Rausch & Realität

Immer nur berauscht

Drogen verändern die Wahrnehmung. Sie belügen einen darüber, was gemeinhin als Realität angesehen wird. Aber Medien tun das auch.

Die Kolumne von Selim Özdogan

Sprüche zum Thema gibt es viele: Ich habe kein Problem mit Alkohol, nur ohne. Oder wie Keith Richards sagt: Ich hatte nie Probleme mit Drogen, aber Probleme mit der Polizei. Es heißt auch: Die Realität ist für Menschen, die mit Drogen nicht umgehen können.

Drogen verändern die Wahrnehmung. Anders ausgedrückt: Sie belügen einen darüber, was gemeinhin als Realität angesehen wird. Sie gelten als eine Flucht aus der Welt, die wir um uns herum erschaffen haben, sie sind der Weg derjenigen, die mit den Fakten des Lebens kaum klarkommen, die eine Auszeit brauchen, ein künstliches Paradies, einen Rückzugort, wo alles klar und einfach scheint.

Zur Zeit ist in den Medien öfter die Rede von einem synthetischen Cannabinoid, dessen Namen ich auf Wunsch der Redaktion letzte Woche schon nicht hier erwähnt habe.

Die Dinge, die darüber zu lesen sind, sind ein wunderbares Beispiel.

Dieser Stoff so kann man nun lesenn sei viermal stärker als das natürliche THC, das verantwortlich ist für die Wirkung von illegalen Cannabisprodukten wie Gras und Hasch. Als Quelle für diese Information wird die Analyse der Firma THC Pharm angegeben, die das Produkt in den als Räucherware verkauften Kräutermischungen gefunden hat. In der Analyse ist aber an keiner Stelle etwas von einer vierfach stärkeren Potenz zu lesen. Doch die Journalisten schreiben schön voneinander ab und diese Mär wird in ungefähr jedem Artikel weiterverbreitet.

Möglicherweise habe ich etwas übersehen, ich bin auch kein Chemiker oder Biologe, aber intensive Recherchen haben ergeben: Diese Aussage ist nicht haltbar.

Hört sich aber abschreckend und reißerisch an: Viermal stärker. Das kann nicht gut sein, das ist ja wie Strohrum pur trinken. Oder gar noch ärger.
Drogen verzerren die Realität, ja. Aber Medien verzerren die Realität ebenso. Sie belügen dich darüber, was wahr ist und was nicht. Sie erschaffen einen virtuellen Ort, wo alles klar und einfach ist und Wahrheiten immer genau in der Länge eines Artikels wiedergegeben werden können. Wenn das nicht auch eine Flucht ist, dann weiß ich es nicht.

Es gibt mehrere entscheidende Unterschiede zwischen Drogen und Medien, einer ist: Die Medien wollen dir weismachen, sie würden dir Wahrheit verkaufen. Da sind die meisten Drogen ehrlicher, wenn ihre Wirkung nachlässt, fühlt man sich wieder beschissen. Die Wirkung der Medien hingegen lässt einfach nicht nach.

Verstehen wir uns nicht falsch, ich bin kein Drogenbefürworter, aber ich habe etwas dagegen belogen zu werden. Medien haben die Definitionshoheit darüber, was Realität ist und nicht nur in diesem Fall, verzerren sie sie völlig. Vielleicht fühlen wir uns eines Tages beschissen, wenn wir die Wahrheit herausfinden.

Aber es gibt kaum einen Weg nüchtern zu werden in dieser Welt.

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3 / 2009
ZEIT ONLINE