Kurzgeschichte

Ohne Titel

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Von Ines Aulibert

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Die Stille ist schwerer zu ertragen als jedes Geschrei. Ich hasse den Morgen, er ist immer wieder grausam. Der Abend endet in einem Höhenflug, und beim Aufwachen findet man sich liegend wieder, unfähig aufzustehen, müde, alt. Noch vor wenigen Stunden war die Welt groß und alles möglich, und nun fühle ich mich zu nichts weiter fähig als dem Nachhängen meiner Gedanken, die wieder in der Sackgasse feststecken. Ich selbst liege wieder in der Gosse, und diesmal blicke ich nicht zu den Sternen hoch.

Der Tag beginnt und der Tag endet, und ich versuche auf ein Neues mit ganzem Herzen dabei zu sein bei dem was ich tue. Ich liege auf meinem Bett und fröne ganz profanen Genüssen. Das Mädel unter mir, ein gutes Gefühl, hervorgeführt durch nichts anderes als Ausschüttung von Endorphinen und Serotonin. Die Liebe ist so profan dass es weh tut. Die Zigarette danach, das Klischee so greifbar dass es peinlich ist. Die kleinen Glücksmomente, sind es wirklich diese? Wie die Affen an den Lianen hängen wir uns von einem guten Augenblick an den nächsten, und wenn diese nicht wären würden wir wohl zu Boden fallen und dort liegen bleiben. All das geht mir durch den Kopf, und ich weiß dass es schrecklich unpassend ist.

Ich verschicke das Mädchen, und weiß dass es schrecklich ungalant ist. Für Freundlichkeit ist später immer noch Zeit, irgendwann wenn ich alt bin und alle Nachbarn freundlich grüße und mit meiner charmanten Gattin sonntags spazieren gehe, einfach deshalb weil es sich so gehört. Morgen ist auch noch ein Tag.

Wenn es für einen kurzen Augenblick so scheint, als könnte man unbeschwert und halbwegs glücklich sein, dann kann man schon darauf wetten dass die Ernüchterung bald folgt. Ich fühlte mich wirklich gut heute morgen, aber ich hörte die falsche Musik. Sie war nicht schlecht, ganz im Gegenteil. Ich kann zur schlechtesten Musik tanzen und lachen dabei, und sie ändert rein gar nichts an meiner Gefühlslage. Gefährlich wird es nur, wenn es zu gut wird. Als ich heute aufstand und mir noch im Liegen die erste Zigarette anzündete, wollte ich den Augenblick perfekt machen und das Richtige hören, aber selten war das Richtige so falsch. Manches ist eben so schön dass es weh tut. Außerdem drängt sich dann auch immer der gemeine Gedanke auf, dass es noch Genies gibt und dass man selbst eben keines ist. Vielleicht ist es auch nur Neid was ich fühle – aber in einer schönen und angenehmen Art und Weise.

Try so hard to keep myself from falling back to the bad old ways

And its chars my heart to always hear you calling

Calling for the good old days

Cause there were no good old days

These are the good old days

Versteht ihr was ich meine?

Das Mädchen ruft an. Warum? Hat sie etwas vergessen? Ich treffe sie abends, zahle ihr den Drink und gebe mich von meiner schlimmsten Seite. Sie will trotzdem noch mit nach Hause. Von mir aus.

Ein Tag gleicht dem anderen, und während viele andere minder Privilegierte noch genießen könnten was ich habe, fühle ich mich dazu nicht mehr in der Lage. Es macht mich fertig dass die Welt wohl doch wirklich nur eine Antwort auf die Frage ist die man ihr stellt, und dass ich so ganz und gar unfähig bin die richtige zu stellen. Es könnte alles so einfach so sein, die äußeren Umstände betrachtet, aber entweder man ist mit dem Herzen dabei oder nicht, was man dann macht ist Nebensache. Ich habe bis heute nicht verstanden wieso M. so gern spazieren geht und sich dabei so gut fühlt. Für mich ist das nichts anderes als einen Schritt vor den anderen setzen. Das Wichtigste spielt sich unter der Oberfläche ab. Ich kann nur zustimmen.

Zuschauer des eigenen Lebens zu sein macht weder Spaß noch wäre den Eintritt wert, den man für jedes schlechte Theater zahlen muss. Ich sollte mich selbst auf die Bühne stellen. Kein Schauspieler war jemals so gut wie ich, auch wenn wohl niemand bereits zwanzig lange Jahre denselben Charakter spielt. Den meisten wird es nach ein, zwei Jahren schon zu öde, und auch ich hänge mir selbst schon zum Hals heraus.

