Transnistrien

Hammer, Sichel, Cognac

An der Außengrenze der EU pflegt die international nicht anerkannte Republik Transnistrien ihren eigenen Kult – mit Waffengewalt und Sowjet-Reliquien

Von Arne Semsrott

„Die Menschen wollen keinen anderen Präsidenten!“ Elena beißt auf ihre Lippen und überlegt lange, wie sie den nächsten Satz auf Englisch ausdrücken könnte. Die Sprache liegt der Kindergärtnerin nicht, hier in Transnistrien sprechen die Menschen meistens Russisch. „Und er macht einen guten Job“, sagt sie dann. „Warum brauchen wir also jemand anderen als Smirnow?“

Smirnow, Igor heißt er mit Vornamen, ist der Präsident der Republik Transnistrien, einem Teil Moldawiens , der Anfang der neunziger Jahre seine Unabhängigkeit erklärt hat. Seit dieser Zeit auch ist Igor Smirnow Präsident, und ein beliebter dazu. Sagt zumindest Elena.

Galerie: Bilder aus Transnistrien

Galerie: Bilder aus Transnistrien

Als die Sowjetunion zusammenbrach und aus der ehemaligen Sowjetrepublik Moldawien ein unabhängiger Staat wurde, fürchteten viele Russen, die in den Jahrzehnten zuvor in der Region angesiedelt wurden, dass das Land sich mit seinem großen Nachbarn Rumänien vereinigen könnte. Die Ängste schaukelten sich hoch, so dass Smirnow im Jahr 1992 nach einem mehrere Monate dauernden Konflikt den Nordosten Moldawiens zur Republik Transnistrien erklärte - mit militärischer Hilfe durch Russland. Elena fasst diese Zeit zusammen: „First police on horses. Then police on tanks.“

Frauen hetzen in Minirock und hohen Stiefeln über die grauen Straßen der transnistrischen Hauptstadt Tiraspol, auf denen sich alte Ladas mit dicken BMWs Wettrennen liefern. Werbetafeln kündigen den neuen Disney-Film an, daneben wird mit Hammer, Sichel und Lenin die Standfestigkeit des transnistrischen Staates angepriesen. Auf einem großen Platz, nahe der Liebknecht- und der Leninstraße, steht ein Panzer aus dem Bürgerkrieg, auf den Soldaten „Sieg!“ geschrieben haben. Und an der Ecke blickt Ché Guevara gemeinsam mit Wladimir Putin mürrisch von Plakaten auf die Passanten herab.

Transnistrien ist eine Region voller Kontraste – und der größte Sowjet-Freizeitpark der Welt.

Dass die Quasi-Diktatur, die noch nicht einmal vom engsten Partner Russland anerkannt wird, trotz ihres illegalen Status teilweise einen westlichen Lebensstandard erreicht, liegt vor allem an der Schwerindustrie, die einen Großteil der Wirtschaftskraft Transnistriens ausmacht. Im Gegensatz zum restlichen Moldawien finden sich in Transnistrien Stahlwerke, Textilindustrie und Elektrizitätswerke. Mit Hilfe des russischen Gases, welches das Land nicht bezahlen muss, überlebt die Region – ebenso wie durch Schmuggel von Waffen und Drogen über die Grenzen nach Moldawien und die Ukraine.

An den Geschäften an der Grenze verdient vor allem ein Konzern: Sheriff, Monopolist mit einem gelben Sternchen-Firmenlogo, das im Stadtbild Tiraspols sogar häufiger auftaucht als der rote Stern des Staatswappens. Sheriff besitzt unter anderem sämtliche Tankstellen Transnistriens, ein Fünfsterne-Hotel, das schwerbewachte Casino der Hauptstadt, einen TV-Sender, ein Mobilfunknetz, einen Mercedes-Händler, Brotfabriken, Supermärkte und natürlich den F.C. Sheriff Tiraspol, den erfolgreichsten Fußballclub der Region. Mit einem rund 160 Millionen Euro teuren Stadionneubau machte das (allerdings im internationalen Fußball unbedeutende) Chelsea London des Ostens , vor kurzem Schlagzeilen – auch, weil in der Nähe der Betonkonstruktion Waisenhäuser unter erbärmlichen Bedingungen geführt werden müssen.

Die Gründer von Sheriff, Viktor Gushan und Iya Kazmaly, beide ehemalige KGB-Agenten, haben es geschafft, innerhalb weniger Jahre ein Netzwerk aus Wirtschaft und Politik zu spannen, auf das sie sich verlassen können. Gemeinsam mit dem Präsidentensohn Oleg Smirnow leitet Gushan den Konzern, während Kazmaly inzwischen in die Politik gegangen ist. In die sogenannte Opposition, die auch von Sheriff finanziert wird.

