Außenseiter
Insekten raus
Gruppen sind gemein. Weil sie ausgrenzen. Und zwar gnadenlos, wie Sascha Hommer in seinem Comic beschreibt.
Wer eines Morgens als „Ungeziefer“ erwacht, kann in seinem Umfeld mit wenig Verständnis rechnen. Pascal ist ein Insekt unter Menschen, und damit anders als die anderen. Die kindliche Hauptfigur von Sascha Hommers Comicalbum
Insekt
weiß es nur noch nicht. Denn in der Stadt, in der er lebt, herrscht ein fürchterlicher Smog. Schwarze Rauchschwaden verdunkeln die Tage. Wer ohne Taschenlampe zur Schule geht, kann nicht einmal die Klausuraufgaben lesen. Und auch Pascals Gesicht kann man vor lauter Dunkelheit nicht erkennen. Hätte man ihn sonst zum Klassensprecher gewählt? Wäre er sonst so beliebt und umschwärmt?
Wohl kaum. Schließlich gelten Insekten als schmutzig, zurückgeblieben und überhaupt reichlich minderwertig. In der Stadt haben sie schon gar nichts zu suchen. Sie müssen außerhalb in Reservaten leben. Und wer wie Pascal in der Stadt aufwächst, kann sich kaum vorstellen, dass es sie wirklich gibt: Insekten, das sind doch die Viecher aus den alten Märchen. Umso größer der Schreck, dass ausgerechnet er selbst ein solches „Ungeziefer“ sein soll. Als durch Zufall seine wahre Identität bekannt wird, ist es schnell vorbei mit dem glücklichen Alltag. Er fliegt von der Schule, wird geschnitten, schließlich zusammengeschlagen und gedemütigt. Sein Klassensprecheramt hilft ihm da nicht mehr.
Sascha Hommers Comic ist eine Parabel über Ausgrenzung. Aber ein „pädagogisch wertvolles“ Plädoyer für ein bisschen mehr Toleranz ist es nicht. Die Kinder, die Pascal verprügeln, haben die Prinzipien der Gesellschaft nicht missverstanden - sie haben sie nur zu gut verstanden. Ausgrenzung ist nichts, das einem ausschließlich in diktatorischen oder rassistischen Gesellschaften begegnet. Sie ist das Prinzip, das jeder bestehenden Gruppen zugrunde liegt. Sie bestimmt unseren Alltag. Und ganz bestimmt bestimmt sie Kindheit und Jugend: Zeiten brutaler Ausgrenzung und schlimmen Konformismus. Man lernt schließlich fürs Leben.
Natürlich findet Pascal keinen Ausweg. Könnte es das Leben auf dem Lande sein, das Hommer im letzten Teil des Buches zeigt? Grafisch scheint das nahe zu liegen: Die schwarzen Wolken sind verschwunden. Die grauen Raster, welche die Bilder überlagern, weichen. Und die
Panels
, in denen sich ein Landschaftsbild fortsetzt, erzeugen einen Panoramablick.
Mit seiner Insektenfamilie versteht sich Pascal blendend. Doch er will zurück in die Stadt. Warum, das bleibt offen. Am Ende sieht man ihn und seinen Cousin, kostümiert als Insekten-Superhelden, der Stadt entgegenfliegen. Ein Flug der Fantasie. Immerhin.
Auch schön:
Rezension der vorherigen Woche
- Nachtarbeit
04 /
2006
ZEIT ONLINE