CHINA-BOYKOTT

Drachenfüttern verboten!

Chinas Regierung unterdrückt den Aufstand in Tibet mit Gewalt. Sollen wir deshalb chinesische Produkte boykottieren? Vier Beispiele

Von Carsten Lißmann

Das B-Wort geht um. Seitdem die chinesische Regierung in der vergangenen Woche begann, den Aufstand der Tibeter mit Gewalt zu unterdrücken , fordern Aktivisten und Politiker, die Olympischen Spiele zu boykottieren , die im Sommer in Peking stattfinden sollen.

Doch was ist zum Beispiel mit den Produkten der chinesischen Fabriken in unseren Supermärkten? Sind nicht wir es, die sie kaufen – oder eben nicht? Wir sind die Verbraucher und wir haben die Macht.

Es gibt noch andere Gründe die dafür sprechen, beim Einkauf genau aufs Etikett zu schauen: Die Arbeitsbedingungen in chinesischen Fabriken , die Unterstützung der Kommunistischen Partei (KP) für das brutale Regime in Birma , die Unterdrückung ethnischer und religiöser Minderheiten in China, das Vorgehen der chinesischen Armee in Tibet.

Was können diejenigen tun, die mit ihrem Lebenswandel nicht das autoritäre System in China stützen wollen? Und vor allem: Welchen Sinn hat das?

Boykott 1: „Made in China“

Die Macht der KP steht und fällt mit der wirtschaftlichen Entwicklung Chinas. Das selbstsichere Auftreten des Regimes speist sich aus dem Bewusstsein, das Land zur ökonomischen Supermacht aufgebaut zu haben. Das war nur möglich, weil wir, die Konsumenten, mitspielten: Unser Verlangen nach billigen Klamotten, Elektronik, Spielzeugen und Autos ist die Basis der chinesischen Exportwirtschaft. Sollten wir also chinesische Produkte boykottieren?

Jeder Euro, der direkt oder indirekt in chinesische Unternehmen fließt, stärkt auch die Herrschaft der KP. Wenn wir also keine Produkte mehr kaufen, auf denen „Made in China“ steht, entziehen wir dem Regime Geld und Macht. Es müssten nur genügend Konsumenten mitmachen, um Druck auszuüben. Wird der Boykott mit der Tibet-Frage verknüpft, muss die chinesische Regierung sich irgendwann öffnen. Nebenbei tun wir noch etwas gegen die entwürdigende Behandlung chinesischer Wanderarbeiter.

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China hat sich in den vergangenen Jahren in kleinen Schritten geöffnet. Die KP ist kein monolithischer Block, Teile der Partei denken inzwischen sogar laut über mögliche Formen der Demokratie nach . Diese vorsichtige Entwicklung und der wirtschaftliche Fortschritt bedingen sich gegenseitig. Das China des Mao Zedong war nicht nur eines der brutalsten Regime der Weltgeschichte – es war auch wirtschaftlich rückständig und international isoliert. Beginnt die wirtschaftliche Basis Chinas zu wackeln, wird das Regime den Druck auf Gegner und Oppositionelle wieder erhöhen. Den Arbeitern in China ist im Übrigen nicht geholfen, wenn sie wieder arbeitslos werden.

Ein Handy-Geschäft in der Hamburger Fußgängerzone .

Zuender : Guten Tag, ich suche ein Telefon, das nicht in China produziert wurde.

Verkäufer : Uff, da müssen wir mal auf die Kartons schauen, so genau weiß ich das gar nicht.

Zuender : Hören Sie die Frage zum ersten Mal?

Verkäufer : Nein, einer war schon mal da und wollte das gleiche. Hier schauen Sie mal, ein altes Nokia "Made in Germany", das wurde noch in Bochum produziert. Ist auch nicht so teuer.

Zuender : Aber auf dem Ladegerät steht „Made in China“. Und auf dem Akku auch.

Verkäufer : Stimmt. Dann weiß ich es auch nicht. Bei den anderen Marken ist es noch unwahrscheinlicher, dass wir fündig werden. Aber schauen Sie doch mal im Internet.

Ein Blick auf die Dinge, mit denen wir uns jeden Tag umgeben, zeigt, dass es kaum noch etwas gibt, das nicht in China produziert wurde. Auf Apples iPod steht zwar "Designed in California", doch montiert werden die Geräte in in chinesischen Fabriken . Ähnlich verhält es sich mit vielen Textilien und Schuhen, deren Basismaterialen aus China und Südostasien stammen – obwohl das auf dem fertigen Produkt nicht draufsteht.