Ich wusste nicht wie schnell es geht eine Demütigung zu vergessen. Etwas anderes war das letzte Nacht nicht, und doch lacht sie nun als hätte ich sie auf Händen getragen. Ihr Lachen ist gelöst und ich bin mir sicher dass es nicht gespielt ist. Sie küsst mich auf die Wange und alles hier macht den Eindruck als wären wir alte Freunde und nicht zwei Menschen, die sich nichts weiter zu sagen und nichts zu geben haben als ein wenig ihrer überflüssigen Zeit. Was sie noch von mir will ist mir nicht klar, bis sie sich näher zu mir lehnt und mir beginnt ins Ohr zu flüstern, und in dem Moment wird mir klar was nun kommen muss. Sie fängt an von den Dingen, die vor nicht und doch so langer Zeit geschehen sind, und ich kenne das Ende jeden einzelnen Satzes noch bevor sie ihn begonnen hat. Ich weiß ich sollte mich jetzt nicht langweilen, aber es gibt so vieles was ich sollte und doch nicht tue dass ich mich darum nicht weiter scheren kann. Ich gebe ihr die Zeit die sie braucht bis sie ihre Beschwörungen über die alte Zeit beendet hat, und auf ihren leeren und erwartungsvollen Blick daraufhin fällt mir nichts weiter ein als die Zeilen, die alles sind was ich nun brauche. It chars my heart to always hear you calling calling about the good old days. There were no good old days, these are the good old days. So oder ähnlich. Sie versteht nicht, und wie könnte sie. Wahrscheinlich wäre sie dann gar nicht hier.

C. kommt aus Paris zurück hat man mir heute erzählt. Hatte genug von allem oder was auch immer, der genaue Grund interessiert mich nicht. Wir kannten uns besser als sie noch hier war, so könnte man es vielleicht sagen, aber ich bin nicht so anmaßend zu glauben dass ein Mädchen wegen mir von irgendwo weit her zurückkommt und ihr Leben dort aufgibt. Es wird wohl vieles falsch für sie gelaufen sein, so genau muss ich es gar nicht wissen. Ich habe selbst Probleme, auch wenn man das nicht meinen möchte. Meine Dämonen wollen immer noch nicht von mir lassen, und all die profanen Dinge die ich zu meinem Amüsement tue heitern mich nie länger als einige Momente auf. In mir drinnen ist weiter nichts was weiß was Glück ist, und ich komme aus meiner Lethargie nicht mehr raus. Mir fällt immer Platons Höhlengleichnis ein, wenn ich die Menschen wie Schatten an mir vorbeiziehen sehe. Für einen realen Moment würde ich wirklich viel geben, aber wer immer diese anbietet, er will auf meinen Handel einfach nicht eingehen.

Es macht alles keinen Spaß mehr. Ich will nach Hause. Ich will nach Hause. Ich will wieder ein Kind sein und in meiner kleinen Welt leben und keine Angst vor etwas haben müssen. Ich will abends in meinem Bett liegen und das Gefühl haben, dass mir nichts auf der Welt passieren kann. Ich will mit meinen Freundinnen sein die ich alle schon ewig kenne und mit denen ich keinen Small Talk machen muss. Ich will zu Hause sein und mich zuhause fühlen, fühlen dass ich dort bin wo ich hingehöre und wo die sind für die ich alles bin. Ich habe keine Lust mehr die Welt zu erobern, die Welt kann mich mal. Ich will nicht mehr alles besser und größer und anders, und vielleicht ist gut dass ich erkenne wie gut das ist was ich habe. Ich will abends zuhause sein und wissen dass da jemand ist den es interessiert wie viel ich rauche und was ich esse und ob es mir denn gut geht und der alles für mich tun würde wenn ich nur danach fragen würde. Ich will bei denen sein die weinen wenn ich gehe.

Ich will ein Kind bleiben, ganz einfach, und wenn es feige ist. Kindheit ist purer Hedonismus, sonst nichts. Die Welt konnten wir erobern, so fühlte sich das an. Und jetzt, wie gesagt, kann  mir die Welt einfach nur den Buckel runterrutschen. Ich hätte alle ausgelacht wenn sie gesagt hätten dass sie die große Welt nicht brauchen, ihre kleine gefällt ihnen gut, und jetzt denke ich gleich und schäme mich nicht mal.

Scheiß auf Paris, denke ich mir.

Am nächsten Tag sitze ich im Flieger nach Hause. Nach Hause. Mir wird ganz warm ums Herz.

