Afghanistan

Wie Blumen im Haus

Die Taliban sind gestürzt, doch das Leben der Frauen in Afghanistan verändert sich nur langsam. Ein Gespräch mit der Filmemacherin Sandra Schäfer und dem Schmuckhändler Noorullah Karimi

Fragen von Christian Bangel und Chris Köver

Herr Karimi, Sie haben in den siebziger und achtziger Jahren in Kabul gelebt. Waren die Frauen damals freier als heute?

Noorullah Karimi: Es gab große Unterschiede zwischen den Frauen in Kabul und denen in den Dörfern. Die Frauen in der Stadt hatten damals mehr Freiheiten. Sie waren besser ausgebildet, konnten ohne Schleier in die Stadt gehen und arbeiten. Die Frauen in den Dörfern mussten sich verschleiern und durften nicht in die Schule. Für sie hat sich bis heute wenig geändert. Die Frauen, die man hier im Fernsehen sieht, wenn vom neuen Afghanistan die Rede ist, sind noch immer eine Minderheit.

Tragen Frauen in Kabul heute die Burka?

Sandra Schäfer: Ich hatte den Eindruck, dass die Burka im Moment strategisch verwendet wird: Frauen tragen sie, um nicht erkannt oder belästigt zu werden. Das heißt aber nicht, dass sie unmodern oder unemanzipiert sind. Viele tragen unter der Burka Jeans. Das Bild von der Burka als Symbol der Unterdrückung, das wir Deutschen haben, ist ein Missverständnis.

Können Frauen sich auch frei dagegen entscheiden, eine Burka zu tragen?

Schäfer: Viele jüngere Frauen tragen nur Kopftuch. Das aber ist anstrengender. Wenn man sich als Frau alleine und ohne Burka in der Stadt bewegt, wird man ständig von Männern angesprochen – und das ist nicht gut für den Ruf.

Karimi: Wenn eine Frau allein in die Stadt geht und von anderen Männern gesehen wird, wirft das ein schlechtes Licht auf ihre Familie. In Afghanistan gilt immer noch: eine Frau gehört ins Haus. Wenn sie eine Burka trägt, kann sie sich freier bewegen, weil niemand sie erkennt, nicht mal ihr eigener Bruder.

Eine eigenwillige Definition von Freiheit. Tragen alle Frauen die Burka freiwillig?

Schäfer: Es gibt sehr unterschiedliche Familien. Ich hatte mit sehr selbstständigen Frauen zu tun. Viele von denen tragen auf dem Weg zur Universität die Burka und stecken sie dann in eine Tüte, wenn sie auf dem Campus ankommen. In anderen Familien hingegen geht die Frau selten allein einkaufen. Wenn sie es doch tun, wird erwartet, dass sie Burka trägt.

Karimi: Wenn ich als Mann meine Frau zwinge, eine Burka zu tragen, dann traue ich entweder meiner Frau oder den Menschen nicht. Meine Frau trägt keine Burka und ich habe kein Problem damit, wenn meine Frau in die Stadt geht, weil ich ihr vertraue.

Herr Karimi, wie war es, als sie in Afghanistan aufgewachsen sind? Wurde die Burka von allen Frauen getragen?

Karimi: Alle Frauen in meiner Familie waren damals verschleiert. Die älteren möchten auf die Burka auch heute nicht verzichten. Meine Großmutter hat sich immer geweigert, unverhüllt auf die Straße zu gehen. Für sie war das, als sei sie nackt.

Frau Schäfer, in ihrem Film zeigen sie eine fiktionale Szene, bei der Frauen für ihre Rechte demonstrieren. Gibt es solche Demonstrationen tatsächlich in Kabul?

Schäfer: Meist sind es eher Männer, die demonstrieren. Es gibt aber auch Frauen, die sich an Demonstrationen beteiligen. Dabei geht es nicht nur um Frauenthemen, sondern alles mögliche. Frauen und Männer laufen dann allerdings von einander getrennt.

Geschlechtertrennung findet man in Afghanistan in vielen Bereichen. An welchen Orten treffen sich Frauen und Männer überhaupt?

Schäfer: Auf der Straße natürlich, aber auch am Arbeitsplatz und in den Universitäten. Ich arbeitete vor allem in der Filmszene. Dort mischt es sich zwar, dennoch sind noch immer bestimmte Bereiche getrennt. Als ich bei den Dreharbeiten in Kabul mit meinem Tablett in den Gemeinschaftsraum kam, merkte ich, dass dort nur Männer saßen.

Gibt es in Kabul so etwas wie ein gemeinsames Studentenleben?

Schäfer: Man trifft sich tagsüber auf dem Campus, in der Bibliothek oder in der Cafeteria. Es gibt mittlerweile auch einige Einkaufszentren mit Cafés, in denen sich viele Jugendliche treffen.

Und abends? Trifft man sich zum Kino oder geht gemeinsam essen?

Schäfer: Abends hält man sich in der Familie auf. Wenn überhaupt, besucht man sich zum Abendessen. Aber man geht nicht in die Stadt oder ins Kino, wie wir das kennen. Kinos sind ohnehin selten und gelten als verruchte Orte, in denen sich höchstens Männer treffen.

