Großstadt

Londons Taktgefühl

Soho gleicht einer fränkischen Kleinstadt, die irgendwann nach der letzten Kinovorführung ihre Gehsteige hochklappt und gute Nacht sagt. Von wegen "Bustling Metropolis."

von Ronit Wolf

Londons Rhythmus ist nicht überraschend, geschweige denn großstädtisch. London ist alles in allem relativ absehbar. Man ertappt sich sehr schnell dabei, Automatismen zu entwickeln, die in der britischen Hauptstadt fabelhaft funktionieren, denn nach spätestens einem Monat merkt jeder, wie die Stadt tickt. Zum Beispiel lautet eine einfache Regel: Geh nie freitags in den Pub, besser samstags – und sonntags nicht zu spät. Es gibt leider keine Ausnahme dieser Regel und das macht London eben absehbar. Jetzt werden begeisterte London-Touristen aufschreien: "Aber, aaaber...!" Ich berichte hier nicht vom Trocadero, ein bekanntes Einkaufszentrum, in dem Schulklassen bis 7 Uhr abends Auto-Scooter fahren und sich vor dem Diner noch kiloweise Marshmallows einwerfen – das ist natürlich das pralle Leben. Nein, ich denke hier an die Pubs, die über das Stadtzentrum verteilt sind und in die jeder geht, der das, was er tagsüber tut, als Arbeit bezeichnet.

FREITAGS, punktgenau zu Geschäftsschluss, flüchtet man ins Pub, um die stressige Arbeitswoche wegzusaufen. Nach so einem Freitags-Pub-Besuch wird man in der Regel die folgenden zwei Stunden zu Hause seinen Partner auf der Couch anschreien. Nicht aus Zwist, sondern weil man einfach nichts hört. So viel zu den Nebenwirkungen eines Pub-Tinnitus.
Ohnehin sollte man lieber samstags ins Pub. Da sind die wahren Londoner "Clubbing" und die Straßen wie leergefegt. Für uns bedeutet das: Pub ohne Tinnitus, ohne Quetschungen, Heiserkeit und vor allem ohne diese Ausroll- Leinwände, die von den Decken fallen und einen zu Rugby- oder Fußball-Partys zwingen.

Sonntags könnte wiederum alles an deiner Schnelligkeit liegen. Pub ist möglich, aber flott! Denn um spätestens 22:00 Uhr stellt der Wirt die Stühle auf den Tisch – am nächsten Tag müssen alle ja wieder fleißig zur Arbeit gehen. Überhaupt ist Sonntagabend die totale Schlappe in der Stadt. Außer Touristen und Leuten, die sich Texte über London aus den Fingern saugen, trauen sich einzig Bettler aus ihren Behausungen. Von wegen "Bustling Metropolis".  Dem Geschäft macht frühzeitiges Schließen, schlechtes Pup-Food oder Lautstärke natürlich nichts aus, denn für das Publikum gibt es ohnehin keine Ausweichmöglichkeit. Nächste Woche sind die Stammgäste  wieder da, und das Barpersonal kennt sie wie eh und je sowieso nicht.

Unlängst hatten wir Freunde aus Düsseldorf hier, die einen Draufmachen wollten, es ging wohl um das Großstadtgefühl  in so einer berühmten City wie London. Gesagt getan, nach einer Party traten wir nachts auf die Straße, um eine Location für ein gediegenes Diner ausfindig zu machen. Es schlug gerade erst Mitternacht, aber wir fanden nichts. Selbst die Springbrunnen waren eben abgestellt worden, da sie ohnehin keiner mehr beachtete. Die sprichwörtlichen leeren Plastiktüten blähten sich durch die Gässchen und Müll klapperte im berühmten Londoner Nebel. Soho glich eher einer fränkischen Kleinstadt, die irgendwann nach der letzten Kinovorführung gegen 22:00 Uhr ihre Gehsteige hochklappt und gute Nacht sagt.

Da guckten unsere Düsseldorfer nicht schlecht, und planten schon am nächsten Tag einen Abstecher nach Schottland.
 

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31 / 2008
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