Baby Baby, sagt er und grinst. Da bist du also wieder. Ja da bin ich wieder, denke ich  mir, und es macht mir gar nichts aus dass du so gut aussiehst wie am Tag als wir uns verabschiedet haben, dass dein Grinsen nichts von dem Jungenhaften verloren hat das mir und allen immer so gut gefiel. Wie machst du das, will ich fragen. Wie schaffst du es, deine Dämonen so gut hinter einer Fassade zu halten und sie deinem Äußeren so rein gar nichts anhaben zu lassen?  Wie ist es, wenn sie dann am Abend oder des nachts oder wann auch immer wieder hervorkommen und sich ihrem Gebiet wieder behaupten? Alles das will ich ihn fragen, aber dann sage ich doch nur:

"Was hast du immer gemacht?"

"Jede Sekunde an dich gedacht." Das Grinsen straft ihn Lügen, aber es ist kein böses.

"Was hast du in Paris gemacht?"

"Dasselbe wie hier, nur wurde ich dort allem bald mal müde."

"Das wirst du hier auch bald."

"Ich glaube nicht."

"Glaubst du."

Ich will ihn fragen ob er auch müde ist, aber ich habe Angst dass er sagt "Sterbensmüde" und ich dann nicht weiß was ich sagen soll. Kleine Wörtchen hatten bei ihm schon immer größere Bedeutung. Ich würde mich dann vermutlich fühlen wie bei König der Löwen, wo der böse Onkel sagte dass die Überraschung "zum Sterben schön" sei, und ich dann eine schlimme Vorahnung hatte und leider ja auch recht damit.

"Geht es dir denn gut?", frage ich noch. "Was denkst du denn?", fragt er, und er lacht sein schönstes Lachen und sieht aus wie das blühende Leben. Aber er vergisst etwas. Ich erinnere ihn.

"Du hast mir vieles erzählt, und du weißt es genau. Du weißt von den Nächten bei dir zu Hause als wir wach waren und uns von allem erzählten vor dem wir uns fürchteten, und alles blieb in diesem Raum und niemand wusste je davon, und wenn wir raus kamen waren wir wieder die beiden denen nichts Angst macht und die in die Welt gehen als gehöre sie ihnen. Du hast mir erzählt wie unwirklich alles ist und so fern ist dass es dir manchmal zu denken gibt. Zu denken gibt, hast du gesagt, und in dein Gesicht war das eines kleinen Jungen der nicht allein das Haus verlassen will. Ich habe es nicht vergessen, auch wenn es dir lieber wäre. Du kannst hier stehen und so cool wie immer sein und der Welt dein lächelndes Gesicht zeigen, aber du solltest nicht vergessen dass hier wieder jemand ist der es besser weiß."

Ich weiß nicht ob er mich nur küsst damit ich endlich still bin, aber der Kuss ist so ruhig als hätte ich ihm gerade vom Anblick der Seine in der Dämmerung erzählt.

Wir haben hier nichts mehr verloren. Er nimmt mich an der Hand, und wir gehen ohne uns noch mal umzudrehen.

Wir gehen nicht nach Hause. Wir waren noch nie die ersten die nach Hause gingen, und daran soll sich auch nichts geändert haben. Wir gehen in den Club wo wir immer waren, und wir tanzen bis es hell wird. Wir wir wir – ich kann gar nicht genug kriegen von dem kleinen Wort, das heute so richtig klingt. Wir gehen als es schon hell wird, und ich hatte ganz vergessen wie schön der Morgen ist. Die Straßen sind leer und wir gehen ohne Eile, ich rauche eine Zigarette und er legt den Arm um mich. Ohne viel zu reden schlendern wir zu ihm, und wir lassen alle Taxis vorbeiziehen in stummer Abstimmung darüber den Weg zu Fuß zu machen. Wir kommen bei einem Bäcker vorbei der gerade aufsperrt, wir kaufen frische Croissants und essen sie im Gehen während wir uns an den Händen halten. Bei ihm angekommen werfe ich meine Kleider in eine Ecke und ziehe eines seiner weiten T-Shirts an, und wir fallen nebeneinander ins Bett und schlafen ein ohne ein weiteres Wort.

Als wir aufwachen verschwindet die Sonne schon fast hinter den benachbarten Häusern, und ich fühle mich verkatert als hätte ich letzte Nacht eine Orgie gefeiert. Sie streckt sich neben mir und wird langsam wach, und ich gäbe viel dafür dass sie noch ein bisschen weiterschlafen würde. Um den Moment zu vermeiden, in dem wir zu reden beginne n müssen, ich irgendetwas sagen und sie darauf etwas erwidern muss, gehe ich in die Küche und setze Kaffee auf. Die Sorge war umsonst, und die eine Kaffeetasse auch: Das Bett ist leer und mein Shirt, das sie sich geliehen hat, hängt über dem Stuhl. Ohne ein Wort ist sie verschwunden. Es macht mich weder wütend noch bin ich enttäuscht. Ich mag sie dafür nur noch ein bisschen mehr.

