Naher Osten

"Wir sind keine Hippies"

Wie lässt sich Frieden im Nahen Osten erreichen? Welche Art der Demokratie brauchen wir? Fragen, die arabische Jugendliche auf mideastyouth.com täglich diskutieren. Anonym, versteht sich. Ein Interview mit der Gründerin Esra'a Al Shafei

Fragen von Katharina Kehl

Mideastyouth.com wurde 2006 gegründet - gab es einen speziellen Anlass?

Ich habe mideastyouth gegründet, weil mir klar wurde, dass wir in den Medien des Mittleren Osten nicht frei sprechen können. Das Internet hat für uns einiges verändert, wir können jetzt unseren Themen Gehör verschaffen.

Du selbst bekommst regelmäßig Morddrohungen. Wie frei seid ihr denn im Internet wirklich?

Wir sind nicht frei. Mein Freund Kareem wurde in Ägypten für seine Blogtexte verhaftet. Wir werden von den Regierungen überwacht, aber auch von normalen Menschen. Morddrohungen bekomme ich von Privatpersonen. Viele mögen nicht, was wir denken. Sie mögen es nicht, dass wir unsere Sicht auf die Menschenrechte verbreiten. Oder, dass wir auch kurdische oder palästinensische Autoren haben.

Nimmst du diese Morddrohungen ernst?

Nein. Anfangs war ich verängstigt, weil ich noch sehr jung war und nicht wusste, wie ich reagieren sollte. Jetzt gibt es Leute, die die wahren Namen von Autoren aus Staaten wie Iran oder Saudi-Arabien preisgeben, die anonym für uns schreiben müssen.

Viele befürchten, dass im Nahen Osten eine Generation von Fanatikern aufwächst. Glaubst du, dass es parallel dazu eine "Internetgeneration" gibt, die auch offline aktiv ist?

Im Moment passiert vieles noch hauptsächlich im Internet. Aber wir suchen immer nach Wegen, das alles auch auf unser wirkliches Leben zu übertragen. Wir haben im letzten Jahr sechs Aktionen organisiert, unter anderem in Marokko und Ägypten. Überall haben wir mit Menschen über Toleranz und ähnliche Werte diskutiert. Jedes Mal kamen hinterher Leute zu mir, die an mideastyouth.com teilnehmen wollten.

Ihr sagt, dass ihr nicht auf Frieden hofft. Das sei naiv.

Viele Menschen, die über den Mittleren Osten sprechen, sagen Dinge wie: "Wir müssen uns die Hände reichen! Wir müssen Frieden machen!" Wir sind keine Hippies. Ich glaube nicht, dass vollständiger Frieden in unserer Region realistisch ist. Es geht zunächst um Dialog. Du musst wissen, was die Anderen denken. Dialog ist nie einfach, auch in unserem Netzwerk nicht. Wir versuchen, hier Lösungen für Probleme zu finden, die genauso in der Gesellschaft existieren.

Was ist deine persönliche Vorstellung von Demokratie?

Jede Regierung, die sich als demokratisch bezeichnet, muss die Menschenrechte anerkennen. Und sie muss ihr Volk an Entscheidungen beteiligen. Innerhalb des Netzwerks gehen die Meinungen darüber, wie Demokratie im Mittleren Osten aussehen sollte, sehr weit auseinander. Bei uns gibt es Leute aus dem Irak, die sehr sensibel auf das Wort “Demokratie” reagieren. Heißt Demokratie, fragen sie, ein anderes Land zu bombardieren? Andere sagen: "Die Bevölkerung ist ignorant, sie trifft falsche Entscheidungen!" Wie die Palästinenser, Hamas in die Regierung gewählt haben. Bevor wir über Demokratie sprechen können, müssen wir über Bildung sprechen. Wenn man einfach eine westliche Demokratie einführt, wie zum Beispiel im Irak, ohne die Leute vorher aufzuklären, werden sie sich nur gegenseitig umbringen.

Orientiert ihr euch an westlicher Demokratie?

Für mich persönlich wären nicht die USA, sondern eher die europäischen Länder das Vorbild.

Glaubst du, dass diese Art von Demokratie zum Islam passt?

Ja. Ich war gerade auf einer Konferenz in der Türkei, auf der das diskutiert wurde. Da waren Menschen aus dem Irak, aus Ägypten und Afghanistan. Der Islam ist eine tolerante Religion. Er akzeptiert Menschenrechte und die Rechte der Frau. Ich bin mir sicher, dass westliche Beobachter damit nicht einverstanden sind.

Wir sehen immer nur Bilder von voll verschleierten Frauen.

Tatsache ist, dass der Koran das Wort "Haar" gar nicht erwähnt. Er fordert nur, dass du deinen Körper bedecken und keine zu freizügige Kleidung tragen sollst. Das dient dem guten Ruf genauso wie der eigenen Sicherheit. Leider wird das oft falsch interpretiert. Als ich jünger war, habe ich den Islam abgelehnt. Ich lebte in der Nähe von Saudi-Arabien und sah, wie Frauen dort leben müssen. Ich dachte: "Wenn das der Islam ist, will ich kein Moslem mehr sein!" Ich habe dann begonnen, mich über die Religion zu informieren. Wir haben im Netzwerk viele Leute, die Atheisten sind. Ich glaube nicht, dass wir einen wirklich religiösen Iraner bei uns haben. Sie wollen keine Muslime sein, weil sie glauben, in ihren Ländern würde der wahre Islam praktiziert. Ich glaube aber, das ist eher eine Frage von schlechter Führung und nicht von religiösen Inhalten.

Der Nahe und Mittlere Osten wird von vielen regionalen Krisen geplagt. Können ausländische Institutionen wie das Nahostquartett Frieden stiften?

Ich glaube nicht. Der Grund, warum wir bei mideastyouth darauf bestehen, unabhängig zu bleiben, ist, dass viele Menschen hier ausländischen Organisationen nicht trauen. Ich hatte mal eine Anfrage von einer Organisation, die von der Amerikanischen Islam-Koferenz gesponsert wurde. Als meine Freunde "amerikanisch" hörten, sagten sie "Wenn du mit diesen Leuten zusammen arbeitest, kann ich nicht mehr für euch schreiben." Wir müssen unabhängig bleiben, weil die Leute Ausländern nicht trauen. Hinzu kommt: Wenn du Leute bewegen willst, musst du das selbst tun, da kannst du nicht auf Hilfe von außen warten.

Wie würde der Mittlerer Osten aussehen, wenn es nach dir ginge?

Die Menschen würden einander akzeptieren. Es würde keine unterdrückten Minderheiten mehr geben. Man würde Unterschiede feiern, anstatt um Dominanz zu kämpfen. Wir hätten Regierungen, die sich selbst nicht über das Gesetz stellen. Vollkommenen Frieden würde es selbst in einer idealen Welt nicht geben.

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28 / 2007
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