Musik

"Ein Scheißpräsident für Idioten"

Die Berliner Band Stereo Total hat es gern offen und entspannt. Und schätzt daher weder Paris noch gierige Plattenbosse. Ein Interview.

Von Stefan Kesselhut

Françoise, du bist in Frankreich aufgewachsen, lebst aber seit über zwanzig Jahren in Berlin. Gibt es Momente, in denen du dich zurück nach Frankreich sehnst?

Françoise Cactus: Bei einer Anti-Sarkozy-Demo in Lyon vor einigen Wochen stand  auf einem Transparent: "Ein Scheißpräsident für ein Land voller Idioten". Das sehe ich genauso. Frankreich hat sich in den vergangenen Jahren sehr verändert. Früher konnte man mit vielen Menschen reden und Spaß haben. Wenn ich heute mit dem Zug nach Paris fahre, sehe ich viele frustrierte Leute.

Ihr habt mal eine Weile in Paris gelebt. Was ist dort anders als in Berlin?

Brezel Göring: In Paris zu leben ist viel komplizierter. Die Leute arbeiten den ganzen Tag, um dann am späten Abend zurück in die Banlieue zu fahren. Es ist unfassbar teuer und fast alles beruht darauf, andere auszugrenzen. Egal, ob man nur sein Auto parken oder einen Club besuchen möchte – Paris ist eine geschlossene Gesellschaft. Berlin ist da ganz anders: billiger, entspannter und offener.

Auf eurem neuen Album Paris - Berlin heißen die Stücke Lolita Fantome und Miss Rebellion des Hormones . Haben euch beim Songschreiben die sexuellen Phantasien übermannt?

Françoise: Wenn ich schreibe, denke ich überhaupt nicht an Sex. Ich denke daran, welches Wort sich auf ein anderes reimt. Für mich ist die technische Seite beim Songwriting die wichtigste, nur mit Inspirationen schreibt niemand ein gutes Lied.

Brezel: Françoise schreibt so viele Texte, dass sie bei uns zuhause ein großes Regal ausfüllen. Ein riesiges Archiv, das bis in die Achtziger Jahre zurück reicht. Bevor wir Paris - Berlin aufnahmen, habe ich mir die Zeit genommen, alles zu lesen. Das hat Wochen gedauert. Das Album besteht zur Hälfte aus diesen alten Sachen, die besten Stücke entstehen aber immer spontan. Liebe zu dritt haben wir innerhalb einer Viertelstunde aufgenommen.

Wäre es nicht schön, wenn es immer so schnell ginge?

Françoise: Nein, dann wären wir nach zwei Tagen mit einem Album fertig. Was sollen wir mit der vielen freien Zeit machen?

Ihr könntet beispielsweise häufiger auf Tour gehen.

Françoise: Wir touren sowieso schon sehr ausgiebig. USA, Australien, Europa und Südamerika. Nur in Afrika waren wir noch nicht.

In Deutschland spielt ihr mittlerweile in großen Hallen. Müsst ihr euch im Ausland mit kleineren Dimensionen zufrieden geben?

Brezel: Das kommt ganz darauf an, wo wir spielen. Ab und an werden bestimmte Regionen von einer Stereo-Total -Welle erfasst. Die Leute dort finden uns dann plötzlich extrem toll und füllen riesige Hallen. So war das zum Beispiel in Brasilien und Argentinien. Das Publikum konnte jeden einzelnen Song auswendig, obwohl wir dort nie eine Platte veröffentlich haben. Ich vermutete, sie haben sich die Stücke im Netz besorgt.

Was sagt ihr zu solchen illegalen Downloads?

Françoise: Wenn jemand Stereo Total gut findet, im Geld schwimmt und zu geizig ist, sich eine CD zu kaufen, finde ich das doof. Wer eine Band mag, sollte auch bereit sein, sie zu unterstützen. Es gibt aber auch Länder, in denen sich fast niemand CDs kauft – oft einfach deshalb, weil sie viel zu teuer sind. Dass sich die Leute dort unsere Lieder aus dem Netz laden, stört mich überhaupt nicht. Eigentlich ist uns das sowieso egal, weil unsere Konzerte immer ziemlich gut besucht sind und wir mittlerweile gute Gagen bekommen. Problematisch ist es für Bands, die keine Lust haben, auf Tour zu gehen und deswegen auf Plattenverkäufe angewiesen sind.

Große Plattenfirmen sehen das meist anders. Sie sprechen davon, dass Künstler betrogen und bestohlen würden.

Brezel: Das halte ich für pure Paranoia. Dahinter steckt keine Liebe zur Musik, sondern die Gier nach mehr Gewinn und einem höheren Aktienkurs. Das hat mit den Bands nichts zu tun.

Welche Freiheiten habt ihr auf einem kleinen Label, die ihr bei einer großen Plattenfirma nicht hättet?

Brezel: Wir können im Prinzip machen, was wir wollen. Wir können zum Beispiel ein Hörspiel über Patty Hearst (Anm.: eine amerikanische Milliardärstochter, die in den Siebzigern von Terroristen entführt und dann selbst Terroristin wurde) machen und in den Untertitel schreiben "Früher oder später werden wir alle Terroristen". Natürlich glaube ich das nicht wirklich. Ich habe diesen Satz gewählt, weil ich genau wusste, wie falsch ihn viele Menschen verstehen würden.

Wie politisch ist Stereo Total ?

Brezel: Unsere Musik ist nicht direkt politisch, sie soll unterhalten. Es geht darum, mit dreißig Jahre alten Instrumenten und einem Computer schöne Töne herzustellen. Theoretisch mag ich all diese virtuellen Möglichkeiten. Praktisch nutze ich kaum etwas davon. Sogar mein Handy habe ich abgeschafft!

Wie erreicht man Brezel jetzt?

Françoise: Alle rufen bei mir an. Ich muss Brezel dann sagen, wer angerufen hat und worum es geht. Dann rufe ich die Leute zurück. Ich bin seine Sekretärin geworden.

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25 / 2007
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