Staatsgründung

Wir fangen noch mal an

Bestehende Gesellschaften kann man nicht verändern, glaubt Patri Friedmann. Er will schwimmende Staaten im Ozean errichten, in denen Menschen so leben, wie sie wollen

Ein Interview

Patri Friedman ist unzufrieden mit den Staaten, die es auf der Welt schon gibt. Deshalb will er neue bauen. Auf Plattformen im Ozean. Um das zu verwirklichen, gründete der ehemalige Google-Softwareingenieur das Seasteading Institute . Wir haben Mr. Friedman gefragt, warum es Staaten auf dem Wasser geben muss und wie das gehen soll.

Zuender: Mr. Friedman, warum sollte ich meine gemütliche Wohnung verlassen, um auf eine entlegene Plattform im Ozean zu ziehen?

Patri Friedman: Ich bin mir nicht sicher, ob Sie das wollen. Aber es gibt viele Menschen, die nicht damit zufrieden sind, wie ihre Gesellschaften funktionieren. Sie haben neue Ideen für Regeln, nach denen sie leben wollen. Sie werden Menschen finden, die ähnlich denken, auch nach diesen Regeln leben und eine neue Form von Staat gründen wollen.

Zuender: Wäre es nicht sinnvoller, schon existierende Gesellschaften an Land zu verändern?

Friedman: Das wäre in jedem Fall besser – wenn es möglich wäre. Aber so wie existierenden Staaten funktionieren, wie dort Wandel stattfindet, ist es kaum realistisch, wirklich etwas zu erreichen. Wenn Sie sich die Regierung eines Staates als Teil einer Industrie vorstellen, dann sehen sie: Es findet kaum Wettbewerb statt, und es ist ziemlich schwer, einen neuen Staat aufzubauen. Die Kunden, also die Bürger eines Staates, sind außerdem über extrem lange Zeiträume an Regierung und Staaten gebunden. Vergleichen Sie das mal mit einem Handy-Vertrag über ein oder zwei Jahre! Es ist sehr schwierig und teuer, von einem Land in ein anderes zu gehen. Und die Regierungen haben keine Anreize, es besser zu machen, weil die Bürger so oder so da sind.

Zuender: Auf dem Ozean soll es das alles nicht mehr geben?

Friedman: Auf dem Ozean wollen wir diese Nachteile beseitigen. Wir wollen die Schwimm-Städte aus modularen Einheiten bauen. Wenn jemand auf eine Stadt keine Lust mehr hat, schwimmt er einfach zu einer anderen und schließt sich dieser an. Städte könnten sich frei entscheiden, welchem Land sie sich anschließen wollen und so weiter. An Land ist das nicht möglich, kein Land der EU zum Beispiel kann einfach wegschwimmen und sich einem anderen Bündnis anschließen. Es ist vielleicht nicht ganz billig, aufs Meer zu ziehen. Es ist aber auf jeden Fall besser, als an Land zu leben.

Zuender: Wenn nun viele Menschen ihre Land-Existenz aufgeben und sich  schwimmenden Staaten anschließen, würde das nicht zum Problem für konventionelle Staaten werden?

Friedman: Das hoffe ich. Dann würde es endlich etwas Wettbewerb in der Staatenindustrie geben, Regierungen hätten endlich mehr Anreize, besser zu arbeiten.

Zuender: Die Idee hört sich erst einmal gut an. Aber ist das nicht eher ein Luxusprojekt für eine zahlungskräftige Elite? Was hätten normale Bürger davon?

Friedman: Staaten an Land tendieren dazu, eher die Eliten zu bevorzugen als den Durchschnittsbürgern zu dienen. Eliten haben auch Vorteile, wenn es zum Beispiel zu einem Gerichtsprozess kommt, weil sie sich einfach die besseren Anwälte leisten können. Unser Projekt würde nicht eine Elite bevorteilen, sondern Idealisten. Menschen, die eine sehr genaue Vorstellung davon haben, wie sie leben wollen. Das ist eine Minderheit, aber diese Minderheit ist groß genug, um neue Länder auf dem Meer zu gründen. Sie wäre aber zu klein, um in einem demokratischen Land etwas zu verändern.

Zuender: In den Schwimm-Staaten sollen Menschen leben können, wie sie wollen, ohne sich staatlichen Reglements und Staaten unterwerfen zu müssen. Was aber, wenn jemand auf einer der Plattformen ein faschistisches Regime errichtet und Menschen tötet? Wieviel sollen die Schwimm-Staaten dürfen, wo zieht man eine Linie?

