Uni-Missionare

Oh Kinderlein, kommet

Sie singen von Jesus, ihrem Erlöser, und wollen Studenten an der Hamburger Uni für ihren Glauben gewinnen. Natascha Heinrich hat die jungen Missionare einen Tag lang begleitet

Heute geht Esther wieder an die Uni, missionieren. Die 27-Jährige trägt eine schwarze Hose, schwarze Jacke und ein auberginefarbenes Tuch mit großen Rosen darauf. Das hat sie aus Kiew mitgebracht, wo sie im vergangenen Jahr ein Praktikum absolviert hat. Ihre rotblonden Locken und das Nasenpiercing leuchten in der Sonne.

Esther ist eine von drei Missionaren, die ein Jahr lang für Campus für Christus , ein weltweites Missionswerk, in Hamburg arbeiten. Auf dem Campus stellt sie sich aber als Vertreterin von Christen an der Uni vor, einem Netzwerk christlicher Gruppen, die größtenteils freikirchlich geprägt sind. „Ich will die Bibel wörtlich nehmen und sie nicht relativieren. Sie ist für mich Gottes Wort. Wenn in der Bibel zum Beispiel Ehrlichkeit gefordert wird, dann heißt das, dass ich nicht schwarz fahre oder bei der Steuererklärung bescheiße“, sagt sie.

Hunderte von Menschen gehen vorbei, Esthers Augen wandern durch die Menge. Geduldig wartet sie, schaut in die Gesichter, sucht. Sie will niemanden überreden, sich keinem aufdrängen, nur empfehlen, was ihr geholfen hat – und scheint zu wissen, wann der Versuch sich lohnt. „Sie“, sagt Esther dann leise und geht auf eine junge Frau zu. Diese ist unscheinbar gekleidet, trägt eine ausgewaschene Jeans, olivgrüne Jacke, einen Sportrucksack. Ihr Blick ist offen, die langen braunen Haare fallen weit über ihre Schultern. Das ist Nina, eine 26-jährige Geisteswissenschaftlerin aus Hamburg.

„Spielt Gott in irgendeiner Art eine Rolle in deinem Leben?“, fragt Esther. Nina antwortet zögerlich: „Nein, na ja, ich mache mir Gedanken, aber eine wirkliche Rolle spielt er nicht.“ „Was spielt im christlichen Glauben eine besonders große Rolle?“, fragt Esther weiter. „Nächstenliebe.“ Das höre sie besonders oft, sagt Esther später. Dabei gehe es doch um so viel mehr. Noch vier weitere Gruppen engagieren sich unter dem Dach des Netzwerkes „Christen an der Uni“ dafür, „Jesus an der Uni bekannt zu machen“. Am Morgen haben sich die Missionare darum zu fünft getroffen, gemeinsam gefrühstückt und gebetet. Für Menschen, die ihnen mit Offenheit begegnen, für den Mut und die Kraft, auf andere zu zugehen, und dafür, dass andere eine Hoffnung für ihr Leben entdeckten. Immer wieder danken sie Jesus, dass er sie ausgesandt hat, danken für die Kraft, die er ihnen gibt, dafür, dass sie „Licht sein können“.

Das Team ist bunt gemischt: Da ist der gut aussehende William aus England, der mit seinen lockeren Sprüchen eher an den Highschool-Schwarm aus Hollywood-Serien erinnert als an einen streng gläubigen Christen. Er grinst, als er sagt: „Für mich gehört Sex in die Ehe. Ich möchte warten und ich freue mich darauf.“ Will ist 20 und wird im Sommer heiraten.

