OBDACHLOSE

Auf den Straßen von Hamburg

Da, wo ich herkomme, sind die Menschen sehr arm. Aber niemand muss unter einer Brücke schlafen. Warum gibt es in Deutschland Obdachlose?

Von Eric Segueda

Eric wurde in Ouagadougu, Burkina Faso, geboren und wuchs dort auch auf. Gerade absolviert er ein Praktikum in der Zuender-Redaktion

"Burkina Faso ist ein Entwicklungsland, aber nur Narren essen und schlafen draußen", singt Zêdes, ein Sänger aus Burkina Faso, in einem seiner Lieder. Tatsächlich gibt es keine Obdachlosen in Zêdes' Heimatland – obwohl es zu den ärmsten Staaten der Welt gehört.

In Westeuropa dagegen leben Menschen Tag und Nacht auf der Straße. Sie schlafen auf Kartons, in Einkaufsstraßen, auf Parkbänken.

Im Jahr 2006 hatten knapp drei Prozent aller Deutschen keine Wohnung, allein in Hamburg gibt es mehr als zweieinhalbtausend Obdachlose.

Warum ist das so – in einem der reichsten Länder Welt – wollte ich wissen.

Es ist 22:30 Uhr, der Mitternachtsbus der Hamburger Diakonie hält wie jeden zweiten Abend am Bahnhof Altona, von hier geht die Fahrt dann weiter zu den Schlafplätzen der Obdachlosen in der Innenstadt. Auf der Ladefläche: Getränke, Essen und Kleidung. Die Obdachlosen kommen zu dritt oder zu viert an den Bus und warten auf ihre Mahlzeiten. Ich möchte mit einigen von ihnen sprechen, warte aber erst einmal in einer Ecke, damit sie  in Ruhe essen können.

Dann frage ich, ob sie mir ein Interview geben möchten. Die meisten wollen nicht. Einige beschweren sich, fragen laut: „Was machst du hier mit diesem Aufnahmegerät?“ Manche aber wollen erzählen, warum sie auf der Straße leben und was es bedeutet, kein Zuhause zu haben.

Jörg fühlt sich von Behörden schlecht behandelt. Er ist es leid, von Amt zu Amt zu gehen, hat seine vom Staat finanzierte Wohnung gekündigt und lebt seither auf der Straße.

Peter * möchte nicht alles tun, was ihm sein Vermittler in der Arbeitsagentur vorschreibt. Seine Wohnung musste er deshalb aufgeben.

Frank * müsste eigentlich nicht auf der Straße leben. Seinen gut bezahlten Job und seine Wohnung hat er aber aufgegeben, da er sich auf der Straße wohler fühlt.

Martin * nahm bereits während seiner Jugend Drogen und musste aus der Wohnung der Eltern ausziehen. Das Leben auf der Straße macht ihn unglücklich, er möchte sein Leben deshalb so schnell wie möglich ändern.

Karsten * ist noch nicht obdachlos, hat aber Angst, dass er es bald sein könnte. Vor kurzem hat er seinen Job verloren und lebt nun so sparsam wie möglich, um nicht auf der Straße leben zu müssen.

Norbert * wurde entlassen, weil seine Firma dutzende Arbeitsplätze durch Computer ersetzt hat. Er glaubt, mit 48 keine Arbeit mehr finden zu können.

Jutta und Andreas * glauben, dass die Arbeitsagentur ihrer Aufgabe nicht gerecht wird. Die Agentur wollte die ehemalige Wohnung des Paares nicht mehr bezahlen, deshalb leben die beiden jetzt auf der Straße.

* Alle Namen wurden von der Redaktion geändert




Auch wichtig
Beograd Gazela: Reiseführer in ein Elendsviertel
Etwa 1000 Menschen haben in einer Hüttensiedlung nahe der Belgrader Altstadt ein vorläufiges Zuhause gefunden. Außerhalb des Viertels sind sie einfach nur Zigeuner »
Selim Özdogan: Jeder ist eine Randgruppe
Frauen, Migranten, Süchtige, Vorbestrafte, Obdachlose: Wer diskriminiert eigentlich wen? »
Startseite – Zuender. Das Netzmagazin

19 / 2008
ZEIT ONLINE