Libanon
Die Möhre ist das Medium
Kamal Mouzawak betreibt in Beirut einen Bauern-Markt. Im Libanon ist das Politik. Warum, das erklärt er im Interview
Herr Mouzawak, Sie veranstalten jede Woche den Markt
Souk El Tayeb
in Beirut, weil sie glauben, dass Essen Menschen näher zusammenbringt. Wen soll der Markt zusammenbringen?
Libanon ist ein sehr vielfältiges Land. Fast nirgendwo sonst gibt es eine so große Vielfalt an Religionen, Völkern oder Klimazonen. Auf nur 10.000 Quadratkilometern haben wir hier mediterranes Klima an der Küste, hohe Berge und Steppe im Landesinneren. Wir haben nicht eine Mehrheit und viele Minderheiten – politisch, religiös oder regional. Es gibt nur Minderheiten, die alle fast gleich groß und stark sind.
Diese Vielfalt kann man positiv sehen – als Bereicherung –, oder negativ, nach dem Motto: Der andere ist anders als ich, also muss ich ihn töten. Im Moment überwiegt die negative Sichtweise. Wir wollen die positive in den Vordergrund stellen.
Souk El Tayeb ist eines der seltenen Projekte im Libanon, die über die Unterschiede hinweg funktionieren. Wir sagen nicht: Wir sind alle gleich. Aber gerade in unserer Verschiedenheit können wir uns trotzdem bereichern. Egal ob du Maronit bist oder orthodoxer Christ , aus dem Süden oder aus dem Norden, du kannst mitmachen. Essen ist das einzige, was uns eint, nicht die Religion, nicht die politischen Überzeugungen oder Herkunft. Was uns zusammenbringt, ist die Liebe für unser Land und das, was unser Land uns gibt.
Ist der Markt ein politisches Projekt?
Auf jeden Fall.
Welche politischen Ziele verfolgen Sie?
Wir wollen das Land unterstützen, indem wir kleine, qualitativ hochwertige landwirtschaftliche Produktion unterstützen.
Wollen Sie dazu beitragen, die Menschen im Süden unabhängiger zu machen von der Hisbollah ?
Wir haben nichts gegen die Hisbollah im Besonderen. Wir haben etwas gegen politische Parteien im Libanon im Allgemeinen, weil sie die Menschen nur als Anhänger, nicht als freie Individuen sehen. Wir wollen ein bewusst handelndes, unabhängiges Individuum, das verantwortlich und frei ist. Wenn Menschen die Möglichkeit haben, ihre Produkte zu einem fairen Preis auf unserem Markt zu verkaufen, macht sie das unabhängig und frei. Sie sind dann nicht mehr von staatlichen Subventionen abhängig – wie in der EU oder den USA. Sondern sie können von dem leben, was sie produzieren. Die Menschen sollen nicht betteln müssen.
Aber Ihr Projekt erhält doch ebenfalls Subventionen?
Wir sind stolz darauf, keine Subventionen zu erhalten. Der Markt wird allein aus den Gebühren der teilnehmenden Produzenten finanziert. Es gibt einzelne Projekte, an denen sich fremde Organisationen finanziell beteiligen. Unser Newsletter wird etwa vom Schweizer Außenministerium mitfinanziert. Aber das sind Kooperationen, keine Subventionen.
Was unterscheidet den Souk El Tayeb von anderen Märkten im Libanon?
Souks
haben im Orient eine lange Tradition. Es sind kleine Straßen mit vielen einzelnen Geschäften, wie ein Einkaufszentrum unter freiem Himmel. Aber die Ladenbesitzer sind traditionellerweise Händler, keine Produzenten. Unser Souk ist ein Produzenten-Markt. Das ist der wichtigste Unterschied. Wir wollen den Produzenten in den Vordergrund stellen, damit das Produkt wieder ein Gesicht bekommt. Menschen kommen nicht auf unseren Markt, um Brot zu kaufen, sondern um das Brot von Kamal oder Toni zu kaufen. Es geht um Beziehungen.
Auch vor unserem Markt haben Bauern ihre Produkte in Beirut angeboten, aber das war nicht organisiert. Sie standen einfach am Straßenrand, wenn die Bevölkerung am Sonntagabend zurück in die Stadt kam.
