Kolumne

Freunde fürs Leben

Reden, zuhören, zur Therapie schicken - nichts hat geholfen. Umgebracht hat er sich trotzdem. Wieso man die Aussage "Ich will nicht mehr, ich mach bald Schluss" lieber ernst nehmen sollte

Von Markus Kavka

Vor acht Jahren nahm sich ein guter Freund von mir das Leben. Überdosis mit Ansage. Seine Familie, seine Freunde, ich - wir probierten alles. Reden, zuhören, ihn zum Entzug und zur Therapie schicken und begleiten, nichts half. Er entfernte sich immer mehr, man kam überhaupt nicht mehr ran, und am Ende waren alle unfassbar traurig, verzweifelt, aber auch wütend und ratlos. Alle machten sich Vorwürfe, weil keiner imstande war zu sagen, ob man wirklich alles versucht hatte, und vor allem, ob das, was man versucht hatte, richtig war. Mir persönlich war klar, dass es falsch ist, der Aussage "Ich will nicht mehr, ich mach bald Schluss" keinen Glauben zu schenken. "Leute, die darüber reden, machen´s sowieso nicht" ist eine der größten Fehleinschätzungen im Zusammenhang mit Suizid überhaupt. Genau so wenig dienlich sind Aussagen wie "Hab dich nicht so"/"Wird schon wieder"/"Anderen geht´s noch schlechter"/"Das Leben ist doch so schön". Oder Anwandlungen, sich selbst zu wichtig zu nehmen und von sich zu erzählen anstatt zuzuhören.

Und zuhören ist tatsächlich das einzige, was man zunächst machen kann, einfach zeigen, dass jemand einem wichtig ist und man für ihn da sein will. Wenn man merkt, dass das nicht ausreicht, sollte man anbieten, beim Suchen nach professioneller Hilfe dabei zu sein und dann auch gegebenenfalls die Person zum Arzt oder Therapeuten zu begleiten. Allein lassen ist das Schlimmste. Sehr falsch ist zumeist auch die Annahme, dass das Problem gelöst ist, sobald der Mensch angibt, dass es ihm besser geht. Denn oft geht es Betroffenen auch dann besser, wenn sie eine Entscheidung getroffen haben, und das kann eben auch jene sein, sich das Leben zu nehmen. Tatsache ist, dass Menschen, die sich mit Selbstmordgedanken tragen, gar nicht wirklich ausdrücklich sterben möchten, sondern in erster Linie den Schmerz und die vermeintliche Ausweglosigkeit in einer bestimmten Lebenssituation beenden wollen und im Suizid die einzige Möglichkeit sehen. Da muss man ansetzen, man muss aufzeigen, dass es eben nicht die einzige Möglichkeit ist.

Warum ich das alles schreibe? Am 10. September ist Welt-Suizidpräventionstag, und nicht nur deswegen, sondern vor allem wegen des oben geschilderten Erlebnisses, habe ich mich unlängst einer Organisation namens 'Freunde fürs Leben' angeschlossen. Ziel ist es zunächst mal, über Suizid zu reden. Macht man ja kaum, weil es immer noch so ein Tabuthema ist - und das, obwohl sich in Deutschland jährlich mehr als 11.000 Menschen das Leben nehmen, also mehr, als durch Verkehrsunfälle, Verbrechen und Drogen zusammen sterben. Hinsichtlich der drei letztgenannten Dinge gibt es schon seit langem Präventions- und Beratungsstellen, Informationen, Aktionen und Aufklärungskampagnen. Beim Thema Suizid sind die Berührungsängste immer noch groß. Deswegen ist es das Ziel von ´Freunde fürs Leben´, durch Aktionen einfach mal Aufmerksamkeit zu erzeugen, um dann in einem nächsten Schritt auch Kontakte zu professionellen Einrichtungen zu vermitteln. Handlungsbedarf gab es auch im Internet, weil man trotz der Tragweite dieser Sache im Netz keine einzige Seite fand, auf der man sich einfach mal informieren konnte.

Anlässlich des Welt-Suizidpräventionstags gibt es im dieser Woche eine Reihe von Aktionen, die auch Infoveranstaltungen, Diskussionen und Workshops an Schulen in Berlin beinhalten. Unfassbar ist in diesem Zusammenhang, wie schwer es war, Schulen zu finden, die sich für eine derartige Veranstaltung erwärmen konnten. "Das ist kein Thema an unserer Schule!", "Hm, wir wissen nicht so recht, ob die Schüler das annehmen..." oder ein kaltes "Interessiert uns nicht!" waren nicht selten gehörte Aussagen. Wenn man dann aber vor Ort ist, merkt man nach anfänglicher Zurückhaltung seitens der Schüler sehr schnell, dass es enormen Informations- und Gesprächsbedarf gibt, weil - wie sich rausstellt - fast jeder jemanden kennt, für den Begriffe wie "Depression" und "Selbstmordgedanke/-versuch" kein realitätsfremdes Gequatsche sind.

Gestern abend fand eine zusätzliche Veranstaltung in einem Kino statt. Gezeigt wurde ´The Virgin Suicides´ von Sofia Coppola. Darin geht es um fünf Schwestern im Alter zwischen 13 und 17 Jahren, die sich alle das Leben nehmen. Die Experten (Psychotherapeuten und professionelle Suizidpräventionsberater), die bei der anschließenden Diskussion zugegen waren, hatten im Vorfeld schwere Bedenken, den Film zu zeigen, weil er in ihren Augen zu klischeehaft und erschütternd ist und deswegen in keiner Weise als Suizidpräventionsfilm taugt. Tatsache aber ist auch, dass ´The Virgin Suicides´ gestern eine sehr gute Diskussionsgrundlage bot, um eben über Klischees, aber auch von der speziellen Situation des Films ausgehend über das Thema Suizid generell zu sprechen. Schnell war klar, dass die etwa 50 Gäste nicht gekommen waren, um einfach nur den Film zu sehen. Alle hatten einen persönlichen Bezug zum Thema, und meine Mitstreiter (außer den Experten auch noch Vanessa Petruo, Nina Gnädig und Ric Graf) und ich fanden es sehr mutig, dass dieser Bezug in der Diskussion und in den anschließenden Einzelgesprächen auch artikuliert wurde. Und als ein etwa 16-jähriges Mädchen dann unter Tränen davon berichtete, dass ihre beste Freundin seit Wochen davon spricht, sich das Leben nehmen zu wollen, kam offensichtlich nicht nur bei mir eine Geschichte der Art zurück, wie ich sie eingangs geschildert habe.

Wenn ihr denkt, dass auch nur ein Fitzelchen meiner heutigen Zeilen irgendwas mit eurem Leben zu tun haben könnte, dann bitte www.frnd.de anklicken.

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32 / 2006
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