Selim Özdogan
An Straßenecken
Passen die Schuhe, vergisst man die Füsse: Selim Özdogan über immer gleich schlimme Handlungsmuster bei Bettlern und Angesprochen
Ne, dem geb ich nichts, der gibt das sowieso nur für Alkohol aus. So oder so ähnlich hört man den Satz ja schon mal als Begründung dafür, daß jemand dem bettelnden Obdachlosen, Flüchtling, Punk oder wasauchimmer kein Geld gibt. Und schlimmstenfalls kauft derjenige ihm etwas zu essen, weil er ja helfen will und trotzdem sicher gehen, daß die Münzen nicht in billigem Fusel angelegt werden.
Das hat mir noch nie eingeleuchtet. Entweder man gibt Geld oder man gibt keines. Man wird ja um Geld angebettelt und nicht um Brötchen oder Bananen. Und wenn ich jemanden Geld gebe, dann ist das sein Geld und er kann damit machen, was er will, wie ich auch. Zu mir kommt auch keiner und sagt, du bekommst nur ein Honorar, wenn du nicht schon wieder CDs dafür kaufst. Daß jemand keinen Gegenwert für das erhaltene Geld liefert, also keine Leistung bringt, kann doch nicht heißen, daß ich darüber entscheiden darf, wie er es ausgibt. Was für eine Überheblichkeit, diesen Menschen Vorschriften machen zu wollen, das sind doch keine kleinen Kinder.
Genauso seltsam finde ich diese Schnorrer, die einem immer noch einen schönen Tag wünschen, auch wenn man nichts gibt. Die sich aber darüber mokieren, wenn man achtlos an ihnen vorübergeht, anstatt freundlich zu sein, wie sie es auch ja auch sind. Sie legen dann ein Gebaren an den Tag, als würde ich mich für etwas Besseres halten, weil ich es nicht nötig habe, ihren Wunsch zu erwidern oder sonst eine Reaktion zu zeigen. Aber verdammt, ich bin nicht dazu verpflichtet, mich mit jedem kurz auseinanderzusetzen, der an einer Straßenecke steht. Diese Leute sind nur freundlich zu mir, weil sie etwas von mir wollen. Das ist keine echte Freundlichkeit und ich fühle mich so frei, sie zu ignorieren.
20 /
2006
ZEIT ONLINE