Die Kampagne Boycott Made in China listet einige Produkte auf, die unbedenklich sein sollen. Magazine wie Ethical Consumer geben ebenfalls Hinweise für den politisch korrekten Einkauf. Und natürlich kann der Biomarkt um die Ecke helfen. Bei Produkten, die fair gehandelt wurden, ist die Chance zumindest höher, dass sie aus nicht aus Fabriken stammen, in denen Arbeiter ausgebeutet und schlecht bezahlt werden.

Boykott 2: Chinesische Lebensmittel

Dein Wok: Der Feind in der eigenen Küche? Chinesisches Essen war vor einigen Jahren mal hip. Heute ist es Teil der Alltagskultur – zuhause und im kleinen Imbiss an der Ecke. Asia-Märkte gibt es in fast jeder großen deutschen Stadt, Olympia-Werbung in den Schaufenstern inklusive. Können wir all das konsumieren, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen? Oder müssen wir unsere Mitmenschen auf das Problem aufmerksam machen?

Chinesische Lebensmittel darf man nicht kaufen, so lange in dem Land Menschen unterdrückt werden. Außerdem können die Verkäufer und Arbeiter, die aus ihrer Heimat ausgewandert sind, ihren Familien und Freunden daheim mitteilen, dass ihre Gastländer mit dem Handeln der chinesischen Regierung nicht einverstanden sind. Mit dem Geld, das sie hier verdienen und an ihre Familien schicken, sollten sie auch einen Teil unserer Werte in die Heimat senden.

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Wer sich entschieden hat, sein Heimatland zu verlassen, wird dafür gute Gründe haben. Zu glauben, dass es den Emigranten nur um das Geld ginge, ist eine böswillige Unterstellung, politische Gründe können ebenso eine Rolle gespielt haben. Was können die Auswanderer für die Taten der chinesischen Soldaten in Tibet? Und wie sollen die 75.733 Chinesen, die im Jahr 2006 in Deutschland lebten, ihre 1,3 Milliarden Landsleute zu mehr Demokratie überreden? Die Idee ist gut, trifft aber die Falschen.

Anruf in einem beliebigen China-Restaurant in einer mittelgroßen deutschen Stadt.

Zuender : Guten Tag. Ich rufe Sie an, weil ich mir Sorgen über die Lage in Tibet mache.

Angestellte : Dazu kann ich leider nichts sagen, ich verfolge das Thema nicht.

Zuender : Aber Sie verkaufen chinesische Lebensmittel in Deutschland. Sie können doch nicht sagen, dass es Sie nicht interessiert, wenn die chinesische Regierung in Tibet Menschen erschießt.

Angestellte : Wollen Sie nicht lieber die chinesische Botschaft in Hamburg anrufen?

Zuender : Ich möchte es aber von Ihnen wissen.

Angestellte : Ich habe wirklich keine Zeit für so etwas.

Zuender : Können Sie nicht wenigstens die Peking-Ente in Freiheits-Ente umbennen?

Angestellte: Wie bitte? Ich muss jetzt auflegen.

Boykott 3: Chinesische Kultur

Der folgende Satz steht auf einer Internetseite des Hamburger Senates : „Das Reich der Mitte mit seiner über eine Milliarde Menschen ist ein wichtiger Wirtschaftspartner unserer Stadt und der größte Kunde des Hamburger Hafens.“

Doch nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht bemüht sich Hamburg um Nähe zu China. Regelmäßig finden in der Stadt Veranstaltungen statt, die den Bürgern und Besuchern Hamburgs ein positives Bild Chinas vermitteln sollen. Auch in anderen Städten gibt es jede Menge Ausstellungen und Konzerte , die ein positives Bild der chinesischen Kultur vermitteln – auch der modernen . Dürfen wir das kritiklos hinnehmen? Oder sollten wir solchen Veranstaltungen lieber fern bleiben?

Ein Kultur-Boykott ist dumm! Am Wichtigsten ist doch, etwas darüber zu lernen, wie die Menschen in anderen Ländern leben und fühlen. Wer sich dem Lernen verweigert, hat auch kein ehrliches Interesse an den Rechten der Menschen.

Festivals wie China Time in Hamburg sind gigantische PR-Veranstaltungen. Dort geht es nicht darum, etwas über China zu lernen, hier zählt der goldene Drache, der wochenlang auf der Alster schwimmt , das Abschlussfeuerwerk und die ganzen Fressbuden. Man muss solche Anlässe nutzen, um laut und deutlich Kritik zu üben!

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Anruf beim Hamburger Senat, der China Time 2008 organisiert. Gespräch mit Reinhard Stuth, Staatsrat der Senatskanzlei .

Zuender : Herr Stuth, im September dieses Jahres wird in Hamburg wieder eine Veranstaltungsserie mit dem Titel China Time stattfinden. Gibt es angesichts der aktuellen Lage in Tibet besondere Pläne für diese Veranstaltung?

