego so groß ist, dass selbst ein Gespräch über das Wetter in einen Monolog ausartet, interessiert nicht.
Von Knut Hamsun, über Louis-Ferdinand Céline, Ezra Pound, Roman Polanski bis hin zu Axl Rose und Buju Banton, hat es immer Künstler gegeben, die in den Augen der Öffentlichkeit und in den Augen der Feuilletonschreiber das Falsche gesagt oder getan haben. Kann sein. Ändert nichts an dem Werk dieser Menschen. Es gibt einen Autor, den ich sehr gerne lese, obwohl ich weiß, daß er seine Frau geschlagen hat. Meine moralische Überlegenheit befähigt mich nicht dazu, auch literarisch überlegen zu sein.
Doch solche Sachen werden diskutiert, während alle sich einig sind, dass es so etwas wie die Generation Golf gibt. Ich raffs nicht, ehrlich.
20 /
2006
Zuender