Denn ähnlich wie im Putin-Russland hat sich in Transnistrien ein Vielparteiensystem gebildet, das diesen Namen nicht verdient. Im Sommer 2006 gründeten sich innerhalb weniger Wochen eine Handvoll Parteien, die alle zur Parlamentswahl antraten. Dass nicht die Partei des Präsidenten gewann, sondern die Obnovlenie, auf deutsch „Erneuerung“, war nur bis zu dem Zeitpunkt verwunderlich, an dem klar wurde, dass Smirnow auch weiterhin als Präsident die Fäden der transnistrischen Politik ziehen würde.

Ende 2006 stimmten angeblich 97 Prozent der Transnistrier für die Unabhängigkeit der Region. Das Referendum wurde, genauso wie bis jetzt alle Parlaments- und Präsidentschaftswahlen Transnistriens, von der OSZE als undemokratisch verurteilt – angeblich erreichte Igor Smirnow bei der letzten Präsidentschaftswahl in einen nordöstlichen Region Transnistriens sagenhafte 103,6 Prozent aller Stimmen. Tatsächlich sind auch Presse- und Meinungsfreiheit in der Republik kaum existent. Nina, eine Kellnerin in einem Restaurant im Zentrum Tiraspols, beschreibt die Lage des Landes: „Hier ist es viel schlimmer als in meiner Heimat. Bedrohlicher, grauer, ärmer.“ Und wo liegt ihre Heimat? „Ich komme aus Weißrussland“, sagt sie.

Mit einem moldawisch-transnistrischen Doppelpass können die Einwohner Transnistriens sich angeblich frei bewegen und sowohl in die Ukraine als auch nach Moldawien reisen. Und weiter weg, vielleicht nach Deutschland? „Für Visa gibt es hier kein Büro“, sagt Elena trocken. So ist das eben.

Trotz aller Einschränkungen nimmt der Alltag im Osten Moldawiens seinen Lauf. Fischer versuchen im braunen Chemiegewäsch des Dniestr, ihr Abendessen zu fangen. Auf der Straße werden Zigaretten für umgerechnet 13 Cent pro Packung angeboten, bezahlt wird in transnistrischen Rubel, einer Art Spielgeld, das außerhalb der Region nirgendwo gültig ist. Am Straßenrand trinken Männer mit versteinerter Miene Bier und lassen die angebrochenen Dosen an der Haltestelle stehen, wenn ihr Bus kommt. In der Hauptstadt stehen ungenutzt blaue Telefonhäuschen herum, die so alt sind, dass sie keinen Münzeinwurf haben. So ist das Telefonieren innerhalb Transnistriens kostenlos.

Westliche Besucher finden sich selten in das Land jenseits des Dniestr. Grund dafür sind die strengen Einreisekontrollen an den Grenzen, die Unberechenbarkeit der Schmiergeldforderungen und die fehlenden diplomatischen Vertretungen anderer Länder in der Region. Einheimische gehen den Ausländern lieber aus dem Weg, die meist ohnehin nur ins Land kommen, um den berühmten Cognac der Region zu kaufen, der für drei Euro pro Flasche zu haben ist.

Auch das Fotografieren ist ein Problem: Vom Präsidentenpalast beispielsweise dürfen keine Bilder gemacht werden, erklären Passanten. Und warum? „So sind die Regeln!“ Wer auf ein Erinnerungsstück der Republik aber trotzdem nicht verzichten will, kann im Souvenirshop Tiraspols Postkarten kaufen, die neben Postern vom Präsidenten Smirnow hängen. Dem angeblich geliebten Despoten.

Ändert sich bald die politische Situation in Transnistrien? Vorerst vermutlich nicht. Auch wenn es innerhalb der Region in letzter Zeit einige kritische Stimmen gab, die das Regime angriffen, haben diese keine große Macht, da die Region in internationalen Medien kaum Beachtung findet – das System aus Scheindemokratie nach russischem Vorbild und zwielichtigen Industriekonzernen läuft weiterhin wie geschmiert.

Besser wird alles im Jahr 2018. Dann soll das ominöse Geschenk an das Volk geöffnet werden: ein Gegenstand, den Smirnow in der Innenstadt Tiraspols hat einmauern lassen und das den Einwohnern der dann 26-jährigen Republik geschenkt werden soll. Bis dahin gibt es Cognac.

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13 / 2008
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