Reinhard Stuth: Die Stadt Hamburg verweist auf die engen Beziehungen, die sie zu China hat. Wir wollen damit aber nicht sagen, dass wir alles gut finden, was dort geschieht. Wir wollen sagen, dass wir China besser verstehen und kennen, als andere das vielleicht tun. Das bezieht sich auf alle Bereiche der Gesellschaft: Wissenschaft, Kultur, Kirchen, Medien, Nichtregierungsorganisationen und Wirtschaft. Die Lage in Tibet hat sich auch nicht von heute auf morgen grundlegend verändert. Der Konflikt besteht seit langer Zeit.

Zuender: Aber in den vergangenen zehn Tagen hat er sich verschärft.

Reinhard Stuth: Wir können keine Neben-Außenpolitik machen. Für Sanktionen und Boykotte sind der Bund und die Europäische Union zuständig. Außerdem will ich darauf hinweisen, dass der Dalai Lama im vorigen Jahr zwei Wochen zu Besuch in Hamburg war.

Zuender: Aber China Time wirbt für ein positives Bild Chinas.

Reinhard Stuth: China Time wirbt für Hamburg, nicht für China. Das habe ich auch dem chinesischen Botschafter gesagt, der sich vor zwei Jahren für die tolle Werbung bedanken wollte. Wir wollen auf die China-Kompetenz der hier ansässigen Unternehmen und Institutionen hinweisen, einschließlich der China-Gruppe von Amnesty International, die ebenfalls in Hamburg sitzt.

Zuender: Wird es dann in diesem Jahr auch kritische Veranstaltungen geben?

Reinhard Stuth: Der Hambuger Senat ist Initiator, aber nicht Veranstalter von China Time . Alle, die sich mit China beschäftigen, sind eingeladen, diese Plattform zu nutzen. Im Jahr 2006 gab es eine eigene Veranstaltung der Hamburger Tibet-Initiative mit einer Ausstellung und einer Podiumdiskussion. Auch 2008 wird es wieder kritische Töne geben.

Boykott 4: Tourismus

Im Jahr 2005 reisten 455.000 deutsche Urlauber nach China. Im internationalen Vergleich liegt China auf Rang vier der größten Reiseländer – Touristen brachten umgerechnet 29,3 Milliarden US-Dollar in das Land. Geld, mit dem auch die chinesische Armee finanziert wird. Sollen wir nicht mehr nach China reisen?

Das Regime profitiert nicht nur von den Devisen. Es wird natürlich auch versuchen, den Touristen nur die Sonnenseite des Staates zu zeigen. Das wahre China, die Sweatshops und Hinrichtungen , bekommt kein Urlauber zu Gesicht. Was passiert, wenn es zur Krise kommt, haben wir in der vergangenen Woche gesehen: Innerhalb weniger Tage mussten alle Ausländer Tibet verlassen.

Umso wichtiger ist es, gerade jetzt nach China zu reisen. Man kann sehr wohl mit Einheimischen reden, versuchen, sie zu verstehen und um ihr Verständnis werben. Und wer nicht in den staatlichen Großhotels übernachtet, sorgt auch dafür, dass zumindest ein Teil seines Geldes nicht in den Taschen der Partei landet. Man denke allein an die olympischen Spiele – während so eines Großereignisses muss es doch zwangsläufig zum Austausch zwischen Reisenden und Einheimischen kommen. Nutzt diese Chance!

In einem Hamburger Reisebüro, das sich auf China-Reisen spezialisiert hat.

Zuender : Ich möchte gern nach China reisen, aber mein Geld soll möglichst nicht in den Taschen der KP landen. Was können Sie mir raten?

Angestellte : Die meisten chinesischen Reiseagenturen sind im Staatsbesitz. Besser wäre also, Sie würden auf eigene Faust durch das Land reisen.

Zuender : Das geht?

Angestellte Natürlich. Es wird eher der Sprache wegen schwierig, zumindest in der Provinz. Die einzige Region, in der Individualreisende nicht zugelassen werden, ist Tibet.

Zuender : Was ist mit den Hotels?

Angestellte : Die meisten neu gebauten Hotels gehören zu den großen Ketten, die es überall auf der Welt gibt. Die zahlen Steuern an den chinesischen Staat, wie alle anderen Unternehmen auch. Ob darüber hinaus Geld fließt, weiß ich nicht.

Zuender : Kann ich mit den Einheimischen reden?

Angestellte : In der Tourismusbranche arbeiten sehr viele Chinesen. Mit denen müssen Sie sogar reden.

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13 / 2008
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