Auf dem Bett finde ich einen Zettel.

Like two doomend ships that pass in storm we had crossed each others way,

But we made no sign, we said no word, We had no word to say.

hatte sie drauf geschrieben.

Der gute Oscar. Er hatte einfach immer Recht.

Ich sitze im Taxi und lasse mich nach Hause fahren. Gestern ging es sich leicht, heute schmerzen meine Füße und mein Kopf ist schwer und voll von Gedanken, viel zu vielen um über einen genauer nachdenken zu können. So sollte es sein, mein Wiederkommen, das Wiedersehen mit ihm, und doch ist der Nachgeschmack ein anderer als der all der anderen Morgen, an denen ich wie eben von ihm wieder zu mir fuhr. Heute denke ich an meine Abneigung gegen wieder aufgebrühten Kaffee, und ob das alles nicht damit zu vergleichen sei. Ich war von hier fortgegangen in der Überzeugung, anderswo sei alles besser, und nun wo ich weiß wie schön es war gestern abend gerade weil es so vertraut war, befällt mich wieder meine alte Skepsis. Ich sollte es besser wissen, aber ich kann nicht aus meiner Haut. Ich fahre an einem Kino vorbei und sehe dass jetzt gerade eine Vorstellung beginnt. Ich bitte den Taxifahrer anzuhalten, zahle und kaufe eine Karte für den Film. Welcher es ist weiß ich nicht, und es interessiert mich gar nicht weiter. Alles was ich jetzt brauche ist eine Ablenkung von den Gedanken, die in meinem Kopf herumgeistern.

Ich bin allein und es stört mich nicht. In der Pause gehe ich nach draußen und rauche eine. Gegenüber von mir steht ein hübscher Mann und sucht in seinen Taschen nach einem Feuerzeug. Ich trete an ihn heran und gebe ihm mit einem Lächeln Feuer. Es sollte kein Flirten sein, es kam ganz von allein. Er lächelt zurück und zieht tief an seiner Zigarette ohne den Blick von mir zu lassen. "Wie gefällt dir der Film?", fragt er. "Ich hasse Small Talk", meine ich nur und lächle weiter. "Die Dialoge sind ja gar nicht so schlecht", antwortet er und hebt am Ende des Satzes seine Stimme. Es klingt wie eine Frage, nicht bestimmt, nur vorsichtig. Er hat mich falsch verstanden, ganz falsch. In Gedanken schweife ich ab und denke an mein erstes Treffen mit ihm, dem an den ich gerade jetzt nicht denken wollte.

Ich war betrunken, er war betrunken, es war in einem Club und es war schon früh. Wir tanzten auf den Tischen, einfach weil wir nichts Besseres zu tun hatten. Irgendwann setzte ich mich kurz hin um eine zu rauchen, und bevor ich mein Zippo hervorkramen konnte hatte er mir schon ausgeholfen. Ich wusste wer er war, vom Sehen kannte man sich eben. Ich wusste auch dass er gerne aufriss, und ich hoffte dass er es nicht auch bei mir versuchen wollte. Ich langweilte mich auch so genug. Er konnte es nicht lassen. Ein Grinser hier, ein Lächeln da, und seine Absichten waren klar. "Was spielen sie da?" fragte er mit Blick auf den DJ. "Das trunkene Lied", sagte ich und kippte zum Beweis meinen Drink hinunter.

"Die Nacht ist eben tief", meinte er und sah mir in die Augen, und sein Ausdruck hatte sich geändert. Dafür dass er mein Lieblingsgedicht verstand wollte ich ihm danken, und ich nahm ihn mit nach Hause. Dort nahmen wir uns die Ewigkeit die wir brauchten.

Er hatte mich verstanden, damals und in jeder meiner Launen die andere niemals begriffen.

Die Schlange von Menschen, die sich wieder ins Kino quetschen holt mich wieder in die Gegenwart zurück. Ich schließe mich ihnen an, setze mich brav hin und bin den ganzen restlichen Film über seltsam ruhig.