Christoph ist der Dritte im Bunde. Auf den ersten Blick ist er unscheinbar, aschblondes Haar, Brille. Im Gespräch überrascht er mit seiner Offenheit. Geduldig erzählt er von seiner Lebenskrise – ungeplantes Kind, die Trennung von der Mutter des Kindes, Auszug aus der gemeinsamen Wohnung. Er entschied sich, Jesus zu suchen, und fand ihn, wie er sagt: „Dieser Entschluss hat mein Leben verändert, ich habe ein Psychologiestudium beendet und und überlege in einer missionarischen Arbeit in Russland einzusteigen. Ich sehe trotz aller Sorgen der Zukunft zuversichtlich entgegen.“

Mit Nina spricht Esther eine halbe Stunde über Gott, den Glauben im Allgemeinen und wie sie dazu gekommen ist: „Ich bin in einer gläubigen Familie aufgewachsen. Mit 16 wollte ich davon nichts mehr wissen und habe ein paar Jahre nach dem Lust-Prinzip gelebt – ich wollte Sex, Drugs and Rock’n’Roll gelebt.“

Doch immer wieder tauchten Fragen auf. „Am Ende drehte es sich um zwei Dinge: Wahrheit und Freiheit“, sagt sie. Esther las philosophische Bücher, sprach mit Freunden und der Familie. Mit 21 stieß sie auf einen Bibelvers: „Wer Gott von ganzem Herzen sucht, der wird ihn finden.“ Den schrieb sie auf einen Zettel, pappte ihn an die Wand und entschloss sich, Gott zu suchen. „Und mit diesem Entschluss wurde alles anders. Ich traf eine sehr gläubige Studentin im Zug, wir redeten stundenlang über Gott. Und ich habe gemerkt, dass Jesus die zentrale Rolle dabei spielt. Nur durch Jesus kann ich zu Gott kommen!“. Esther fragte, ob die Hinwendung zu Gott zugleich die Unmündigkeit über das eigene Leben bedeute. „Aber natürlich ist es nicht so“, sagt sie heute lachend. „Wir sind doch Menschen mit einem freien Willen. Jeden Morgen entscheide ich mich für meinen Weg und ab und an schubse ich Jesus auch von dem Thron, den er in meinem Herzen besetzt, und will mein eigenes Ding machen. Aber genauso schnell merke ich, dass ich mit Jesus auf dem Thron längerfristig besser dran bin - er weiß besser, was gut für mein Leben ist.“

In Leipzig, wo sie Geisteswissenschaften studierte, engagierte sich Esther in einer Gemeinde und ging auch mit einem Infostand an die Uni, um zu ihrem Glauben zu stehen. Als sie das erste Mal dort stand, hatte sie noch Angst, von ihren Freunden erkannt zu werden – natürlich kam es auch so. Als einige sie ungläubig ansahen, blieb sie ruhig. Es habe sich einfach gut angefühlt, zu dem zu stehen, was man glaubt und für richtig hält, sagt sie heute. Nina nimmt Esthers Einladung für den Gottesdienst am Abend an.

Acht Stuhlreihen, Kerzen stehen auf Tischen am Rand, ein paar Schalen mit Keksen und Salzgebäck. Um kurz nach halb sieben gibt Will den Takt am Schlagzeug vor, Katrin spielt Gitarre, Maria steht am Keyboard und 30 junge Menschen singen. Die Musik ist melodisch, nur die Texte klingen ungewohnt: „Du hast mich geliebt, von Anfang an, dein Leben lang, warst immer treu zu mir und was ich hab, das schenk ich Dir. Jesus, alles in Dir ist mein und mein Leben kommt von Dir.“ Ein paar der Zuhörer singen stehend, andere murmeln eher vor sich hin, eine junge Frau tanzt. Das Publikum ist bunt gemischt, da ist die BWL-Studentin im schwarzen Kostüm neben einer alternativ gekleideten Ethnologin, der Jungunternehmer neben dem Mathe-Studenten. Constantin hält eine Predigt über Identität, Bestimmung und Agape, der freien und bedingungslosen Liebe. „Aus der Liebe, die wir empfangen, entspringt ein Verantwortungsgefühl für andere! Das ist unsere Bestimmung - aus Liebe Verantwortung zu übernehmen – mit ganzem Herzen, mit ganzer Hingabe und mit unserem ganzen Verstand.“

Nach dem Segen dann lockeres Beisammensein mit Pop und Rock aus der Konserve. Die Gesichter sind freundlich, die Gespräche offen, auf die Neuen gehen sie schnell zu. Erst gegen zehn löst sich die Runde auf, beim Abschied verabreden sich Esther, Christoph und ein paar andere für morgen, auf einen Wein oder zwei.

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4 / 2008
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