Einwanderung
Anstiftung zur Ehe
Ihr wollt meinen Freund nicht einreisen lassen? Dann Heiraten wir eben! Wie die Deutsche Botschaft ein Visum verweigerte und damit eine Hochzeit bewirkte.
Dass sie sich doch noch küssen würden, damit hatte Lena gar nicht mehr gerechnet. Es war der 10. September 2006, seit fast zwei Monaten war sie nun schon in Nigeria – und seit einigen Wochen hatte sie ein heftiges Kribbeln im Bauch, jedes Mal, wenn sie Taiwo sah. Sie hatten sich in Imagbon kennen gelernt, einem kleinen Dorf, in dem Lena ehrenamtlich beim Bau einer Stadthalle half.
Abends saßen sie oft zusammen und unterhielten sich, er brachte ihr ein paar Worte in seiner Sprache Yoruba bei, sie ihm ein bisschen Deutsch. "Als ich dann zu meiner Gastfamilie nach Lagos gefahren bin, dachte ich, ich sehe ihn nie wieder", erinnert sich die 24-jährige Journalistik-Studentin. Doch zwei Tage später stand Taiwo vor ihrer Tür, er war ihr unangekündigt nachgereist. Wieder redeten sie bis tief in die Nacht, wieder hatte Lena das unbestimmte Gefühl, irgendwie könne der gut aussehende Nigerianer mit seinen freundlichen Augen in sie hineinsehen. Und dann kam der Kuss, plötzlich nachts im dunklen Flur.
In einem Monat werden Taiwo und Lena nun heiraten. Natürlich soll es ein schöner Tag werden, romantisch und aufregend. Einen schmachtenden Antrag gab es aber nicht. Vielmehr ist ihre Entscheidung der deutschen Einreisepolitik zu verdanken, die bisweilen absurde Züge annimmt. Die deutschen Behörden haben Taiwo die Einreise verweigert. Der Gang zum Standesamt ist nun die einzige Chance für das Paar, zusammen zu sein. Lenas und Taiwos Geschichte ist eine, die bezeichnend ist für die Situation vieler deutsch-afrikanischer Paare.
Zurück in das Jahr 2006: Zehn Tage nach ihrem Kuss saß Lena mit verweinten Augen im Flugzeug nach Leipzig. Dass sie Taiwo wieder sehen würden, daran zweifelte sie nicht. Doch sie wusste, dass bis zu ihrem nächsten Treffen Monate vergehen würden. Nach hunderten E-Mails und horrenden Telefonrechnungen entschied sich das Paar Anfang 2007: sie wollten sich wiedersehen. Taiwo sollte zu Besuch nach Deutschland kommen.
Dafür musste Lena eine Erklärung unterschreiben, dass sie für ihn hafte, und zur Sicherheit 2550 Euro auf einem Sparkonto hinterlegen. Wochenlang lief sie zwischen Ausländerbehörde und Sparkasse hin und her, weil die Anweisungen sich ständig änderten. Erst sollte sie das Sparbuch bei der Behörde hinterlegen, dann wieder bei der Bank. "Nach dem vierten Termin bin ich weinend aus dem Büro gelaufen", erzählt Lena. Bei der Leipziger Ausländerbehörde kann man sich das Drama heute nicht mehr erklären: "Normalerweise muss man nur das Sparbuch bei der Bank hinterlegen, ein Formblatt ausfüllen und im schlimmsten Fall ein paar Stunden warten", sagt Frank Werner, zuständig für die so genannten Verpflichtungserklärungen.
Als die Erklärung nach zwei Monaten schließlich in Nigeria ankam, musste Taiwo sie mit seinen Unterlagen bei der Deutschen Botschaft einreichen. Um dort einen Termin zu bekommen, sollte er eine Handynummer anrufen, die an vier Tagen die Woche ab sieben Uhr morgens frei geschaltet war – für genau eine halbe Stunde. Fast acht Wochen lang riefen Lena, Taiwo und seine ganze Familie abwechselnd in aller Frühe an, bis sich schließlich jemand meldete. Einige Tage später reihte sich Taiwo in die langen Warteschlangen vor der Botschaft. Obwohl er alle Papiere mitgebracht hatte, die der offizielle Merkzettel verlangte, sollte es nicht das letzte Mal sein: Zusätzlich brauche man noch eine Passkopie von Lena und seine Kontoauszüge. Einen neuen Termin? Dafür sei ja die Hotline da.
"Da ist mir wirklich der Kragen geplatzt", erinnert sich Lena. "Seit vier Monaten hatten wir uns nicht gesehen – und dann schon wieder so ein Rückschlag. Das war unglaublich zermürbend." Weil sie ihrem Ärger irgendwie Luft machen musste, formulierte sie einen Brief an Außenminister Frank-Walter Steinmeier und den Deutschen Botschafter in Nigeria.
