ZIVILDIENST

Ein Jahr selbstlos, bitte!

Dass nur Wehrdienstverweiger Zivildienst machen müssen, ist unfair. Schließlich ist Sozialwerden für alle wichtig. Frauen for Zivi, wünscht sich Frauke Schnoor

Ich habe noch nie ein Altenheim, eine Psychatrie, ein Asylantenheim betreten. Krankheit, Wahnsinn und sozialer Abstieg finden in meiner Welt nicht statt. Das liegt an diesen Einrichtungen, mit Schranken und Zäunen, die das Negative ins Außergesellschaftliche abschieben. Weit weg vom Alltag.  Mich zwingt niemand, mir diese Orte anzuschauen. Das liegt vorallem daran, dass ich eine Frau bin. Denn sonst wäre ich nach meinem Schulabschluss zwangsläufig irgendwo dort gelandet, weil mir Waffen nicht sonderlich sympathisch sind. Ich hätte Zivildienst gemacht. Rückblickend würde ich sagen, diese neun Monate hätten mir gut getan.

Ich habe mal einen Bekannten vom Zivildienst abgeholt. Er arbeitete auf Station 2a im Landeskrankenhaus. Das sind die schweren Psychosen mit Selbstmordgefahr. Ich wollte schon weglaufen, weil ein offensichtlich verwirrter Mann in meine Richtung ging. Mein Bekannter erzählte mir, wie er Kicker mit den Patienten spielte und Hofgänge mit ihnen machte, wie er ihnen Zigaretten kaufte und sie ihm wirre Geschichten erzählten. Für mich ist das Sperrgebiet, für ihn Alltag.

Zivildienst für alle, fordere ich deshalb. Weil dieses Jahr, so lästig es manchem sein mag, heilsam ist. Nicht nur, weil es dem, der es macht, zeigt, dass die Welt hinter der Norm weitergeht, sondern auch, weil man zu fassen kriegt, erfährt, erfasst, das die Welt hinter der Norm schön sein kann.

Wer aus der Schule kommt, hat vor allem gelernt, sich selbst der Nächste zu sein, effektiv zu arbeiten und sich um die Verlierer der Klasse einen Dreck zu scheren. Man lernt, dass der Sinn des Lebens die Selbstverwirklichung ist (so ein Schmu) und nicht etwa, das Arbeiten gehen eigentlich heißt, eine Gesellschaft gemeinsam am Laufen zu halten. Die Frage, die ich mir nach der Schule stellen muss ist nicht "Was will ich werden?", sondern "Was kann ich für die Welt tun?".

Das es letztere Frage gibt, lernen viele im Zivildienst. Ich lerne sie jetzt erst und frage mich manchmal, ob nicht der Klempner mehr für die Welt tut als ich. Wir sind gewohnt, dass sich Andere um diejenigen kümmern, die irgendwie durch das Raster fallen. Aber wäre es nicht wichtig, das wir so früh wie möglich mit jenen Bereichen konfrontiert werden, die jetzt von uns ferngehalten werden? Wäre es nicht wichtig, wo wir schon unsere Großeltern nicht mehr pflegen müssen, dass wir trotzdem lernen, uns um Schwächere zu kümmern? 

Fast jeder, der Zivildienst macht, fühlt sich hinterher bereichert. Wer beim Bund war, schimpft meistens über Langweile. Das die Männer wählen können zwischen Bund und Zivi ist an sich ungünstig: die Kriegsfilm-Fans, die eigentlich einen Zivildienst nötig hätten, gehen zum Bund. Es sind doch gerade sie, für die es eine Horizonterweiterung sein könnte Kindern Geschichten vorzulesen.

In Deutschland ist soziale Verantwortung Freizeitsache. Das heißt, ehrenamtlich engargieren sich nur diejenigen, die Zeit haben.  Es gibt aber eine neue Tendenz:
Seit soziale Kompetenz und Engargement ein Einstellungskriterium geworden sind, sieht man immer mehr Mittzwanziger, die im neunten Semester Attac beitreten oder für die alte Frau von Nebenan nach der Vorlesung noch schnell Einkaufen gehen. Emotionale Intelligenz und deren Bedeutung für die Wirtschaft hat damit einen Trend ausgelöst. Er zwingt denjenigen, der erfolgreich sein will, zur Selbstlosigkeit.

Nur ist das eigentlich zu spät. Schon viel früher müssten wir darauf hingewiesen werden, dass wir ohne Mitgefühl nicht weit kommen. Das Ableisten eines Zivildienstes müsste für alle Voraussetzung sein, eine Ausbildung oder ein Studium anzufangen. Bevor man uns auf die Welt zustürmen lässt, müssten wir neun Monate lang aufhören, nur an uns zu denken.

Vor einiger Zeit gab es schonmal eine Debatte um ein Soziales Pflichjahr für Jungen und Mädchen. Vertreter von SPD und CDU hatten dies gefordert, für den Fall, das der Wehrdienst wegfällt. Die Idee wurde schnell wieder verworfen, Zwangsarbeit wäre dies und verfassungswiedrig sowieso. In einer Online-Umfrage der ARD zum Thema jedoch stellte sich heraus, das 59 % für die Einführung eines solchen Pflichtjahrs für Alle gewesen wären.

Dass nicht jeder Lust hat, sich sozial zu engargieren, ist klar - auch kann nicht jeder gut mit Menschen. Viele würden sich für dieses Jahr eine Stelle suchen, die so wenig von ihnen verlangt wie nur möglich, würden ein Jahr in der Ecke hocken und sms schreiben. Aber sie müssten es versuchen.

Demut, Aufopferung, Dankbarkeit, sind angestaubte, vom Aussterben bedrohte Begriffe. Sie klingen nach Samariterschaft und weltfremd. Das liegt aber vor allem daran, dass sie mit unseren Lebensentwürfen nicht übereinstimmen. Ich meine aber, wir müssen wieder mehr unsere Lebensentwürfe der Welt anpassen und nicht die Welt unseren Lebensentwürfen. Also auf in die Suppenküche!

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32 / 2007
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