Friedman: Wenn einer der Schwimm-Staaten einen anderen attackiert, dann muss man sich verteidigen können. Das ist klar. Schwerer zu beantworten ist die Frage, was passiert, wenn innerhalb von Gesellschaften Menschen schlecht behandelt werden. Unsere Idee ist: Solange die Menschen frei entscheiden können, welcher Gesellschaft sie sich anschließen, müssen wir uns nicht darum sorgen, was innerhalb einer Gesellschaft passiert. Denn die Bewohner haben sich diese Gesellschaft ja freiwillig gewählt. Natürlich gibt es Sonderfälle, etwa wenn es um Kinder geht oder wenn Staaten keine Informationen von außen ins Land lassen. Dann müsste man eingreifen.

Zuender: Welche Rolle würden dann universelle Menschenrechte spielen?

Friedman: Die einzelnen Gesellschaften sollten selbst festlegen, was für sie Menschenrechte sind. Sie dürften aber nicht dem Rest der Welt schaden, die Umwelt verschmutzen oder Massenvernichtungswaffen entwickeln. Ein wichtiger Teil unserer Idee ist, dass wir so viele verschiedene Gesellschaften wie möglich schaffen. Mit unterschiedlichen Rechten und Regeln. Als Experiment, um zu sehen, wie sie funktionieren. Wenn wir den Staaten vorschreiben würden, an welche Menschenrechte sie sich zu halten haben, wäre das Experiment sinnlos.

Zuender: Die Menschen in den Schwimm-Staaten müssen auch von etwas leben. Sind ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten nicht sehr beschränkt durch das Leben auf dem Wasser?

Friedman: Wirtschaftliche Fragen sind tatsächlich das größte Problem. Deshalb sollten unsere Inselstaaten wirtschaftlich so stark wie möglich mit dem Rest der Welt verknüpft sein und Handel treiben. Auch Inselstaaten- oder –städte ohne eigene Rohstoffvorkommen können sehr wohlhabend sein. Hongkong ist das beste Beispiel.

Zuender: Wie sollen die Menschen Partner finden und sich fortpflanzen, wenn sie so wenig Auswahl haben?

Friedman: Es wird viele Urlaubsreisen geben. Wenn Sie in einem kleinen, abgelegen Dorf an Land leben, besuchen sie ja auch hin und wieder größere Städte. Was in kleinen Orten funktioniert, wird auch in Schwimm-Staaten funktionieren. Außerdem werden die Plattformen mobil sein. Mehrere schwimmende Städte oder Staaten könnten sich dann zum Beispiel für ein Festival zusammenschließen.

Zuender: Wären diese Gesellschaften nicht trotzdem Völker von Kulturbanausen, weil es nur wenige Kinos oder Theater auf den Plattformen gäbe?

Friedman: Niemand wird das ganze Jahr auf einer Plattform leben.  Ich auch nicht. Vielleicht knapp zwei Drittel eines Jahres. In der restlichen Zeit kann man andere Länder und Städte besuchen und sich die Kultur holen, die man braucht.

Zuender: Würden die Plattformen nicht zu Umweltproblemen im Ozean führen?

Friedman: Die Schwimm-Staaten dürfen dem Rest der Welt nicht schaden. Sie dürfen also auch die Umwelt nicht verschmutzen. Und Ozeane sind ohnehin recht widerstandsfähige Ökosysteme. Aber Plattformen könnten die Umwelt sogar entlasten. Wir wollen Fischfarmen bauen, die es bisher vor allem an Küsten und in Seen gibt, auf dem offenen Meer würden sie weniger Schaden anrichten.

Zuender: Was wird ein Schwimm-Staat kosten?

Friedman: Wir wollen hier in der San Francisco Bay zunächst eine Test-Insel bauen, die einige hundert Quadratmeter groß sein wird. Diese wird knapp eine Million Dollar kosten. Für größere Plattformen auf offener See müsste man ein paar Dutzend Millionen investieren. Dört könnten dann allerdings auch hunderte Menschen leben. Der Quadratmeterpreis würde dann bei einigen hundert Dollar liegen.

Zuender: Ihr Ziel ist, auf den Plattformen unabhängig von anderen Staaten leben zu können. Wie wollen sie das erreichen?

Friedman: Im Idealfall können wir die Plattform in internationalen Gewässern errichten und mit einigen Staaten Veträge abschließen. Diese Länder würden uns dann gewähren lassen, wenn wir gewisse Bedingungen erfüllen. Bis wir soweit sind, wird aber noch viel Zeit vergehen. Bis dahin können wir die Plattformen unter einer „Flag of Convenience“ betreiben. Das heißt, wir tragen etwa die Flagge Panamas, gehören dann rechtlich gesehen zu diesem Staat, der uns aber in Ruhe lässt.

Fragen von Stefan Kesselhut

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23 / 2008
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