STUDIENGEBÜHREN
Müssen nur wollen
Mit Massenboykotts wollen Studenten bundesweit die Einführung der Campusmaut stoppen. In Hamburg entscheidet sich die Zukunft der Idee
Wie lange Hamburgs Studierende schon gegen die Reformpläne des Wissenschaftssenators Jörg Dräger kämpfen, kann man an den Graffitis ablesen wie an Jahresringen. Überall auf dem Campus zeugen sie von den Generationen des Protests seit Drägers Amtsantritt. Alle sind an ihm gescheitert. Im Dezember 2005 erzielte der Senator seinen größten hochschulpolitischen Triumph. Ohne Komplikationen brachte der Senat das Studiengebührengesetz durch das Landesparlament. Am 15. Juni werden zum ersten Mal für alle Hamburger Studenten 500 Euro fällig.
Doch ob das Geld tatsächlich auf den Uni-Konten ankommt, ist im Moment noch gar nicht sicher. Ein Bündnis von politischen Hochschulgruppen fordert seit Monaten zum Boykott der Campusmaut auf. Erst wurde das belächelt, inzwischen beargwöhnt. Der Plan: Zahlt bis zum 14. Juni ein Viertel der Studenten – das sind 10.000 – ihre Gebühren nicht an die Univerwaltung, sondern auf ein Treuhandkonto , wird das Geld einbehalten. Wird das Qorum, also die 10.000 Verweigerer, nicht erreicht, leiten die Anwälte des Boykottbündnisses das Geld noch vor Ablauf der Frist an die Uni weiter. Wenige Tage vor dem Stichdatum haben erst 5.000 Studenten ihre Studiengebühren auf dem Boykottkonto geparkt. Aber weil viele erst kurz vor Ultimo auf das eine oder das andere Konto überweisen werden, ist noch alles offen.
Auf dem Hamburger Campus kann man den Boykott-Aktivisten in den gelben T-Shirts zurzeit kaum ausweichen. Ihre härteste Konkurrenz im Kampf um Aufmerksamkeit ist eine Bank, die hier Flyer verteilen lässt. Besonders perfide ist die Kampagne eines Mobilfunkunternehmens, das seine Plakate neben die "Gegen Ökonomisierung!"-Transparente der Protestierenden stellt: "Die neue Redefreiheit". Doch was einprägsame Botschaften angeht, halten die Boykott-Unterstützer inzwischen gut mit. Auf einer Wiese haben sie dutzende Zelte aufgestellt, die sie, so der dazugehörige Text, bewohnen werden, wenn sie sich ihre Miete nicht mehr leisten können.
Einige derjenigen, die über Erfolg oder Misserfolg der Aktion entscheiden werden, liegen derweil auf dem Campusrasen und genießen die pralle Sonne. Wie immer zu dieser Jahreszeit tauschen die Studenten Ängste über bevorstehende Prüfungen aus, laden sich zum Grillen ein und berichten von den ersten Festivals. Der Boykott gehört nicht zu den Small Talk-Themen. Fast alle aber haben sich eine Haltung zum Thema zurecht gelegt. Leicht hat es, wer schlicht für Studiengebühren ist. Oder wer dagegen ist und bereits auf das Boykottkonto eingezahlt hat. Vielen jedoch merkt man an, dass sie mit sich ringen. Was sollen sie tun? Sympathisieren und in Kauf nehmen, dass der Boykott an Passiven wie ihnen scheitert? Oder boykottieren und das Risiko eingehen, exmatrikuliert zu werden, falls die Organisatoren es vermasseln oder die Uni an ihnen ein Exempel statuiert?
Christian Brandt kennt die Unentschiedenen. Er ist Pressesprecher des Boykottbündnisses. Seit Monaten spricht er Studenten auf dem Campus an, verhandelt, wendet ein, überzeugt oder verliert. Brandt ist zurückhaltend und freundlich, doch als das Gespräch auf den Boykott kommt, wird er ernst. "Viele, die ich von der Richtigkeit des Boykotts überzeugt habe, wünschen mir am Ende des Gesprächs viel Glück. Mir! Dabei geht es doch um sie."
"Viele Studierende sind ich-fixiert und politisch desinteressiert", sagt Thorsten Hoenisch, der die Hochschul-Jusos im Allgemeinen Studierenden-Ausschuss (AstA) vertritt. Mit verschränkten Armen sitzt er an seinem Schreibtisch und sagt: "Den meisten ist das Problem erst klar geworden, als die Gebührenbescheide bei ihnen ankamen." Seine Jusos waren dem Boykott ursprünglich nicht abgeneigt, doch die Mehrheit des aus vielen Hochschulgruppen zusammengesetzten AstA war dagegen – obwohl auch sie gegen Gebühren ist. Für diesen Weg, sagt Hoenisch, fehle einfach die kritische Masse an Standfesten. Der AstA verfolgt deshalb eine andere Strategie: Die Studentenvertreter wollen durch Verhandlungen mit der Unileitung und Musterklagen so viele Studenten wie möglich von den Gebühren befreien.
Die Universität hat bisher nicht durchblicken lassen, wie sie reagieren wird, sollten wirklich 10.000 oder mehr Boykottierende zusammenfinden. Uni-Vizepräsident Holger Fischer sagte kürzlich in einem Interview lediglich, die Exmatrikulation eines Viertels der Studenten sei zwar technisch machbar, aber "eine politische Entscheidung". Tatsächlich dürfte das Erreichen des Quorums den Boykott zur Senatsangelegenheit machen. Das wäre der erste sichtbare Erfolg der aktiven Gebührengegner, doch gewonnen hätten sie noch nicht.
Christian Brandt vom Boykottbündnis weiß, dass dann noch größere Überzeugungskünste gefragt sein werden. Die Universität wird letzte Gnadenfristen setzen und mit Exmatrikulation drohen, Viele, die jetzt noch dabei sind, werden es sich noch einmal überlegen und doch noch an die Uni überweisen. "Unter den Organisatoren herrscht keine Euphorie", sagt er. Auch Thorsten Hoenisch vom AstA ist skeptisch: "Dann bekommen viele kalte Füße". Aus den 10.000 Studenten, die die Zahlung verweigern, könnten so schnell nur noch 500 werden.
Oder aber 20.000 im nächsten Semester, wenn die Gebührengegner sich durchsetzen. Immerhin wäre dies die erste erfolgreiche Aktion gegen die Campusmaut an einer großen deutschen Uni – der Erfolg vor allem ein Mobilisierungserfolg.
23 /
2007
ZEIT online