Kolumne
Diese Welt ist nur zum Anfassen
Passen die Schuhe, vergisst man die Füße
Wir sitzen in einem alten Taxi auf ausgeleierten Sitzen und schweigen. Aus den Boxen, die wahrscheinlich das neueste an diesem Taxi sind, dringen Korangesänge, die der Fahrer etwas leiser gestellt hat, nachdem wir eingestiegen sind. Wohin man sieht, nur Autos mit arabischen Kennzeichen, aber keine Bürgersteige und keine Fußgänger auf dieser Überbrückungsstraße, die mal gebaut wurde, um den Verkehr zu entlasten. Draußen mischt sich der Smog mit dem ersten zarten Dunkel der Dämmerung. Wie die letzten Tropfen Honig, die nicht vom Löffel wollen, schleppt sich der Verkehr dahin und wir mittendrin, man könnte sich gefangen fühlen oder verbunden mit all den anderen. Man könnte es romantisch finden, schrecklich, beruhigend, entspannend, zermürbend. Ich könnte vielleicht Worte dafür finden, wenn es mir real vorkäme. Doch es ist so unwirklich sich durch diesen Verkehr zu bewegen, den man hinzunehmen hat, wie eine Naturgewalt, während die Konturen langsam verschwimmen und die Sicht reduziert wird auf Rücklichter und buntes Blech. Endlos viel davon, man kann das Ende der Überbrückungsstraße nicht sehen. Und ein Navigationssystem könnte uns wahrscheinlich auch nicht erfassen, weil irgend etwas gerade nicht existent ist. Wir oder die Welt da draußen, oder beides. Doch ich glaube, es ist die Welt. Sie ist eine Kulisse, so absurd, daß sie sich jemand ausgedacht haben muß. Das ist sie wahrscheinlich immer, aber oft genug lasse ich mich gefangen nehmen vom Bühnenbild und es fällt mir nicht auf.
04 /
2006
ZEIT ONLINE