Arbeit

Band haben, ausschlafen

Gibt es noch einen Unterschied zwischen Bohéme und Unterschicht? Das fragt Christiane Rösinger, Sängerin der Band Britta, in ihren Texten. Ein Gespräch über das Leben ohne festen Job und Zentralheizung.

Fragen von Chris Köver

"Ich hab ja keine Angst, nur manchmal frag' ich mich: Ist das noch Boheme oder schon die Unterschicht?", singt Christiane Rösinger auf dem aktuellen Album ihrer Band Britta . Das ist herrlich lakonisch und typisch für Rösingers Texte, die sie früher bei den Lassie Singers , nach deren Auflösung seit ein paar Jahren bei Britta vorträgt. Realistisch bis depressiv sind die Texte, und Rösingers unverwechselbar krächzige Stimme eignet sich besonders gut dazu, sie vorzutragen.

Das Leben der leicht verarmten Großstadtbohéme kennt Rösinger aus eigener Erfahrung. Die Tochter badischer Spargelbauern kam 1985 nach Westberlin, da war sie 23 Jahre alt und hatte eine dreijährige Tochter. Seitdem schlägt sie sich durch und singt und schreibt darüber.

Frau Rösinger, Sie sind Frontfrau bei der Band Britta , Labelbetreiberin , freie Autorin. Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Ich bin wahnsinnig faul und schlafe sehr viel. Im Sommer stehe ich manchmal schon um zehn auf. Aber wenn ich abends lange aus war oder das Wetter so depressiv ist, liege ich eher bis zwölf im Bett. Wenn ich dann aufstehe: Kaffee, Mails checken, Zeitung lesen, Spazieren gehen, ins Cafe gehen, wieder Zeitung lesen, mich vielleicht mit jemandem treffen. Dann gibt es kleine Büroarbeiten: Flüge buchen, Mails beantworten, CD einpacken und zur Post tragen für meinen Vertrieb .
Wenn man gerade eine Platte macht, macht das sehr viel Arbeit. Dann geht man drei Mal die Woche proben und auf Tour. In den Phasen dazwischen macht man nicht viel. Aber das finde ich toll. Dann lege ich mich aufs Sofa und blättere ein bisschen im Gedichtband.

Haben Sie sich bewusst für das Leben als Bohémienne entschieden oder ist man das automatisch als Musikerin?

Früher dachte ich, ich sei Musikerin geworden, um nicht normal arbeiten zu müssen. Meine Eltern waren Landwirte und hatten ein wahnsinigen Arbeitsethos. Sie rieten mir, ins Büro zu gehen. Das sei das Beste, was ein Mädchen machen könne. Also habe ich nach der Realschule eine Buchhandelslehre gemacht und dort von acht bis halb sieben im Laden gestanden, aber das war schrecklich. Ich bekam dann ein Kind – einfach um einen Grund zu haben, die Lehre abzubrechen. Als ich damals mit dem kleinen Kind auf dem Dorf hockte, habe ich immer davon geträumt: eine Band haben, ausschlafen.

Nachdem wir die Lassie Singers gegründet haben, konnte ich zwei Jahre lang von der Musik leben. Als das vorbei war dachte ich, jetzt müsste ich vielleicht doch arbeiten. Aber es ist nicht so, dass einen die bürgerliche Gesellschaft nach so einem Leben wieder mit offenen Armen empfängt.

Vermissen Sie manchmal einen festen Rhythmus?

Manchmal wünsche ich mir, etwas Festes zu haben, zwei, drei Tage die Woche. Mal nicht kreativ sein, nicht schreiben müssen, einfach wo hingehen, ganz stumpf. Ein Job, bei dem man einfach die Tür zumachen kann. Als Musikerin oder freie Journalistin hat man ja nie Feierabend. Aber ich bin jetzt 46. Wenn man die vergangenen zwanzig Jahre nirgendwo gearbeitet hat, bekommt man auch keinen Job mehr. Ich habe schnell gemerkt: Die wollen mich gar nicht mehr und ich will sie eigentlich auch nicht. Das war sehr befreiend.

Was ist die größte Herausforderung an so einem Lebensstil?

