Kavka
Zivilcourage statt Biologie
In Berlin diskutierten Thomas Roth und Uwe-Karsten Heye über No-Go-Areas in Deutschland. Markus Kavka hat zugehört und ist ratlos geblieben: Die Welt zu Gast bei unzuverlässigen Bekannten?
Irgendwie hatte diese Veranstaltung etwas unfreiwillig anachronistisches. Während nach dem Deutschland-Spiel draußen auf der Fanmeile 500.000 Leute den Slogan Die Welt zu Gast bei Freunden mal wieder vorbildlich lebten, debattierten im Studio der Berliner Akademie der Künste ein prominent besetztes Podium und ein paar hundert Zuschauer über das Thema "No-Go-Areas - Rechte Gewalt in Deutschland".
Moderator Thomas Roth von der ARD freut sich: "Super, dass so viele da sind, trotz des spannenden Vorrundenspiels England gegen Schweden". Das liegt vermutlich daran, dass die Aussage von Ex-Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye zum Thema immer noch polarisiert und eine emotionale Diskussion nach sich zieht. Heye hatte nämlich festgestellt, dass dunkelhäutige WM-Besucher bestimmte Gegenden in Ost-Deutschland lieber meiden sollten, wenn sie die WM überleben wollten. Mittlerweile ist die Debatte auch an einem Punkt angelangt, an dem die Existenz dieser No-Go-Areas grundsätzlich nicht mehr in Frage gestellt wird. Ab jetzt geht es darum, Lösungen anzubieten, wie man dieser Tatsache Herr werden kann.
Heye, natürlich auf dem Podium vertreten, geht es vor allem darum, die Ursachen für Rechtsextremismus zu bekämpfen. "Ich habe noch kein Baby gesehen, dass aus dem Kinderwagen "Heil Hitler!" schreit, meint er, "denn immer steht eine Erwachsenenwelt hinter den Jugendlichen". Neuen Zündstoff lieferte Heye, als er das deutsche Schulsystem mit den Worten "Die Situation an deutschen Schulen macht aggressiv und krank!" kritisierte.
Auf dem Podium saß auch die Schauspielerin Katja Riemann, die in Heyes Ausführungen mit Fragen wie "Wie kriegt man Bock aufs Leben?" reingrätschte; ansonsten bei besonders schlimmen Rassismus-Geschichten theatralisch die Hände vors Gesicht schlug, ausführlich von ihren Schauspielerfahrungen im Ausland erzählte und nach etwa einer Stunde, also vor allen anderen, bühnenreif abtrat - nicht ohne der verdutzten Zuschauerschaft noch Ratschläge wie "Man sollte an den Schulen Zivilcourage statt Biologie unterrichten!" zu hinterlassen.
Simplice Freeman, der einzige Dunkelhäutige auf dem Podium und jemand, der selbst schon öfter rassistisch motivierte Gewalt erfahren musste, brachte noch einen anderen Aspekt in die Runde ein: "Viele Schwarze in Deutschland wissen nicht, wo sie ihre Füße hinsetzen sollen. Sie sind ohne Chance, gefangen zwischen Rechtsextremen und Polizei. Ich kenne keinen Schwarzen in Deutschland, der noch nicht von der Polizei schikaniert wurde."
Das wollte ein anderer Diskussionsteilnehmer natürlich so nicht unterschreiben, nämlich der brandenburgische Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg. Er räumte zwar ein, dass es unmittelbar nach der Wende Probleme bei der Strafverfolgung im Osten gegeben habe, es mittlerweile aber "gewisse positive Entwicklungen" gebe, die unter anderem auch dazu führten, dass "Neonazis nicht mehr in voller Montur durch Brandenburg laufen können".
Die Zeit reicht nicht mehr, um auf die jüngsten Übergriffe einzugehen, dem Publikum bleibt sowieso nur noch eine Viertelstunde für eigene Fragen. Und obwohl die Fragesteller Schlange stehen, bremst Moderator Roth sie aus - schließlich beginnt ja in wenigen Minuten das England-Schweden-Spiel.
Das will ich natürlich auch sehen, klar. Aber das kann keine Entschuldigung dafür sein, dass offenbar so viele im Publikum, mich eingeschlossen, die Diskussion so unbefriedigt verließen. So stand ich dann kurz vor 21 Uhr mitten in der Berliner Fußballparty, sah die vielen dunkelhäutigen Fans aus aller Herren Länder, sah daneben die Polizisten und dachte an das, was Freeman gesagt hatte. Die Welt zu Gast bei unzuverlässigen Bekannten statt bei Freunden? Doch keine anachronistische Veranstaltung, das?
Ich bleibe dran an der Sache und bin gespannt auf eure Erfahrungen/Meinung/Kritik .
20 /
2006
ZEIT ONLINE