Elektronik

Zupfgeigenhansel im Kirschblütenhain

Für sein neues Guitar-Album braucht Computerjockey Michael Lückner nicht viel mehr als einen Laptop und ein paar hübsche Koto-Samples. In seinen Händen ergibt das eine Zeitmaschine: Aus einem Herbst in „Tokio“ hat er die perfekte Frühlingsplatte gezaubert

Von Michael Wolf

Ein großes Gitarrenrevival beherrscht zunehmend die digitale Anhörmusik. Der utopische Datenmaterialismus abstrakter Clicks und Glitches, mit dem man sich in den Neunzigern vom Analoggerätefetischismus des Techno abgrenzte, scheint rückblickend bereits zu einer bloßen Fingerübung degradiert. Allenthalben zupft, tappt, klopft und feedbackt es nun, als ginge es darum, aus sicherer Distanz die Wiedergeburt des Rock auf dem Laptop zu begleiten. Von den regressiven Elektrofolkismen, in die so was allzu oft abgleitet, heben sich Michael Lückners Guitar-Alben durch ihre konzeptuelle Klarheit ab. „Sunkissed“ knüpfte an den Sound von My Bloody Valentine an und konstruierte eine Art virtuelles Nachfolgealbum für deren Letztlingswerk „Loveless“. „Honeysky“, eine Platte, von der niemand weiß, ob sie überhaupt existiert, weil sie angeblich nur in Japan erschien, soll Slide-Gitarren und Banjo-Klänge des Westens ins Land des Lächelns transferiert haben. Die Richtung ist klar: Es geht ums Zerschneiden und nichtlineare Neuaufschichten von Raum- und Zeiterfahrungen. So ist es nur folgerichtig, wenn „Tokyo“, das auf einen Japanaufenthalt Lückners im Herbst 2004 zurückgehen soll, nun hierzulande den perfekten Soundtrack zum Frühjahr 2006 liefert: Da ist ein pentatonisches Kreisen, ein zartes Flirren und Schweben, das noch in der ranzigsten Studenten-WG-Küche Kirschblüten treiben lassen wird. Für den Niedlichkeitsfaktor sorgt Ayako Akashiba, die auch schon bei „Sunkissed“ dabei war. Auf „Tokyo“ ist ihr Gesang angenehm zurückhaltend dosiert. Auf dem Cover darf sie dafür zusammen mit einem großen Zottelhund sehnsuchtsvoll Richtung Mount Fuji starren, was Hund, Berg und Cover gleichermaßen ziert.

Guitar, „Tokyo“ (Onitor / Hausmusik)

04 / 2006
ZEIT ONLINE