Ich bin wie ein trockener Alkoholiker der seinem alten Laster wieder verfällt. Ich schlug mich immer gern mit meinen Dämonen herum, das war unser gemeinsames Hobby. So wie anderer Pärchen in die Oper gehen oder spazieren, so sinnierten wir über die Sinnlosigkeit unseres Daseins, und wenn wir morgens nach Hause gingen hatten alle Ereignisse der Nacht keine Spuren an uns hinterlassen. Dann war sie weg, ging fort nach Paris, und allein machte das alles keinen Spaß mehr. Und gerade als ich mein Lebensmodell überdenken wollte taucht sie wieder auf. Ungefragt, selbstverständlich, so wie gestern abend alles selbstverständlich war. Ich bin rückfällig geworden, ich hatte auch keine Wahl. Wir machten da weiter wo wir aufgehört hatten vor dieser langen Zeit, und es fühlte sich alles richtig an. Heute ist alles falsch, und so gern ich sie habe, wir hängen zusammen mit unseren Fesseln an einem Punkt fest, der seinen Reiz verloren hat. Ich will sehen ob ich mich losreißen kann, und wenn sie mitkommen will bleibt die Hoffnung bestehen, irgendwann mit ihr im Garten zu sitzen bei Kaffee und Kuchen und den Kindern und dem Hund um uns herum.

Ich tanze mir die Nächte um die Ohren. Die Musik ist zu gut um still stehen zu bleiben. Ich kann endlich den Blödsinn vergessen mit dem ich mich momentan viel zu viel beschäftige. Mein alter Hedonismus erobert sich sein Terrain zurück. Gut so. Es geht weiter, und ich weiß nicht wohin. Es kümmert mich nicht. Es kann mir nichts geschehen. Meine Welt sorgt für mich. Ich habe keine Angst mehr. Irgendjemand da oben hat noch etwas vor mit mir, und was es auch ist, es soll mir recht sein.

Ich liebe es wenn sie glaubt sich selbst vergessen zu haben. Nie ist sie mehr sie selbst, und weiß es nicht. Sie will es auch gar nicht wissen, und um ihre Illusion nicht zu zerstören, betrachte ich sie einfach weiter und sage nichts.

Ich weiß nicht warum, aber jede Nacht endet immer wieder in seinen Armen. Ich habe es nie vor, aber es geschieht immer in einer Regelmäßigkeit, die schon an Gewohnheit grenzt. In den Nächten wo ich beschließe alles zu vergessen, womit wir uns in unserer Zweisamkeit ständig quälen, finden wir uns am Morgen immer wieder nebenaneinander wieder, und ich weiß nicht wie das passieren konnte. Es scheint anfangs immer wie der notwendige Abschluss der Aufführung, aber am Ende ist niemand da der uns applaudiert. Wir gehen immer denselben Weg, der doch nur wieder an den Anfang führt, und ich habe das Gefühl, wenn ich nur einmal einen anderen Ausgang aus dem Abend finden würde, wäre das ganze Spiel ein anderes. Den Kreis durchbrechen, so könnte man das vielleicht nennen was ich tun sollte. Nur habe ich das Gefühl danach in die Leere zu fallen, und weil in mir selbst nichts als solche ist, könnte ich es wohl nicht ertragen auch noch von ihr umgeben zu sein.

Es ist ein Desaster.    

Was wissen wir denn schon?

Alles, würdest du sagen, und ich würde wirklich glauben dass du das ganz genau so meinst. Aber es ist nicht mehr so wie es war. Vielleicht wussten wir mal alles, du von mir, ich von dir, und auch sonst alles was es zu wissen gab. So groß war unser Wahn. Und jetzt? Was machen wir jetzt, wo klar ist dass wir genauso viel vom Leben wissen wie die Kuh vom Gras das sie frisst. Wir sollten weiter lachen ob unserer Unwissenheit. Solange das Leben uns noch nicht sein wahres Gesicht zeigt, sollten wir es weiter als ein reines Vergnügen sehen. Aber die Ahnung, dass es doch noch etwas zu wissen gibt, lässt uns nicht schlafen.

Wir liegen wieder nebeneinander im Bett, verschwitzt, leer. Es war nichts Fröhliches an diesem Abend gewesen, es war wie immer dasselbe Trauerspiel in einer herrlichen Inszenierung. Es hatte immer etwas Verzweifeltes an sich, wie wir uns küssten und hielten und zur Ekstase brachten. Dunkle Schatte haften wie eh und je über uns, und es musste ja so kommen.

Du hast die Augen geschlossen, aber ich weiß dass du nicht schläfst. Ich tue als ahnte ich nichts von deiner Schlaflosigkeit und als wisse ich nicht, dass du nie einer von denen warst, die sich danach zur Seite drehen und den Schlaf der Gerechten schlafen.

Wo bleibt die Zigarette?

Auch schön

Vorige Woche: Die große Illusion
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34 / 2008
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