Flüchtlinge
Birmas schwarze Zonen
Im Vielvölkerstaat Birma werden ethnische Minderheiten brutal verfolgt. Mehr als drei Millionen Menschen sind auf der Flucht. Was bedeuten die Proteste für sie?
Der Verein Helfen ohne Grenzen e.V. betreibt in Thailand Schulen und Krankenhäuser für die eine Million Bürgerkriegsflüchtlinge aus Birma. Benno Röggla hält sich in diesen Tagen im Südwesten Thailands nahe der Grenze zu Birma auf. Wir haben mit ihm über die Situation der Flüchtlinge gesprochen.
Herr Röggla, ihr Verein hilft Flüchtlingen aus Birma. Was sind das für Menschen?
Die Unterdrückung der Bevölkerung durch das Militärregime in Birma ist nur die eine Seite. Die andere Seite, von der die Weltöffentlichkeit relativ wenig weiß, ist ein Völkermord, der hier seit Jahrzehnten geschieht. Die Opfer sind vor allem die Minderheiten, die an den äußeren Landesgrenzen leben.
Galerie: Die Geschichte Birmas in Bildern
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Die Regierungsarmee marschiert in Dörfer ein und brennt sie nieder. Die Soldaten vergewaltigen Frauen und Mädchen (Bericht des Shan Womans Action Network ) , erschießen vermeintliche Kollaborateure und entführen Menschen, die dann Zwangsarbeit leisten müssen oder als lebende Minendetektoren durch den Dschungel marschieren. Wir wissen von vielen tausenden Kindersoldaten – manche von ihnen sitzen bei uns in den Klassenzimmern.
Man muss jedes Tabu fahren lassen, um sich vorstellen zu können, was dort geschieht.
Birma wirkt wie eine perfekt organisierte Militärbürokratie. Was sie beschreiben, ist dagegen brutale Anarchie. Kann die Junta das Morden nicht stoppen – oder will sie nicht?
Das ist Teil der Strategie. Die Minderheitengebiete sind unterteilt in sogenannte Schwarze Zonen – oder Free Fire Zones. Jeder Soldat darf dort ungestraft Zivilisten erschießen, foltern oder vergewaltigen. In den vergangenen 15 Jahren sind allein im Karen-Staat 3000 Dörfer niedergebrannt worden.
Die Generäle selbst sind paranoid, sie haben zum Beispiel Angst vor US-amerikanischen Angriffen. Im Jahr 2005 haben sie begonnen, in Pyinmana eine Retortenhauptstadt aus dem Boden zu stampfen . Im Umkreis dieser Stadt wurden im Rahmen von Säuberungsaktionen mehrere hundert Dörfer entvölkert.
Was geschieht mit den Menschen?
Sie fliehen zu tausenden. Je nachdem, wie weit man die Definition der Internally Displaced People fasst, gibt es bis zu zwei Millionen Menschen, die sich in den dichten Wäldern Birmas verstecken, vor allem im östlichen Teil des Landes. Hinzu kommen die mehr als eine Million Flüchtlinge, die es über die Grenze nach Thailand geschafft haben.
Diese Menschen sind dem Militärregime entkommen. Aber wie werden sie in Thailand aufgenommen?
Ungefähr zehn bis zwanzig Prozent von ihnen leben in Flüchtlingslagern. Sie werden zwar von den großen Hilfsorganisationen halbwegs betreut, dürfen die Lager aber kaum verlassen. Die ältesten dieser Flüchtlingslager bestehen bereits seit mehr als 20 Jahren. Es gibt dort Jugendliche, die nur das Lager kennen, in dem sie aufgewachsen sind.
Der andere Teil der Flüchtlinge hält sich illegal in Thailand auf. Wer Glück hat, findet Arbeit in einem Sweatshop und näht beispielsweise Textilien.
In Birma herrscht Bürgerkrieg. Wer kämpft dort gegen wen?
Die Karen zum Beispiel haben noch aus der Zeit des zweiten Weltkrieges einen Ruf als Guerilla-Kämpfer. Jede Minderheit hat begonnen, sich selbst zu schützen und alle haben eigene Armeen gebildet. Weil die Militärjunta versucht, deren Führer mit Macht und Geld zu ködern, sind überall weitere Armeen entstanden, die nun wiederum mit dem Regime kooperieren. In Kayin, wo die Karen leben, gibt es zum Beispiel die Karen National Liberation Army (KNLA) und die Democratic Karen Budhist Army (DKBA) , die sich gegenseitig bekämpfen. Darauf können die Generäle verweisen, wenn sie kritisiert werden. Sie selbst stehen mit reiner Weste da.
Die Junta verfolgt eine Politik der vier Schnitte: Die Minderheiten sollen von der Versorgung mit Nahrungsmitteln, Medizin und Bildung abgeschnitten werden und sie sollen sich nicht organisieren können. „Divide and Rule“ lautet die Parole.
Wirkt diese Strategie auch außerhalb des Militärischen? Die Karen sind mehrheitlich Christen, während 90 Prozent der Einwohner von Birma Buddhisten sind.
Die Religion wird vorgeschoben. Wir erleben tagtäglich in unseren Schulen, dass die verschiedenen Konfessionen friedlich miteinander leben. Dort sitzen Kinder von Christen und Buddhisten in der gleichen Klasse, selbst Kinder, deren Eltern in der KNLA oder der DKBA sind. Sie feiern zusammen Weihnachten ebenso wie den heutigen Vollmond.
Würde sich die Situation der Menschen verbessern, wenn die momentanen Proteste Erfolg hätten?
In Birma leben die Menschen seit 1962 in Unterdrückung. Birma war von jeher ein Vielvölkerstaat, es hat immer schon Konflikte gegeben. Die Minderheiten arbeiten politisch zwar zusammen. Aber wie die vielen verschiedenen Interessen am Ende zusammenfinden könnten, ist schwer zu sagen. Birma hat Bodenschätze, das provoziert natürlich viele Arten von Konflikten.
Es hinge davon ab, wer am Ende die Regierung stellen könnte. Aung San Suu Kyi wäre in der Lage, das Land zumindest als Symbolfigur zu einen. Ich persönlich glaube, dass es eine Übergangsphase gäbe, in der auf jeden Fall weiter gekämpft würde.
Was, wenn das Regime die Oberhand behält?
Im Moment herrscht in den Minderheitengebieten Ruhe. Die Militärs konzentrieren all ihre Kräfte auf den Machterhalt. Sollte die Junta doch noch einmal die Kontrolle gewinnen, befürchte ich für die Minderheiten und das ganze Land Schlimmes. Dann müssen wir uns darauf vorbereiten, dass noch einmal sehr viel mehr Flüchtlinge kommen werden.
Als Außenstehender kann ich nur meinen Eindruck widergeben, aber ich glaube, die Menschen sagen sich: Dieses Mal nimmt der Protest kein Ende. Der Moment ist günstig, die Protestierenden haben sich gut organisiert, die Olympischen Spiele in Peking stehen bevor. China, bisher immer der große Bruder der Generäle, kann sich kein Blutvergießen in der unmittelbaren Nachbarschaft leisten. Manche hier hoffen darauf, dass die westlichen Länder mit einem Olympia-Boykott drohen.
Die Fragen stellte Carsten Lißmann
40 /
2007
ZEIT ONLINE