Neunziger Jahre

Scharfe Mischung

Schwule Skinheads, AIDS-kranke Schwule und eine Liebesgeschichte im Comic-Format. Markuß Golschinksis Reihe Krm-Krm blickt in Abgründe.

Von Jan-Frederik Bandel

Tradition ist tot, Potenzial wird verschenkt und das, was wirklich rockt, wird sowieso schnell vergessen. Dies zu behaupten ist zwar langweilig. Doch schade ist es allemal, dass keiner überzeugend fortführt, was Künstler wie Andreas Michalke, Minou Zaribaf und vor allem Markuß Golschinski in den neunziger Jahren scheinbar so selbstverständlich betrieben: Comics zu zeichnen, die souverän kombinierten und variierten, was zusammengehört: Autobiografie, Subkultur, Musik, Sexualität und Politik. Diese Mixtur und dieses Format zumindest kurzfristig auch auf dem deutschen Comicmarkt etabliert zu haben, ist vor allem das Verdienst der Heftreihen Artige Zeiten (Michalke und Zaribaf) und Krm Krm (Golschinski). Beide erschienen im seinerzeit noch ganz jungen Reprodukt -Verlag.

Nur vier Ausgaben von Krm Krm hat Golschinski zwischen 1994 und 1997 publiziert, zusammen nicht mehr als hundert Seiten. Es ist ein beeindruckendes Spektrum pubertärer Erfahrungen, subkultureller Szenen und Themen. Der erste Band Skalamitäten! bietet auf gerade mal 26 Seiten reichlich scharfe Ecken und Kanten. In einem Resozialisierungs- und Wohnprojekt für so genannte „straffällig gewordene Jugendliche“ treffen aufeinander: ein kostümierter Elvis-Fan, ein Crashkid, ein arabischer Callboy, ein Skinhead, ein Sozialarbeiter sowie ein kleiner Trupp von Zivildienstleistenden. Zu diesen gehört auch die Hauptfigur Markuß.

Dann gibt es noch das autonome Jugendzentrum und einen bierdunstigen Treffpunkt für Skinheads namens „Hannen Eck“ . Markuß ist vom Skinhead Udo fasziniert - trotz dessen rassistischer Sprüche. Das Verhältnis der beiden mündet schließlich in einer überraschenden homosexuellen Umarmung. Besoffen natürlich. Die merkwürdige Erotik von Männlichkeitskult, Gewaltfaszination und Körperfetisch so ohne jede aufklärerische Geste zu entfalten, ist schon bemerkenswert.

Um Darstellung geht es auch im zweiten Krm-Krm -Heft Aus und draußen – diesmal am Beispiel schwuler Szenen in Zeiten von AIDS. „Mir gefällt die Art nicht, wie die schon wieder ihren Tod inszenieren!“, schimpft ein Mitarbeiter im Schwulenclub Hinterlader, als die Hauptfigur ihr Plakat für eine neue Veranstaltungsreihe aufhängt: „Nächte für Menschen mit HIV und AIDS“. Dabei ist darauf nur eine Band zu sehen, die auf reichlich überdimensionierten Penissen spielt.

Wie die Szene selbst mit der Immunschwäche umgeht, ist ein Thema des Comics. Ebenso geht es aber auch um die Frage, wie man mit den Bedeutungen zurechtkommt, die die nichtschwule Umwelt AIDS und den AIDS-Toten zuweist. Da gibt es die dienstäglichen Abende mit „positiven Nachrichten“ und leckeren Schnittchen. Aber die kommen irgendwie nicht an beim Publikum. Auftritte mit Shirts, auf denen steht: „Absolut positiv“. Eine „Abschiedsparty“ im Sterbezimmer. Und den Wunsch der Hauptfigur, auf LSD eine Wiederbegegnung mit dem toten Freund zu erleben. Der Versuch missglückt gründlich.

Frappierend sind die Charaktere: Einige sind stark abstrahiert, aber durchaus realistisch gezeichnet, andere tragen bizarre Masken: Der Kopf der Hauptfigur etwa sieht aus wie eine Mischung aus Teekanne und Hahn. Der seines Freundes Alex erinnert mal an einen Infusionsbeutel, mal an eine Einkaufstausche und mal – pardon – an Spongebob . Und Franz, der Todkranke, erscheint zuletzt als Alien mit herabhängender Rüsselnase und schlauchigem Riesenschwanz. Diese rätselhaften Überzeichnungen werden nicht aufgelöst: Maskerade, Stigmatisierung oder rauschhafte Verzerrung der Wahrnehmung? Von allem etwas, wie es scheint.

Zeichnen sich die beiden ersten Hefte durch die Intensität aus, mit der man in die Geschichten hineingezogen wird, fallen die beiden folgenden sehr viel distanzierter aus. Bei Band 3 – der „Comiclovestory“ Slip – ist es die Distanz der Ironie. Entfaltet wird eine Bravo-Mädchenwelt mit Cellulitisängsten, Shoppingtouren, Boygroups, missglückten Übungen im Verliebtsein und ein bisschen pubertärem Sex. Wieder geht es um Pubertät. Doch diesmal wird sie nicht als Widerständigkeit gefeiert – wie im Skalamitäten! -Comic, sondern erscheint als großer Schritt auf dem Weg zum nützlichen Mitglied der Gesellschaft. Bravo , H &M und das jeweils saisonale Gedudel sind die perfekten Wegweiser dazu.

Auffällig ist die distanziert-analytische Erzählhaltung beim letzten Band der Reihe: Die zweite Hälfte des Himmels , benannt nach dem Song Hier und jetzt der legendären Punkband Fehlfarben : „Die zweite Hälfte des Himmels / könnt Ihr haben. / Das Hier und Jetzt / das behalte ich.“ Schon grafisch ist dieser Comic deutlich ausgebremst: Die Seiten setzen sich grundsätzlich aus sechs gleichgroßen Panels zusammen. Die Zeichnungen sind stark stilisiert, zeigen immer wieder nur Details, wirken verrutscht. Es gibt keine Dialoge mehr, nur einen Erzähltext, der Satz für Satz unter den Bildern weiterläuft.

Erzählt wird eine Düsseldorfer Punkgeschichte, wie man sie oft gehört hat: Family 5 , Stunde X , die Toten Hosen , der wahre Heino und natürlich Fehlfarben – alle Szenegrößen tauchen auf. Doch Die zweite Hälfte des Himmels ist alles andere als ein nostalgisch-stolzer Bericht, dabei gewesen zu sein. Es ist eine gebrochene, fast elegisch erzählte Geschichte über eine Bewegung, in der es um Lautstärke, Gegenwärtigkeit, Rausch und Männlichkeit ging. „Sei laut, sei hässlich. Es gibt kein Morgen. Ich mochte Teile meiner eigenen Ideologie nicht. Eine Musik ist kaputt, wenn richtige Männer darauf stehen. ... Das in Musik gerahmte Gefühl ersetzt mehr und mehr das echte Gefühl. Ich explodierte.“

Immer wieder explodiert etwas in Golschinskis Geschichten: Der Kuss mit dem Skinhead in Skalamitäten! . Das „klaffende Maul des Grauens“, in das Gerd in Aus und draußen nach dem Tod des Freundes starrt. Die seltsame Distanz, die sich plötzlich zwischen die Versprechen des Punk und das Leben schiebt. Und der Ausbruch mit dem Versprechen des Neuanfangs: „Ich will gar nicht entkommen, sondern mitten rein.“

Auch schön:

Rezension der vorherigen Woche - Fünf Mal Adolf

10 / 2007
ZEIT ONLINE