KAVKA

Pete Doherty

Markus Kavka putzt sich und denkt nach: Über Rockstars, Drogen, und wie man über diese ungute Mischung berichten sollte, irgendwo zwischen Katastrophentourismus und Mitgefühl

Blutspritzer aufs Kameraobjektiv, dann ich, dann wieder die Blutspritzer. So sah das aus, als ich mich gerade im Fernsehen gesehen habe. Bei RTL Punkt 12 , einer Sendung, in der ich nun gar nicht gerne auftauche. Irgendwie schienen sie dort unserer MTV Newsmag Show vom Montag habhaft geworden zu sein, aus der sie Ausschnitte aus meiner Moderation und dem Beitrag über Pete Doherty zeigten. Spätestens jetzt ist er also auch im deutschen Boulevard angekommen, der Mann, der in England schon lange nicht mehr aus der Yellow Press wegzudenken ist, und das nicht erst, seit seine (Ex?)Freundin Kate Moss beim Koksen fotografiert wurde.

Die Bilder, die erst wir und dann RTL zeigten, bereiten mir heute noch Bauschmerzen. Die Geschichte dazu ist diese: Am Donnerstag spielte Pete Doherty mit seiner Band Babyshambles ein Konzert in Berlin. Danach war ein Interview angesetzt, für das Pete eingeplant war, zunächst aber - Überraschung - nicht erschien. Fünf Minuten nach Interviewbeginn kam er plötzlich doch noch und setzte sich neben seine beiden Bandkollegen. Für uns alle nicht sichtbar, zog er irgendwas unter seiner Jacke hervor, und bevor wir reagieren konnten, sprühte Pete aus einer Spritze einen Strahl roter Flüssigkeit auf Kameraobjektiv, Kameramann und Redakteur. Wie sich später herausstellen sollte, handelte es sich bei der Flüssigkeit um ein Blut-Heroin-Gemisch, zumindest wollen Zeugen Backstage beobachtet haben, wie Pete sich mit der betreffenden Spritze einen Schuss setzte, bevor er den Interviewraum betrat. Mit den Worten "Superschuss, nicht wahr?" kommentierte Pete das, was er für einen lustigen Streich hielt.

Darf man Blutrotz auf der Kamera zeigen, wenn er von einem Junkie namens Pete Doherty abgesondert wurde? Das ist die Frage, die wir mit unseren Zuschauern seit Tagen diskutieren. Die einen sagen: Euch geht´s nur um die Quote, ihr liefert einen Menschen, der sich selbst nicht mehr unter Kontrolle hat, ans Messer. Die anderen sagen: Richtig so, nur auf diese Art und Weise kann man Pete wieder clean machen und zur Vernunft bringen, weil das, was er gemacht hat, asozial ist und ihm womöglich einmal mehr Ärger mit der Polizei einbringen wird, und außerdem hätten Kameramann und Redakteur ihm noch vor Ort eine aufs Maul hauen sollen.

Mitleid/Sorge vs. Wut/Abscheu - der übliche Konflikt, wenn´s um Junkies geht. Kann man bei der Bewältigung dieses Konflikts irgendwas richtig machen? Ein Freund von mir fing vor ein paar Jahren mit der Scheiße an. Ich kannte ihn als schlaues, sensibles, besonderes Kerlchen. Er lernte neue falsche Leute kennen, rauchte erst und spritzte später Heroin, er log, beklaute mich, ich kam nicht mehr an ihn ran, seine Familie versuchte alles, es ging ihm schlecht, er brauchte Geld, er fing an zu dealen, wurde schließlich dabei erwischt und verschwand für zwei Jahre im Knast - unsanfter, humorloser, kalter Entzug inklusive. Seit er wieder draußen ist, rührt er das Zeug nicht mehr an. Klar, die letzten Jahre waren nicht lustig, im Gefängnis schon gar nicht, er ist vorbestraft, aber: Er lebt.

Schon lange nicht mehr war im gefährlichen Rock´n´Roll Zirkus jemand so öffentlich Junkie wie Pete Doherty. Da mal ein Foto, auf dem er mit einer Spritze am Arm eines am Boden liegenden, bewusstlosen Mädchens hantiert, dort mal eins, das der - ausgerechnet! - BILD -Reporter bei der gemeinsamen Autofahrt durch Köln von Pete beim Crack rauchen macht, dazu unzählige Geschichten von Verhaftungen, Anklagen, Verhandlungen und abgebrochenen Entzugstherapien. Pete Doherty ist - absichtlich oder nicht - zum Deluxe-Totalschaden geworden.

Seine Ex-Band, die Libertines, und auch jetzt die Babyshambles sind die beste Musik, die England seit mehr als zehn Jahren passiert ist. Pete Doherty ist ein genialer Musiker, ein helles, lustiges Bürschchen, aber eben auch eine richtig arme Sau - wobei ich selbst nicht weiß, wie ich das ´arm´ jetzt genau meine: ´Arm´ in Sinne von bemitleidenswert oder aber ´arm´ in Sinne von asoziales Arschloch. Thees Uhlmann von Tomte brachte das Ganze gut auf den Punkt, indem er sagte: "Wir gucken ja gerade Pete Doherty beim Sterben zu. Das muss man einfach so sagen, also ich wünsche dem alles Gute, ich find das auch toll, was der macht, aber ich glaube, dass die Chancen, dass er die nächsten vier Jahre erlebt, so im 50 Prozent-Bereich sind." So bin ich also privat wie als Medienfuzzi hin- und hergerissen zwischen Katastrophentourimus und Mitgefühl, zwischen Rock´n´Roll und dem guten Leben, zwischen Sperrt-ihn-ein und Lasst-ihn-in-Ruhe, und damit bin ich genau so unsicher wie vorher, ob´s richtig war, die Blutbilder zu zeigen.

RTL brauch ich nicht fragen, also sag du’s mir, Leser.

11 / 2006
ZEIT ONLINE