Krimi

Solo für einen Dackel

Kiez-Franze zündete gerade seine Zigarette an und goss seinen Kaktus, als das Telefon klingelte. "Kurtowski, Miederwaren", meldete er sich routiniert mit seiner Tarnidentität.

Der Sonntagstext von Jens Thomas

Für Norbert war es nicht ungewöhnlich, eine vollständige Steuererklärung abzugeben, obwohl er professioneller Diamantenschmuggler war. Er gab es auch jedes Mal an, weil er Unkorrektheiten verabscheute. „Insbesondere als professioneller Diamantenschmuggler ist ein ehrlicher Umgang mit den Behörden unumgänglich“, pflegte er zu sagen. Bisher schien ihn dieser Umgang in seinen Geschäften nicht zu behindern. Eines schönen Tages jedoch, es war ein Donnerstag, erreichte ihn ein offizielles Schriftstück der Tierhalterbehörde, dass sein Rauhaardackel seit sechseinhalb Jahren sowohl unregistriert als auch nicht bezahlt sei. Das Amt forderte deshalb 85,30 Euro an Nachzahlung. „Das ist ja erstaunlich“, entfuhr es Norbert, „ich wusste gar nicht, dass ich einen Dackel besitze. Dabei bin ich doch schon so lange im Diamantenschmuggel tätig.“ Er schaute unter seinen Schreibtisch. Es war kein Rauhaardackel zu sehen. Er öffnete alle Schubladen seines Aktenschranks. Er fand dort jedoch nur die wohlgeordnete Sammlung seines Schriftverkehrs mit der Steuerbehörde. Er seufzte. „Da muss ich wohl Kiez-Franze anrufen. Vielleicht kann er mir helfen.“

Kiez-Franze zündete gerade seine Zigarette an und goss seinen Kaktus, einen ausgewachsenen Schwiegermuttersessel, als das Telefon klingelte. „Kurtowski, Miederwaren“, meldete er sich routiniert mit seiner Tarnidentität. „Kiez-Franze, ich brauche deine Hilfe“, klang die tiefe Stimme Norberts durch den Ohrhörer. „Diamanten?“ – „Nein. Mein Rauhaardackel.“ – „Wie heißt er?“ – „Weiss ich nicht … äh … das brauchst du nicht zu wissen. Bring ihn mir einfach zurück, ja?“ – „Geht klar.“ – „Gut.“ Die Leitung knackte. Norbert hatte aufgelegt. Kiez-Franze lehnte sich in seinen Sessel zurück. Das waren nicht gerade viele Informationen. Aber er hatte schon viele Fälle gelöst, die geheimnisvoller waren. Er war ein professioneller Privatschnüffler und schätzte daher professionelle Kunden, die nicht viel redeten. Kiez-Franze zog sich seinen Trenchcoat über. Er zögerte kurz, dann holte er seinen Revolver aus dem Schreibtisch. „Bei Dackeln ist nicht zu spassen“, brummte er. Er öffnete die Tür und fand sich in einer finsteren Seitengasse in Gera wieder.

Monika Potlowski blickte abschätzig in das Schaufenster des Schuhgeschäfts. Die Schuhträgerinnen von heute schienen Riesen zu sein. Es war hart für Monika, Schuhe mit Absätzen in ihrer Schuhgröße zu finden. Außerdem verbitterte der Umgang der Verkäuferinnen ihr jegliches Einkaufserlebnis. Sie hob ihr Hinterbein und pinkelte an die Ecke des Schuhgeschäfts, bevor sie von ihrem Besitzer, einem Förster mittleren Alters, weggezerrt wurde. „Komm weiter, Wotan!“ knurrte er. Seit Jahren schon missachtete der Förster Monikas sexuelle Identität. Sie zahlte es ihm heim, indem sie den Förster mit fast jedem Cockerspaniel oder Schäferhund betrog, dem sie habhaft werden konnte. Bisher musste sie noch nie abtreiben, weshalb der Förster ahnungslos blieb. „Zum Glück sieht meine Vagina wie ein Dackelpenis aus“, dachte Monika Potlowski, als sie einen besonders formschönen Haufen in den Sandkasten des örtlichen Kindergartens schiss. Plötzlich spürte sie den kalten Stahl der Öffnung vom Revolver des Kiez-Franze im Nacken. „Hab ich dich, du Luder!“

Manfred Prönges, Revierförster, fand es doch sehr befremdlich, dass der sonst so umgängliche Mann vom Miederwarengeschäft einen Revolver an seinen Dackel hielt. „Lassen sie sofort meinen Dackel in Ruhe. Wotan, fass!“ Wie immer hörte Wotan nicht. „Na gut, dann nehmen sie halt den Köter“, blaffte Manfred, hoffend seinen Ärger nicht allzu deutlich durchscheinen zu lassen. „Morgen wollte ich ihn eh einschläfern lassen.“ – „Sie wissen ja gar nicht, mit was für einer Lady sie sich eingelassen haben“, flüsterte Kiez-Franze und nahm Monikas Leine. Manfred versuchte, nicht zu ärgerlich zu erscheinen, als er vom Kinderspielplatz wegrannte. Kiez-Franze blickte ihm nach. Geras Straßen haben ihre eigenen Gesetze.

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11 / 2008
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