Sich bei Laune zu halten. Wenn man etwas schwermütig veranlagt ist, ist so ein rein kontemplatives Leben gar nicht so gut. Gerade in den Wintermonaten wird man sehr melancholisch. Da wäre es besser, man würde unter Menschen gehen und einer Aufgabe nachgehen.

Wahnsinnig macht mich auch die Vermischung von Arbeit und Freizeit. Wenn man ein Label betreibt, schnürt man tagsüber Päckchen und telefoniert. Aber auch abends in der Bar hört die Arbeit nicht auf. Man muss dann auch da jedem erzählen, wie toll die eigenen Projekte sind.

Wovon leben Sie?

Ich schreibe ab und zu für die taz . Das bringt in guten Monaten vielleicht fünfhundert Euro. Durch CD-Verkäufe und Downloads kommen noch mal ein bis zweihundert dazu. Dann noch GEMA-Gebühren, Honorare, die ich für Panels oder Lesungen bekomme, manchmal kleine Konzertgagen. Für mein Buch habe ich einen kleinen Vorschuss bekommen. Zusammen ist das nicht viel, im Schnitt lebe ich von neunhundert Euro im Monat.

Würden Sie sich als arm bezeichnen?

Wenn man sich abends noch den Sekt auf Eis und tagsüber den Milchkaffee leisten kann, ist man nicht arm. Das ist bei mir noch der Fall. Ich gehe auch aus und ins Kino. Dafür verzichte ich auf andere Sachen. Ich habe zum Beispiel Ofenheizung und zahle deswegen nur 300 Euro Miete. Außer meiner Krankenversicherung bin ich nicht versichert. Und Kleidung kaufe ich mir nur bei H&M, wenn überhaupt.

Wo liegt der Unterscheid zwischen Bohème und Unterschicht?

Soziologisch betrachtet macht Bildung den Unterschied. Die meisten von uns haben doch einen Universitätsabschluss und reflektieren die eigene Situation. Gleichzeitig verbringen meine Unterschichtnachbarn ihre Freizeit nicht so anders als ich. Die schauen Tag und Nacht fern. Solche Phasen habe ich auch. Ich gehe ja in meiner Freizeit auch nicht ins klassische Konzert.
Dass man wirklich Unterschicht ist, merkt man, wenn etwas passiert. Ich war nach einem Unfall ein Jahr lang immer wieder im Krankenhaus und konnte nicht arbeiten. Da verdient man auf einmal nichts mehr, man bekommt kaum Krankengeld und als Künstler fällt man aus allen Mustern raus. Die Krankenkassen und Ärzte haben meine Situation nicht verstanden. Die haben vorgeschlagen, wenn ich nicht stehen kann, sollte ich mir etwas suchen, wo ich im sitzen arbeiten kann.

In dem Lied "Wer wird Millionär" singen Sie über das schöne Leben, dass sich immer nur die anderen leisten können. Wünschen Sie sich manchmal, so zu leben?

Ich bedaure sehr, dass ich nicht Reisen kann. Ich bin kaum irgendwo gewesen, außer auf Tour mit meiner Band. Der Rest ist mir egal. Berlin ist gut, weil hier der Neid nicht so geschürt wird. Die Gegensätze sind nicht so stark und man kann auch mit wenig Geld gut leben. Außerdem fühle ich mich in den meisten In-Restaurants gar nicht wohl.

Was halten sie von der neuen Generation der kreativen Arbeiter?

Wenn ich die sehe, mit ihren Laptops, ist es mir ein Gräuel. Es hat da einen Wechsel gegeben: In den Achtzigern, Neunzigern war es völlig Ordnung, nichts zu machen, vielleicht ein bisschen Musik zu machen, eine illegale Bar oder Kunst. Plötzlich haben sich die Leute dann immer mehr über Arbeit definiert. Teilweise hatten sie gar nicht so viel zu tun, aber es wurde auf einmal unschick zu sagen: Ich habe den ganzen Nachmittag rumgelegen. Jetzt soll es auf einmal begrüßenswert sein, dass Arbeit und Freizeit ineinander übergehen. Ich finde das eher belastend.

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35 / 2007
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