Chinesische Comics
Der Sprechblasen-Export
In diesen Tagen dominiert die chinesische Polizei in Tibet unsere Wahrnehmung des Landes. Der französische Verlag Xiao Pan zeigt uns andere Bilder: Chinesische Comics
Chinesische Comics konnte man bis vor kurzem nur lesen, wenn man auch die Sprache konnte. Das muss heute nicht mehr sein - zumindest nicht in Frankreich. Denn der 2005 gegründete Verlag Xiao Pan übersetzt chinesische Comics und veröffentlich sie in Europa. Im Katalog finden sich neben Bestsellern und Comics mit künstlerischem Anspruch auch Werke, die es nicht durch die Zensur geschafft haben und nur außerhalb Chinas erscheinen.
Gemessen an der Größe des Landes gibt es nur wenige Comiczeichner in China. Das liegt vor allem daran, dass es in China bisher keinen Markt für Comics gab. Durch Xiao Pan könnte sich das ändern. Wenn die chinesischen Comicautoren im Ausland veröffentlichen, könnten Sie auch in ihrem Heimatland bekannter und erfolgreicher werden. Ein erster Hinweis darauf: Beim Internationalen Comicfestival in Angoulême (Frankreich) war China Gastland, dreizehn einheimische Autoren waren zu Gast am Pavillon und das chinesische Kulturministerium hatte eine Delegation entsandt.
Zuender : Herr Abry, welche Art von Comics veröffentlichen Sie?
Patrick Abry : Wir bieten einen sehr breit gefächerten Katalog. Klassische Autoren wie Nie Chongrui, einen Zeichner der alten Generation, der traditionelle Märchen illustriert. Andere wie Jidi, die im einfachen Stil Geschichten über Leben und Tod zeichnet und Autoren der Avantgarde wie Benjamin.
Zuender : Viele Comics aus ihrem Katalog werden in China nicht veröffentlicht. Warum?
Patrick Abry : Der chinesische Markt ist auf Comics für Kinder unter 12 Jahren ausgerichtet. Die Verlage gehören alle dem Staat und wollen kein Risiko eingehen. Und dann gibt es natürlich noch die staatliche Zensur. Benjamins Verleger wollte zum Beispiel seinen letzten Band Orange nicht veröffentlichen, weil darin zwei Mal ein Junge abgebildet war — mit der Hand in der Unterhose eines Mädches.
Zuender : Gibt es bestimmte Themen, an denen sich die Zensur besonders stößt?
Patrick Abry : Die jungen Leute, die nach der Kulturrevolution 1976 geboren wurden, stellen sich Fragen über die Zukunft, ihre eigene und die Chinas. Sie setzen sich philosophisch und manchmal auch kritisch mit den Positionen der Regierung auseinander. Das wird nicht geduldet. Tabu ist auch alles, was mit Erotik und Sexualität zu tun hat. Noch vor zwei, drei Jahren war es undenkbar, über Homosexualität zu reden. In der Gesellschaft ändert sich das zwar langsam, diese Veränderungen sind aber noch nicht bei den Comic-Verlegern angekommen.
Zuender : Wie entdecken Sie ihre Autoren, gerade auch diejenigen, die durch die Zensur nicht erscheinen?
Patrick Abry : Durch meinen letzten Job bin ich oft nach China gereist und habe viele Autoren und Menschen aus der Comicszene kennen gelernt. Da wir die gleichen Ideale hatten, wollten wir zusammenarbeiten und die Comickulturen in Frankreich und China verbinden. Die erste konkrete Aktion gab es im Jahr 2005: Ein Comicfestival mit 30 Autoren in Beijing. Danach haben wir Xiao Pan gegründet. Anfangs haben wir die Autoren selbst angesprochen, inzwischen kommen sie auf uns zu.
Zuender : Kommen die Autoren vor allem mit Themen und Büchern, die sie in China nicht veröffentlichen dürften?
Patrick Abry : Genau. Bei uns können sie zügellose Adaptionen traditioneller Märchen aus dem 16. Jahrhundert oder persönliche und philosophische Werke veröffentlichen. Pamphlete gegen die Regierung kommen aber auch bei uns nicht in Frage. Wir pflegen sehr gute Beziehungen zu den chinesischen Behörden, die Regierung unterstützt unsere Arbeit – und das soll auch so bleiben.
Zuender : Warum ist das so wichtig?
Patrick Abry : Alle Veröffentlichungen und Übersetzungen muss das chinesische Kulturministerium genehmigen. Das ist ein zäher bürokratischer Weg, den wir aber nicht verlassen. Denn nur so können wir die Rechte für diese Comics bekommen. Wenn wir also auch in Zukunft neue Talente entdecken und dem europäischen Markt zugänglich machen wollen, müssen wir die guten Beziehungen zur Regierung aufrecht erhalten.
Zuender : Sie scheinen eine einträgliche Nische entdeckt zu haben.
Patrick Abry : Nein, ich bin einfach besessen von Comics. Ich wollte diese Leidenschaft schon immer zu meinem Beruf machen.
Zuender : Was wissen Sie über den Alltag ihrer Autoren?
Patrick Abry : Die Wenigsten können von ihrer Arbeit als Comicautoren leben. Die Auflagen sind sehr niedrig, meist zwischen 5000 und 10000 Exemplaren. Es gibt zu wenige Verkaufsstellen für Comics in China. Und chinesische Bücher sind billig: Ein Buch kostet etwa so viel wie zwei Teller Nudeln. Die Autoren verdienen damit also fast nichts. Um trotzdem über die Runden zu kommen, arbeiten viele parallel in einer Zeichentrickfilm- und Videospiel-Firma. Das ist viel lukrativer.
12 /
2008
ZEIT ONLINE