Sie schrieb, dass die Visums-Vergabepraxis eine Verletzung der Menschenrechte sei. Dass sie alles nach Vorschrift gemacht habe – ein Einladungsschreiben verfasst, eine Krankenversicherung für Taiwo abgeschlossen, ein Konto verpfändet. Dass ihr Freund einen Universitätsabschluss habe und einen Job als Manager einer Gärtnerei, seine "Rückkehrbereitschaft" also beweisen könne. Und, dass sie sich an die Öffentlichkeit wenden würde, sollten ihre Bitten, den Fall zu überprüfen, folgenlos bleiben.
Später, als Taiwos Touristenvisum schon ausgestellt war, schickte der Botschafter eine Antwort. Es tue ihm leid, das Terminvergabesystem werde gerade geändert, da sei es zu Komplikationen gekommen – und ihre Beschwerden über das Verhalten der Sachbearbeiterin nehme er ernst. Sie müsse aber auch verstehen, dass seine Mitarbeiter stark unter Druck stünden und die Antragssteller häufig unfreundlich seien.
Als Lena Ende Mai schließlich in Berlin am Flughafen stand, war das alles vergessen: Drei Monate lang würde Taiwo bei ihr sein – ihr Freund, der noch nie in Europa und noch nie in einem Flugzeug gewesen war, den sie das letzte mal vor mehr als acht Monaten gesehen hatte. Er machte einen Deutschkurs an der Volkshochschule, lernte ihre Familie kennen, ließ sich von ihren Leipziger Mitbewohnerinnen deutsche Sprichwörter beibringen. Und als sie sich am Flughafen zum Abschied in den Armen lagen, war klar, dass beide es ernst meinten. Im November sollte Taiwo wiederkommen, mit einem Visum für einen weiteren Sprachkurs.
Das Visum hat er nie bekommen. In der Absage hieß es, für einen Deutschkurs brauche er nicht nach Deutschland reisen, zudem sei seine Rückkehrbereitschaft anzuzweifeln: Die Behörden befürchteten, er könne seine Freundin heiraten. Erst in einem halben Jahr hätte Taiwo erneut einen Antrag stellen können – mit den gleichen Erfolgsaussichten. "Das war ein Schlag ins Gesicht", sagt Lena. "Taiwo ist der Mann, mit dem ich mein Leben verbringen möchte – aber mit dem Heiraten hätte ich gerne noch ein paar Jahre gewartet."
Dass sein Visum abgelehnt wurde, habe sie dann zur Eile gedrängt. Eine Hochzeit war die einzige Chance, zusammen zu sein. "Ich habe mich nicht gefühlt, als würde ich zur Ehe gezwungen, aber ich war wahnsinnig sauer auf die Behörden, dass sie uns so viele Steine in den Weg gelegt haben." Die Deutsche Botschaft hat also genau das bewirkt, was sie eigentlich verhindern wollte:
Am 20. September werden Taiwo und Lena in Nigeria heiraten, in traditionellen weißen Gewändern, mit lokalen Spezialitäten und lauter Musik. Für die Nachbarschaft wird es ein ungewöhnlicher Anblick: Sie, die große Deutsche mit heller Haut und braunen, glatten Haaren, neben ihm, etwas größer, mit dunkler Haut und tiefschwarzem Kraushaar. Lenas Vater, ihre beiden Brüder und ihr Cousin haben die Flüge schon gebucht. Sie haben Lenas Entscheidung unterstützt – besonders ihr ältester Bruder, der seine russische Frau aus den gleichen Gründen früher geheiratet hat als geplant.
Von anderen Verwandten kamen anfangs Sätze wie "Ich hatte gehofft, dass es nicht so weit kommt". Das habe sie verletzt, gesteht Lena. "Aber mittlerweile haben alle begriffen, dass ich es wirklich ernst meine." Die Odyssee durch die Behörden wird mit der Hochzeit allerdings noch lange nicht vorbei sein – sie fängt erst an.
Nachdem das Paar die Ringe getauscht hat, muss Taiwo wieder zur Deutschen Botschaft – mit sämtlichen Papieren, die sein Leben dokumentieren, vom Grundschulzeugnis bis zum letzten Wohnsitz. Außerdem muss er Zeugen benennen, die seine Angaben gegenüber Vertrauensanwälten bestätigen können.
Zuletzt kommt der Scheinehen-Test. Dafür werden Taiwo und Lena gleichzeitig befragt: Er von der Botschaft in Nigeria und sie in Leipzig von der Ausländerbehörde. Nach den zukünftigen Schwiegereltern zum Beispiel, dem Lieblingsessen oder dem letzten Weihnachtsgeschenk. Insgesamt dauert die Prozedur sechs bis acht Monate, manchmal auch länger. Danach kann Taiwo jedoch keiner mehr die Einreise ins Heimatland seiner Frau verwehren. "In ungefähr einem Jahr sind wir zusammen in Deutschland", sagt Lena und strahlt.
30 /
2008
ZEIT online