Musikindustrie

Der große Sell-Out

Ausgerechnet zur Wirtschaftskrise hat sich die Band Angelika Express in eine Art Aktiengesellschaft umgewandelt. Und sich an die Fans verkauft, statt an die Musikindustrie. Ein Erfolgsmodell, sagt Sänger Robert Dragogiannakis.

Ein Interview von Conny Lütkemeier

Zuender: Robert, du bist der Sänger von Angelika Express. Was steckt hinter eurer Idee der "Angelika Aktie"?

Robert Drakogiannakis: Im Prinzip geht es darum, dass wir für unser neues Album 25.000 Euro brauchten. Für die Produktion und die Presskosten und um das Album auf profunde Art und Weise an die Leute zu bringen. Dass wir uns für das Aktienmodell entschieden haben, liegt daran, dass wir kein Vertrauen in die Musikindustrie mehr setzen. Der Apparat ist im Sterben begriffen. Es gibt keinen Grund, noch dahin zu gehen. Die Firmen haben kein Geld mehr, die können auch nicht mehr für einen tun als man selbst. Also haben wir die ganze Summe, die wir brauchten, in 500 Aktienanteile aufgesplittet.

Zuender: Ihr habt vorher sowohl mit einer kleinen Plattenfirma zusammen gearbeitet, als auch mit dem Majorlabel Sony. Was waren da die konkreten Probleme?

Robert Drakogiannakis: Unterm Strich hatten wir mit beiden Firmen eine gute Zusammenarbeit. Aber es gab eben auch Einschränkungen. Als wir zum Beispiel vorgeschlagen haben, Musik als freie Downloads auf unsere Bandseite zu stellen, sind wir förmlich gegen eine Wand gelaufen. Bei Sony durften wir unsere eigene Website noch nicht einmal selbst verwalten.

Zuender: Die Resonanz auf die "Angelika Aktie" war ja sehr gut. Alle Aktien sind ausverkauft.

Robert Drakogiannakis: Wären wir ein richtiger Kurs, dann würde man uns heute doppelt überzeichnet nennen. Wir haben viele Anfragen bekommen. Und die Leute haben sich sehr früh gemeldet. Dabei haben keine große Werbung gemacht.

Zuender: Auch die Einstürzenden Neubauten haben ja schon ein Album von Fans finanzieren lassen. Wo ist der Unterschied zu eurem Modell?

Robert Drakogiannakis: Eine Vorfinanzierung von Musik-Projekten gab es zwar schon oft - aber der Einbezug der Käufer in den Gewinn ist relativ neu. Dadurch, dass eine Gewinnbeteiligung entsteht, entsteht eben auch eine Demokratisierung.

Zuender: Stichwort Demokratisierung: Habt ihr denn keine Angst, dass euch einige Fans jetzt als "kritische Aktionäre" in eure Kunst reinreden könnten?

Robert Drakogiannakis: Es war von vorneherein klar, dass die künstlerische Entscheidungshoheit bei uns liegt. Das ganze System ist ja auch nur die Verballhornung einer Aktie. Das schuf Interesse. Es darf aber nicht zu viel Mitsprache geben, wir wollen keinen Eingriff in den Kreativprozess. Denn schließlich geht es bei der ganzen Idee ja um kreative Freiheit, bedingt durch finanzielle Freiheit. Darum sind wir ja eben nicht mehr bei Sony. Wir haben den Fans ein Angebot gemacht. Wir haben gezeigt wo der Hammer hängt und unsere Songs vorab ins Netz gestellt.

Nichtsdestotrotz sind wir aber natürlich offen für Ideen, Vorschläge und Fragen. Zum Beispiel Anregungen für die Promo oder Meinungen zu den einzelnen Songs.

Zuender: Kann man beobachten, dass die Bindung der Fans zu eurem Album jetzt eine stärkere ist, weil sie bewusst investiert haben?

Robert Drakogiannakis: Die Beteiligung schafft auf jeden Fall das Gefühl, dass das Album auch das "Baby" der Fans ist. Viele von unseren Fans schreiben selbst Internetblogs und posten, dass sie jetzt Angelika-Express-Aktionäre sind, machen Werbung für das Album oder streamen vielleicht auch Songs von uns auf ihrer Seite.

