Beziehung
Die Wellenmacher
Singlesein ist gar nicht so schrecklich, meint der Single. Ist es doch, meint die Außenwelt. Ein Essay.
Meine Großeltern verstehen das Problem nicht. "Mädchen, wieso hast du denn niemanden," sagte Opa kürzlich beim Sonntagskaffee. "Du bist doch so nett." Ein Schweigen entstand, niemand aus meiner Familie mochte etwas sagte. Überlaut tickte die grüne Kuckucksuhr, bis mein Vater seine Hand auf meinen Unterarm legte und sagte: "Ach Kleines, ist doch nicht so schlimm." Dabei bin ich doch nur Single. Mit siebzehn habe ich das erste Mal geliebt, für knappe dreieinhalb Jahre. Ich erinnere mich an eine tiefe Beziehung, voller Aufrichtigkeit und Wärme. Wir badeten nackt im Dorfteich und erklärten uns unsere Liebe an der Schultafel. Gescheitert sind wir später an unserer Jugend. Wir waren zu aufgeregt, zu gespannt auf die Welt.
Der zweite Mann war so romantisch, wie ich es mir immer erträumt hatte: Wir spazierten am Strand, küssten uns auf Konzerten, verbrachten Tage im Bett und streuten Kakaoherzen auf den Milchschaum des anderen. Traumhaft, bis er plötzlich ganz unromantisch Schluss machte.
In den vergangenen vier Jahren war ich zwei Mal verknallt und hatte weniger als zehn Mal Sex. Den letzten vergangene Woche. Seitdem weiß ich es wieder: auf Bettgeschichten habe ich keine Lust mehr. Da warte ich lieber, bis es echt ist. "Single" ist ein merkwürdiger Begriff. Er beschreibt nichts, keinen Charakterzug, kein körperliches Merkmal. Er sagt nur, dass man nicht das tut, was die meisten Menschen als Ideal definieren: Eine Zweierbeziehung führen. Er sagt weder, ob man glücklich darüber ist, noch, ob man jede Woche durch die Betten der Stadt springt. Man kann Single sein und HipHop lieben. Oder man ist Bauarbeiter und Single. Es ist nicht einmal ausgeschlossen, dass ein Bundeskanzler Single ist.
Unser öffentliches Umfeld inszeniert die Zweierbeziehung: Ständig lächeln Pärchen von Plakaten herunter, im Fernsehen flimmert Familienidylle, in einen Liebesfilm gehört ein Happy End. Singles entsprechen nicht dieser Inszenierung und erregen daher häufig Mitleid. Wer auf einer Party mit einem Anhängsel auftaucht, ist sicher vor diesem Mitleid. Wer allein kommt, ist betrübtes Freiwild, ein Sonderling, dem geholfen werden muss. Wer will das schon?
Zu viele Menschen leben zusammen, weil es leichter ist als allein zu sein. Weil es anstrengend ist, mit sich selbst konfrontiert zu werden. Dabei ist es wichtig, allein sein zu können. In solchen Zeiten haben wir die Chance, viel über uns selbst zu erfahren. Warum haben viele Singles trotzdem Selbstzweifel. Sehnen sie sich nach einer Beziehung, nach Vertrauen, Zärtlichkeit, Wärme und Liebe? Oder ist es nur der Wunsch, nicht immer dieselben Fragen beantworten zu müssen?
Natürlich sehne ich mich nach Liebe. Ich wünsche mir, dass jemand meine Hand hält, mir seine Jacke gibt, wenn ich friere oder mir sagt, dass es schön ist, dass es mich gibt. Das Leben ist schöner, wenn ich es teilen kann. Aber wertvolle Momente kann ich mit allen Menschen teilen, die es wert sind. Dafür brauche ich keinen Freund. Und Single zu sein ist auch ein Luxus. Ich kann mein Leben so planen, wie es mir in den Sinn kommt. Welchen Film ich mir ausleihe und ob ich zum Friseur gehe, geht nur mich etwas an.
Eine Beziehung nur der Ruhe wegen? Nein. Zu still wären die Sonntagnachmittage ohne das erheiternde Ticken der Kuckucksuhr.
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07 /
2008
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