Comics
Artiger Punk
Pubertät ist peinlich. Andreas Michalke macht das Beste draus und dokumentiert seine Jugend als Dorfpunk in Comics.
"Wer richtig lebt, macht nichts falsch." Diesen Satz schrieb der Schriftsteller
Rainald Goetz
1984 in seinem Text
Provinz
. Und weiter: "Es kann lange dauern, bis man sich durchringt, die Wege und Umwege der eigenen Entwicklung, alle Lächerlichkeiten, Peinlichkeiten ... nicht nur zu bekämpfen, sondern zu lernen, davon zu lernen." Anders gesagt: Auch das Elend, in der Provinz aufzuwachsen, hat seine Berechtigung. Man muss es nur zu deuten wissen.
Wie zum Beispiel Andreas Michalke. Es überrascht nicht, dass er seinen 1999 erschienenen autobiografischen Comic Smalltown Boy mit einem Zitat von Goetz eröffnet. Auch Andreas Michalke musste sich erst einmal durchringen, sich die Peinlichkeiten, aber auch die hellen Momente einer Provinzpubertät wieder in Erinnerung zu rufen: "Leidenschaftlich, ohne Ernst, ohne Wissen, ohne Tiefe, der verwirrte Taumel mit einem Hauch von Erkenntnis", das war sein Programm für Smalltown Boy .
Die ersten Folgen des Comics erschienen im Magazin
Artige Zeiten
, das Michalke gemeinsam mit Minou Zaribaf herausgab. Dann verlor er das Interesse an der Figur, die er einmal war: dem Punk und Hardcore hörenden Jugendlichen, der vom wilden Leben träumt – um dann doch lieber sein Abitur zu machen.
Die Präzision, mit der Michalke grad auch die Artigkeit seiner Punkjugend vorführt, macht
Smalltown Boy
zu einem der lesenswertesten autobiografischen Comics – und das einige Jahre, bevor solche Coming-of-Age-Storys hierzulande Mode geworden sind. Aber Michalkes eigentliche Passion gehört der Kurzform. Und so ließ er
Smalltown Boy
liegen und begann
,
Strips
zu zeichnen. Seit 2002 kann man in der linken Zeitung
Jungle World
wöchentlich eine Folge seines Kurz-Comics
Bigbeatland
lesen.
Was Michalke dort Woche für Woche präsentiert, ist im Grunde eine linke Seifenoper: Nicht in der Provinz spielt sie diesmal, sondern in der Großstadt. Genauer: in einer kleinen, ziemlich zersplitterten linken Szene. Da gibt es zum Beispiel das Freie Radio, einen unabhängigen Sender, in dem sich Altlinke, unbeirrte Punkfans und Mädels tummeln, die vom Sprung ins Fernsehen träumen. Da gibt es aber auch die WG mit den stets korrekten Linken Ini, Tini und Bini und der lesbischen Hardcoreaktivistin Fricka. Und den Subkommandante Markus, Anführer der aufrechten Altlinken und eine Art letzter Überlebender der
Außerparlamentarischen Opposition
. Und und und. Ganz zu schweigen von den kuriosen Episoden über Banküberfälle, Geiseldramen und Waffenschmuggel nach Nordkorea.
Im vergangenen Jahr ist ein Sammelband der ersten vier Jahre von
Bigbeatland
erschienen. Selbst wer die Strips mehr oder minder regelmäßig verfolgt hat, staunt bei der Lektüre nicht schlecht, was Michalke seinen Helden schon alles zugemutet hat. Fast alles, was in der Szene debattiert wird, findet sich im Strip wieder: von der Diskussion um die so genannte
Poplinke
bis zu den Anfeindungen zwischen den israelsolidarischen und den antizionistischen Fraktionen. Aber auch
Big Brother
und der WM-Nationalismus sind Themen.
Wer sich bei all dem fragt, ob es ausgerechnet die letzten Reste radikal linker Subkultur sein müssen, die so ironisch vorgeführt werden, verkennt wohl Michalkes Absicht. Seine Ironie ist – wenn überhaupt – eine nostalgische.
Auch schön:
Rezension der vorherigen Woche
- Scharfe Mischung
10 /
2007
ZEIT ONLINE