Geschichte

Obszöne Liebe

Peter Pontiacs Vater war Mitglied der Waffen-SS, ein Weiberheld und auch sonst ein Ekel. Kann man so jemanden trotzdem vermissen?

Die Comic-Kolumne von Jan-Frederik Bandel

In Amerika nennt man die Deutschen gerne abfällig „Krauts“. Vor allem die deutschen Wehrmachtsoldaten wurden früher so betitelt. Das Wort „Krauten“ sollte für etwas anderes stehen: das Umherstreifen, den Raubzug, die Flucht. Für Bewegungen im „Kraut“ also, dem offenen Feld. Der Titel Kraut , den Peter Pollmann alias Peter Pontiac dem Buch über seinen Vater gegeben hat, spielt mit diesen beiden Bedeutungen.

Pontiacs Vater, Joop Pollmann, ist 1922 in den Niederlanden geboren. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde er freiwillig Mitglied der NSB (der nationalsozialistischen Partei der Niederlande) und schloss sich schließlich der Waffen-SS an. Bis er an der Ostfront verletzt wurde, wirkte er als Propaganda-Redner und Frontberichterstatter. Schließlich desertierte er – und stellte sich kurz nach Kriegsende der Polizei. Auch vier Jahre Haft scheinen seinen ultrarechten Überzeugungen allerdings keinen Abbruch getan zu haben, wie der Sohn vermerkt.

Wieder frei, startete Joop Pollmann eine journalistische Karriere in Klatsch- und Frauenzeitschriften, hatte Umgang mit der Prominenz seiner Zeit und jettete durch die Lande. Aber er litt auch unter einer manischen Depression, versuchte sich als Weiberheld, trank Cognac in rauen Mengen und fuhr seine Autos gleich reihenweise zu Schrott. Als er schließlich Ende der Siebziger auf der niederländischen Karibikinsel Curaçao verschwand, lag die Vermutung auf der Hand: Entweder hatte er sich umgebracht, oder er ist betrunken im Meer geschwommen und dabei verunglückt. Am Strand wurden seine Schuhe gefunden, seine Pfeife und der Mietwagen. Aber seine Leiche blieb verschwunden.

„Warum vermisst, warum Faschist?“ – reimt Peter Pontiac in Kraut . Das Buch ist in Form eines Briefes an den Vater verfasst. Zahlreiche Dokumente hat der 1951 geborene Sohn gesichtet, mit Verwandten und Bekannten gesprochen, um ein möglichst dichtes Bild des rätselhaften Vaters zu geben. Im Mittelpunkt steht dessen Jugend: der Weg vom ultrakatholischen Elternhaus über die nationalistischen Bünde hinein in den niederländischen Nationalsozialismus. Die Lebensgeschichte, die so am Ende des Comics steht, ist geschlossen und plausibel – nur die Frage nach dem geheimnisvollen Tod bleibt offen.

Verschiedene, teils abenteuerliche Varianten spielt Pontiac durch, entscheidet sich schließlich aber doch für die Selbstmordversion. „Oder will ich das nur glauben, um Dich auf den Knien zu sehen, eh ich Dir sagen kann, dass ich Dich liebe, Dich vermisse? Meine Liebe zu Dir ist so ambivalent wie Dein ‚Tod’. Es fühlt sich fast obszön an, einen Vater mit faschistischen Denkbildern zu lieben ... Kann ich Dir nur durch einen Selbstmord, eine freiwillige, selbst vollzogene Todesstrafe vergeben?“

Kraut stellt damit eine bemerkenswerte Variante jener Gattung dar, die hierzulande „Väterliteratur“ genannt wird. Immer gehen die Autoren der Frage nach, welche Rolle die Eltern im Faschismus gespielt haben – und was es bedeutet, sie trotzdem zu lieben, sei es auch eine Hassliebe.

Was Pontiacs Brief an den Vater besonders macht, ist seine grafische Umsetzung. Pontiac, einer der bekanntesten Underground-Comiczeichner der Niederlande, hat seinen Brief zwar nicht als Comic gestaltet. Doch hat er ihn reich illustriert. Mal unterstreichen die Zeichnungen das Beschriebene, mal konterkarieren und verzerren sie es, mal dramatisieren sie, mal brechen sie ironisch das Pathos. Auch zahlreiche Zeichnungen und Texte aus den Notizbüchern seines Vaters hat er verwendet.

Auffällig ist, wie deutlich Pontiac seine Zeichnungen dem Stil des amerikanischen Comicpioniers Will Eisner annähert. Und auch Art Spiegelman , dem Autor und Zeichner des Comics Maus , erweist Pontiac seine Reverenz. In der Konfrontation mit seinem Vater stehen ihm also zwei jüdische Amerikaner (Eisner als Sohn österreichischer Einwanderer, Spiegelman als Sohn eines Holocaust-Überlebenden) zur Seite. Das Buch sollte eine Antwort auf Spiegelmans Vatergeschichte Maus sein, hat Pontiac mal gesagt. Gleich, ob das gelungen ist, ein bemerkenswert komplexes Portrait und Zeitbild ist Kraut allemal.

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04 / 2006
ZEIT ONLINE