Enge Kontakte zu unseren Fans hatten wir schon immer. Aber in der Form, in der Dynamik ist das noch einmal etwas anderes. 250 Leute sind jetzt Aktionäre bei uns - ein Kern von Leuten, der jetzt ein richtiges Verantwortungsbewusstsein hat. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass die vielleicht mal bei einem Radiosender anrufen und sagen, hey, spielt doch mal das neue Lied von Angelika Express.

Zuender: Ist das Crowdfundings auch ein Modell für andere Bands?

Robert Drakogiannakis: Das ist interessant. Ich beginne jetzt morgens meinen Tag und durchkämme das Internet und da werden plötzlich Bands gefragt: Was haltet ihr von Angelika Express? Das ist zu einer eigenen Kategorie geworden. Ich fände das gut, wenn sich Crowdfunding durchsetzt für Künstler. Auch für Autoren, die zum Beispiel keinen Verlag mehr wollen. Wenn ich ein Buch schreiben will, suche ich dann einfach Leute, die mir helfen, meine Idee zu verwirklichen.

Zuender: Ihr hattet ja nun auch schon einmal Erfolg, mit dem Mini-Hit "Geh doch nach Berlin", zum Beispiel. Man kennt euch. Aber was ist mit unbekannten Bands? Die hätten ja sicher Probleme, Investoren zu finden.

Robert Drakogiannakis: Man kann nicht so von vorneherein davon ausgehen, dass man 100 Leute findet, die einen finanzieren. Es gibt da so ein Modell, das besagt: 1000 Fans braucht man schon, die echt hinter einem stehen. Man muss eine kritische Masse erreichen. Das Modell bekannt zu werden, funktioniert wie früher schon immer: Man muss sich nach oben spielen. Man muss viele Liveauftritte machen, wirklich an jeder Steckdose spielen. Und peu à peu kommt man dann ins Blickfeld von immer mehr Leuten.

Zuender: Angenommen, das Aktienmodell für Künstler setzt sich durch. Sollte es dann auch eine Börse geben, die den Markt verwaltet?

Robert Drakogiannakis: So größer aufgezogen macht das ja eine englische oder amerikanische Seite, die heißt Sellaband.com. Da haben wir aber folgendes Problem: Dass sich nämlich dann schon wieder jemand zwischen die Fans und die Bands schaltet. Uns war ja gerade wichtig, dass es niemanden mehr dazwischen gibt. Die Verkürzung der Wege. Das war der Punkt. Eine Firma will ja immer Gewinn machen, und die will dann wieder was bestimmen. Wo ist dann da der Unterschied zur Plattenfirma?

Zuender: Aktien, Auktionen…Wie viel Kapitalismus verträgt die Kunst eigentlich?

Robert Drakogiannakis: Wir wurden ja jetzt schon als Vertreter einer "Indie-Wallstreet" bezeichnet. Man darf aber eines nicht vergessen: Dass auch jemand, der für die Kunst lebt, von der Ökonomie abhängig ist. Man muss ja schon über die Runden kommen.

Zuender: Man kommt um den Kapitalismus also nicht rum.

Robert Drakogiannakis: Kapitalismus ist einer der Motoren, die das Ganze in Schwung halten. Man lebt schließlich in einem kapitalistischen Umfeld. Das inspiriert einen aber auch. Einerseits kann das ein Aufbegehren auslösen, anderseits inspiriert es, drittens ist ein Umgang mit dem Kapitalismus erforderlich, das geht dann in die Bereiche der Lebenskunst: Das Engerschnallen des Gürtels so angenehm wie möglich zu gestalten.

500 Angelika-Aktien wurden über das Internet zum Stückpreis von 50 Euro verkauft. Die Startauflage des Albums "Goldener Trash" (bereits erschienen) liegt bei 5.000 Stück. Ab 4.000 verkauften Alben schreibt "Angelika Express" schwarze Zahlen – alles darunter bedeutet Verlust für Band und Aktionäre, alles danach ist Gewinn.

Sollten sich die 5.000 Exemplare komplett verkaufen, wird eine neue Auflage gepresst. Die Gewinnbeteiligung dauert maximal sieben Jahre. Ein- bis zweimal pro Jahr sind Gewinnausschüttungen an die Aktionäre geplant. Mehr Infos und Hörproben gibt es auf der Band-Website.

7 / 2009
ZEIT ONLINE