Was hat sich in den vergangenen drei Jahren durch den Markt geändert?
Kleine Produzenten bekommen jetzt mehr Anerkennung. Sie werden nicht mehr nur als Bauern gesehen, sondern als wichtiger Teil der Gesellschaft, der unsere Traditionen aufrechterhält. Zweitens ist durch den Markt Qualität für die Konsumenten wichtiger geworden. Drittens hat der Markt einen Treffpunkt geschaffen. Er bringt Menschen vom Land in die Stadt, Produzenten und Konsumenten lernen sich kennen. Unsere Kunden sind sehr treu. Wenn sie mal eine Woche nicht kommen, fragen die Händler in der Woche darauf: Warst du krank? Alle kennen sich, es ist wie eine Familie. Dabei geht es nie um Religion oder Politik, sondern um das Essen, die Produkte.
Im Norden des Libanon hat sich die libanesische Armee in den vergangenen Monaten schwere Kämpfe mit der Islamisten-Miliz Fatah al-Islam geliefert. Hat das Ihre Arbeit beeinflusst?
Ja, unserem Markt hat das sehr geschadet. In Zeiten des Krieges ist es den Menschen egal, ob etwas biologisch angebaut, qualitativ hochwertig oder traditionell ist. Da geht es wieder um grundlegendere Dinge, ums Überleben. Aber der Markt ist immer offen, egal was passiert, und unsere Stammkundschaft kommt trotzdem. Direkt neben unserem Standort in der Innenstadt ist seit etwa einem Jahr das politische Camp der Hisbollah . Daneben ist unser Souk – ein Camp des Lebens. Für uns ist das ein Akt des Widerstandes.
Was haben Sie während des Krieges im Sommer 2006 getan?
Viele unserer Produzenten kommen aus dem Süden des Landes. Während der Luftangriffe waren sie für Wochen von Beirut abgeschnitten. Aber der Markt hatte weiter geöffnet. Im Juli und August hatten wir ihn aus der Innenstadt nach Faqra verlagert, ein Dorf in den Bergen bei Beirut. Dort war es sicherer.
Vor kurzem haben Sie einen zweiten Souk El Tayeb in Byblos, einer kleinen Stadt nördlich von Beirut eröffnet. Als die Kämpfe losgingen, mussten sie ihn nach wenigen Wochen wieder schließen.
Wir hatten einfach nicht genug Kundschaft. Die Menschen waren eingeschüchtert, sie sind dort näher an den Gefechten.
Kann man allein mit Lebensmitteln wirklich etwas gegen die Gewalt im Land ausrichten?
Die Lebensmittel sind nur ein Medium, es geht um Produktion. Darum zu überleben und produktiv zu sein – trotz all der Gewalt.
Wie soll es mit dem Souk weitergehen?
Im Moment mieten wir den Standtort nur ein Mal die Woche für einen halben Tag. Wir wollen einen dauerhaften Platz in Beirut finden und mindestens zwei Mal die Woche verkaufen. Außerdem wollen wir zwei neue Märkte eröffnen, in Saida im Süden und in Tripoli im Norden. Das sollen regionale Märkte für die dortigen Produzenten sein. Im Norden können wir allerdings nichts tun, bis sich die politische Situation wieder beruhigt hat.
Was ist Ihr Lieblingsprodukt auf dem Markt?
Ich bin ein großer Fan von Tabouleh . Tabouleh selbst kann man auf dem Markt nicht kaufen, aber ich kaufe die Petersilie und die Tomaten und bereite es zu Hause zu.
Kaufen sie das Couscous auch auf dem Markt?
Wenn Sie schreiben, dass man Taboleh mit Couscous zubereitet, verklage ich Sie! Das Originalrezept wird mit Bulgur gemacht. Sie finden es in unserem
aktuellen Newsletter
.
Auch wichtig:
Auf beiden Seiten
- Der Zuender-Schwerpunkt zum Krieg im Libanon
Libanon
- Texte zum Thema auf Zeit Online
Drüber reden?
- Dieser Artikel wird hier im Forum diskutiert
Nach Hause
- Zuender. Das Netzmagazin
37 /
2007
ZEIT online