Karimi: Frauen treffen sich in den Häusern. Wenn eine Frau abends weggeht, muss ein Mann aus ihrer Familie dabei sein.

Hat sich die Situation der Frauen seit dem Fall der Taliban insgesamt verbessert?

Schäfer: Das ist schwer zu sagen. Einerseits können Frauen heute wieder studieren und arbeiten, und sie können ihr Recht darauf in den Familien durchsetzen. Gleichzeitig hat sich die Sicherheitslage seit dem Fall der Taliban extrem verschlechtert. In Kabul werden fast täglich Selbstmordattentate verübt. Das wirkt sich wiederum auf die Lage der Frauen und Kinder aus. Viele Väter lassen die Frauen und Kinder nicht zur Schule oder zur Arbeit gehen. Sie sagen: Lieber Analphabetin als tot.

Die afghanische Regierung unter Präsident Karsai scheint in Bezug auf Frauenrechte einen Spagat zu machen: Zwar ist die Gleichberechtigung der Frauen in der Verfassung festgeschrieben, doch gibt es seit einiger Zeit auch wieder eine Sittenpolizei wie unter den Taliban, die bereits einige Mädchenschulen geschlossen hat.

Schäfer: Die afghanische Verfassung ist in Bezug auf die Frauenrechte fortschrittlicher als die deutsche. In den Gemeinderäten sind Frauenquoten festgeschrieben. Auf der Gesetzesebene sind viele Frauenrechte durchgesetzt worden. Das heißt aber nicht, dass sie im Alltag auch respektiert werden.

Hat der Status, den Frauen in Afghanistan haben, etwas mit dem Islam zu tun?

Schäfer: Der Islam wird immer wieder herangezogen, um die Stellung der Frauen zu begründen. Ich glaube aber, dass das weniger mit dem Islam zu tun hat als mit sozialen Gewohnheiten. Die Verfassung legt die Rechte der Frauen zwar fest, aber das ungeschriebene Gewohnheitsrecht ist stärker. Die Mullahs sind auf den Dörfern die größte Autorität. Die meisten können aber nicht mal lesen und schreiben. Sie berufen sich auf den Koran, ohne zu wissen, was dort eigentlich steht.

Karimi: Dass Frauen in Afghanistan die Burka tragen, hat eher etwas mit kulturellen Konventionen zu tun als mit dem Islam. Die Verschleierung, die die Fundamentalisten fordern, hat nichts mit dem Islam zu tun, das ist eine politische Strategie. Die westlichen Länder sagen: Frauen haben unter den Fundamentalisten keine Rechte. Die Fundamentalisten sagen: Frauen haben in westlichen Ländern keine Rechte, weil sie zu Sexobjekten degradiert werden. Wir halten die Frauen wie Blumen in unserem Haus.

Wie kann sich die Situation der Frauen verbessern?

Karimi: Man muss die Mullahs besser ausbilden, damit sie die Rechte der Frauen – und Männer – im Islam kennen und den Menschen erklären können. Sie sagen: Es ist das Recht der Frau, zu Hause sein zu müssen. Dabei steht das nirgendwo im Koran.

Schäfer: So lange in Afghanistan Krieg herrscht, wird es den Frauen nicht besser gehen. Aber auch wenn die Sicherheitslage besser wird, gilt: Man kann Frauenrechte nicht von oben verordnen. Die sozialen Strukturen in der Gesellschaft müssen sich ändern. Das wird sehr lange dauern.

Wie ist es mit der jungen Generation?

Karimi: Viele der jungen Menschen haben Angst und trauen der Lage nicht. Sie hören von den Selbstmordattentaten und sehen, dass die Taliban wieder mächtiger werden. Und sie fragen sich: Was, wenn die Taliban morgen wieder an die Macht kommen? Besonders junge Frauen trauen sich deswegen nicht, den Schleier abzulegen oder zur Universität zu gehen.

Schäfer: Die Jugendlichen in Kabul bekommen einerseits sehr viel von außen mit, sie fahren zum Schüleraustausch nach Dubai oder Iran, sie sprechen gut Englisch. Auf der anderen Seite sind viele der jungen Männer nach wie vor sehr konservativ. Ein Beispiel: Unsere Übersetzerin in Kabul hatte von ihrem Vater die Erlaubnis bekommen, für uns zu arbeiten. Als ihr Vater im Ausland war, hat ihr jüngerer Bruder ihr verboten, weiterzuarbeiten. Er war eifersüchtig, weil sie mehr verdiente als er.

In Afghanistan ist die Familie die wichtigste soziale Einheit. Die Frauen repräsentieren die Ehre. Der soziale Druck ist sehr hoch: Wenn eine Frau sich unanständig verhält, wird über sie geredet. Das ist für alle Beteiligten – die Väter, die Brüder und die Frauen – sehr anstrengend und führt zu einer viel subtileren Art von Repression als die Gesetze der Taliban.

Den größten Druck üben die Brüder aus. Die Väter haben noch die Phase vor der sowjetischen Besatzung und dem Bürgerkrieg der Mudschaheddin miterlebt, als Afghanistan liberaler war. Sie sind deswegen häufig aufgeschlossener.

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51 / 2007
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