Beziehung

Offenes Doppel

Eine Beziehung, in der jeder alles darf, ist ein gefährlicher Balanceakt. Tom Struse erzählt davon, wie sie trotzdem funktionieren kann.

Als ich mich vor eineinhalb Jahren neu verliebte, war mir nichts ferner als die Idee von Beziehung und Treue. Vieles schien mir in dieser Zeit klar zu sein: Dass Monogamie ein Machtkampf zwischen stereotypen Rollen ist. Dass Homosexualität mir gut tut. Dass ich es liebte ein Mann zu sein, der auch mal einen Rock anzieht. Nur: Was bedeutete das alles für meine neue Beziehung?

Magda und ich leben in verschiedenen Ländern, wir sind beide bisexuell. Unbewusst hatte ich schon lange nach ihr gesucht, denke ich heute: intelligent, superchic, sexuell offensiv und feministisch, eine unabhängige Frau mit einem Faible für Männer, die gleichzeitig ihr Macker und ihre beste Freundin sind.

Vom ersten Tag an merkten wir, dass wir es beide liebten, mit unseren Körpern und Identitäten zu spielen. Diese Lust am Experiment verband uns und das fanden wir geil. Ihre scheinbar grenzenlose Offenheit beeindruckte und verunsicherte mich gleichzeitig. Sie wollte beim Sex alles ausprobieren, mit Frauen und Männern, und trotzdem einen verständnisvollen Partner haben. Ich hingegen war schon seit zwei, drei Jahren auf einem hedonistischen Trip zwischen Party und Polygamie und hatte langsam genug davon.

Schon bald stapelten sich die Missverständnisse: Sie wollte auf lesbische Partys gehen oder spaßeshalber mit einer Freundin einen Typen abschleppen. Mich machte das nervös. Wir hatten uns auf eine offene Beziehung geeinigt und ich war selbst nicht immer treu gewesen. Aber ihre Aktionen wurden selbst mir zu viel. Ich konnte nicht mehr einschätzen, wo ihre Grenzen lagen und die Kommunikation über unsere Gefühle wurde immer diffuser.

Ich wollte nicht mehr mit jeder und jedem ins Bett dürfen. Ich war erschöpft von all dem Abschleppen, von zu vielen Nachtszenen, die sich um Sex und Narzissmus drehten. Ich vermisste nur Magda. Die Liebe zu ihr war für mich etwas, das ich um keinen Preis gefährden wollte. Ich fand auf einmal nichts Befreiendes mehr daran, dass sie auch mit anderen Männern und Frauen ins Bett ging – und gab es ihr zu spüren.

Dabei verhangelte ich mich selbst in Widersprüchen: Ich war bekannt dafür, allem offen gegenüberzustehen, und Frauen und Männer zu lieben, die es ebenso hielten. Wie unfair und absurd wäre es, gerade dem Menschen, den ich am meisten liebte, diese Bedürfnisse und Rechte abzusprechen? Ich war doch auch kein Unschuldslamm. Und sie vertraute mir trotzdem und ließ mich gewähren.

Ich hatte früher schon in offenen Beziehungen gelebt und wusste, dass sie nur auf Basis folgender Dinge funktionieren: Man muss ehrlich und offen über alles reden und die Souveränität haben, auch mal nein zu sagen. Wenn man zum Beispiel vereinbart, dass mit einer Person nichts läuft, dann sollte man sich auch daran halten. Man muss dem anderen klar machen, dass man an ihm nicht nur seine Offenheit für Sex mit anderen schätzt – und sehr genau darauf achten, wo seine Grenzen liegen. Kurz nach einem großen Streit ist zum Beispiel garantiert nicht die richtige Zeit, um mit einem anderen ins Bett zu gehen. Hält man diese Regeln nicht ein, beginnt das Misstrauen und alles fliegt einem um die Ohren.

Magda brach diese Regeln ständig. Sie erzählte mir von großartigem, geilen Sex mit Anderen, nachdem wir gerade selber welchen hatten und das erste Mal seit Wochen zusammen im Bett lagen. Sie versprach mir, mit ihrer Besucherin würde nichts laufen und erzählte mir später, dass sie doch mit ihr im Bett war.

Auf einmal spürte ich all das, was ich in den letzten Jahren meines Sololebens verdrängt hatte: Dass Polygamie auch zum Leistungssport werden kann, in dem der Stärkere und weniger Sensible siegt. Dass Freiheit und Polygamie manchmal verwechselt werden. Und dass Vertrauen für mich auf Zärtlichkeit und Nähe basiert, nicht auf dem Freifahrtschein für jeden Seitensprung.

Ich wollte ihr das totale Verständnis zeigen und war doch so erschöpft davon, immer den harten Typen zu spielen. Während sie offen und verständnisvoll auf meine One Night Stands reagierte, ohne meine Liebe in Zweifel zu ziehen, drehte ich ihr aus jedem Flirt einen Strick. Vielleicht war ich einfach eifersüchtig, wollte es nicht zugeben und ihr alles in die Schuhe schieben. Wie auch immer, mit meinen Wutausbrüchen wurde ich so zu dem, was ich nie sein wollte: ein Besitzergreifender und eifersüchtiger Macker.

Hätten wir uns diesen Winter nicht oft besucht und viel Zeit genommen, über alle Vorurteile, Ängste und Wünsche zu sprechen, wären wir heute sicher nicht mehr zusammen. Ein neues Patentrezept haben wir nicht gefunden und es ist immer noch schwierig. Auch eine Beziehung ohne totalen Besitzanspruch führt man halt trotzdem zusammen. Vielleicht können wir in Zukunft mit vormals verbrannten Fingern entspannter spielen. Wir spielen auf jeden Fall erst mal weiter: Mit uns beiden als Basismannschaft, in die sicher noch der ein oder andere Auswechselspieler kommen wird.

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03 / 2008
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