Rechtsextremismus

Zieht nach Halberstadt!

Die ostdeutsche Provinz braucht mehr couragierte Bürger. Warum nicht junge, großstädtische Freiberufler, die zum Arbeiten nur ein Notebook brauchen? Wir sprachen mit Sascha Lobo, der den Begriff "digitale Bohème" prägte.

Fragen von Christian Bangel

Herr Lobo, ist die Gruppe von jungen Freelancern, die sie als "digitale Bohème" bezeichnen, idealistisch?

In gewisser Weise schon, obwohl wir sehr unterschiedlich sind. Uns verbinden sehr spezielle Ansichten über das Arbeitsleben. Außerdem sind die meisten von uns eher links eingestellt. Dazu gehören Toleranz, ein offenes Weltbild und der Wille, international vernetzt zu sein.

Berlin ist umgeben von einem Gebiet, das ganz anders ist: Den neuen Bundesländern. Vor allem an jungen, klugen Menschen fehlt es dort.

Ich kenne mich dort nicht wirklich aus, aber ich habe gehört, dass es an einem Bürgertum, an bürgerlichen Werten fehlt.

Könnte nicht die digitale Bohème helfen, dort Werte wie Zivilcourage, Offenheit, Toleranz zu vermitteln?

Ich glaube schon. Das größte Problem sind nicht die wenigen Wirrköpfe, die Ausländer und Andersdenkende zusammenschlagen. Schlimmer ist, dass mehr als die Hälfte der Leute so etwas nicht besonders schlimm findet.

In erster Linie ist das aber eine Erziehungsfrage. In der DDR wurde kaum jemand dazu erzogen, die Dinge zu hinterfragen. Zwar ist auch die BRD-Erziehung nicht perfekt gewesen, aber es wurde versucht, den Kindern Offenheit und Toleranz beizubringen.

Kennen Sie Eisenhüttenstadt?

Ich bin mal durchgefahren.

Günstige Mieten, traumhaftes Umland, leer stehende Wohnungen, Berlin in Reichweite. Tolle Bedingungen für Freelancer. Sie könnten in zehn, zwanzig Jahren die Stadt erobert haben und ein neues ostdeutsches Bürgertum bilden.

Ich beobachte, dass immer mehr von uns erwägen, in einigen Jahren Kinder zu bekommen und Berlin in Richtung Provinz zu verlassen. Insofern ist der Gedanke nicht ganz abwegig. Die digitale Bohème ist an diesen Punkt ziemlich bürgerlich. Aber selbst wenn wir alle in die Provinz zögen: Wir werden nie die Lücke auffüllen, die das verschwundene Bürgertum hinterlässt. Dazu sind wir zu wenige.

Die Bewegung kann aber sehr wohl einen bestimmten Geist verbreiten. Dafür muss nicht gleich das ganze Dorf zur Laptoparbeit übergehen. Es reicht ja, wenn dort zwei oder drei von uns sitzen.

Als Multiplikatoren.

Vor allem als Reibefläche. Toleranz entsteht dort, wo Menschen sind, die anders sind als ich.

Wo sollte man noch ansetzen?

In der Bildung. Der frühe Umgang mit dem Netz macht sozial kompetent und erzieht zur Weltläufigkeit. Man sollte ein Schulfach namens Online-Erziehung einführen, in dem erklärt wird, warum es gut ist, dass wir global vernetzt sind. Wer sich fragt, was an anderen Orten der Welt passiert, ist auf dem besten Weg zu einer toleranten Einstellung.

Auch das Fernsehen hat die ganze Welt in die Jugendzimmer gebracht.

Das Fernsehen ist ein eindimensionales Medium. Es dient dem Konsum – im Gegensatz zum Internet, das der Kommunikation dient. Man kann diese Medien nicht vergleichen.

Auch Neonazis nutzen das Internet, um sich weltweit mit Geistesverwandten zu vernetzen.

Im Netz findet man, was man sucht. Deswegen muss das Fach Online-Erziehung auch Teil einer Gesamtstrategie sein.

Wo könnte die digitale Bohème im Kampf gegen Rechts außerdem helfen?

Das ist eine schwierige Frage. Wir, der Vorwurf trifft auch mich, haben es bisher versäumt, uns zu organisieren. Man ist in 40 verschiedenen Communitys mit 80 Mailadressen angemeldet. Aber wir sind nicht in Parteien, Gewerkschaften, Verbänden vertreten. Die digitale Bohème bedient die politischen Instrumente nicht wirklich.

Soll es einmal eine Digitale-Bohème-Partei oder einen Verband geben?

Eine Partei wird es sicher nicht geben. Auch keine große Bewegung. Dafür sind wir zu unterschiedlich. Aber gibt es viele Einzelaktionen wie das NPD-Blog. Oder die lokale Tätigkeit der Blogger. Sie brechen das Informationsmonopol der Lokalmedien.

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25 / 2007
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