Wahlkampf

"Wählt uns nicht"

Tania Derveaux von der Belgischen Protestpartei NEE will gar nicht ins Parlament. Darum verspricht sie auf ihren Wahlplakaten Oralsex

Ein Interview von Stefan Mauer

Dank Tania Derveaux hat die belgische Splitterpartei NEE diesen Monat viel internationale Aufmerksamkeit bekommen. Ein Wahlplakat zeigt die 24-Jährige in erotischer Pose – "I will give you 40.000 blowjobs" verspricht sie dort. Obwohl das Angebot nur im Internet zu sehen ist und als Satire gemeint war, bewarben sich innerhalb kürzester Zeit mehr als 100.000 Männer um die Liebesdienste der Belgierin. Zuender bewarb sich um ein Interview.

Um das gleich klar zu stellen: Niemand bekommt einen geblasen?

Natürlich nicht. Die Aktion ist eine Satire, sie soll den Verfall der politischen Kultur in Belgien kritisieren. Darüber klären wir auch jeden auf, der sich auf unserer Webseite um Oralsex bewirbt . Andere Parteien versprechen 400.000 neue Jobs, obwohl das völlig unrealistisch ist. Also verspreche ich 40.000 "Blowjobs".

Gab es niemanden, der jetzt auf die Einlösung des Versprechens besteht?

Bisher noch nicht. Allerdings habe ich einen Heiratsantrag bekommen.

Eigentlich wollt Ihr aber Politik machen.

Genau das tun wir doch. Für die Menschen wird Politik mehr und mehr zur Show, Personen zählen mehr als Konzepte. Zur letzten Wahl gab es einen Wahlwerbespot für eine hübsche Kandidatin aus Antwerpen. Ein Pärchen hatte Sex und plötzlich rief der Mann den Namen der Kandidatin statt den Namen seiner Frau. Diese Kandidatin bekam eine Menge Stimmen. Mit unserer Aktion wollen wir den Personenkult und die Sexualisierung des Wahlkampfes auf die Spitze treiben, um den Leuten zu zeigen, wohin das führt.

Genau diesen Personenkult habt Ihr jetzt um Dich entfacht.

Ja, aber wir nutzen ihn positiv. Wir haben kein großes Budget, können uns keine Wahlwerbung oder Plakate leisten. Unsere einzige Chance ist, möglichst viele Leute auf unsere Internetseite zu lotsen. Dank der Kampagne erreichen wir mehr Menschen mit unserer politischen Botschaft.

Und was ist Eure politische Botschaft?

Wählt uns nicht.

Wie bitte?

Dahinter steckt natürlich mehr. In Belgien herrscht Wahlpflicht. Weil aber jeder wählen gehen muss, wissen die Politiker gar nicht, ob die Menschen wirklich zufrieden sind mit ihrer Politik oder nur keine bessere Alternative sehen. Da kommen wir ins Spiel. Wir sind die "Nein"-Partei. Wer für uns stimmt, stimmt gegen die anderen.

Das Programm ist also schlicht "dagegen"?

Einfach gesagt: ja. Die Sitze, die wir im Parlament erringen, lassen wir unbesetzt und lehnen auch das Geld ab, das uns vom Staat zustehen würde. Das ist unser Wahlversprechen. Das Geld und die Sitze fehlen aber den anderen Parteien. Sie haben dadurch immer vor Augen, wie viele Wähler mit ihnen unzufrieden sind.

Um diese Botschaft zu transportieren, hast Du Dich nackt fotografieren lassen und Oralsex versprochen?

Ein bisschen unwohl fühle ich mich damit schon. Eigentlich bin ich eine eher schüchterne Person, unsere Kampagne hat aus mir ein Sexsymbol ohne Inhalt gemacht. Aber genau diese Botschaft wollen wir ja transportieren: Bei der Politik kommt es nicht mehr auf den Inhalt, sondern auf die Verpackung an. Ich bin von dem Projekt wirklich überzeugt, sonst hätte ich mich nicht dafür ausgezogen.

Du sprichst immer von Projekt. Ich dachte Ihr seid eine Partei?

Sind wir auch. Aber begonnen haben wir als Projekt von sechs Freunden, die die Entwicklung in der Politik gestört hat. Inzwischen sind wir zwar als Partei angemeldet und stehen auch auf dem Wahlzettel, aber wir steuern das Ganze immer noch zu sechst. Vier von uns sind gerade mit dem Studium fertig, eine Freundin und ich studieren noch.

Die deutschen Medien bezeichnen Dich als Parteivorsitzende , im Internet wird wild diskutiert, ob Dein Angebot ernst gemeint ist – haben wir uns von ein paar Studenten foppen lassen?

Nein, wir nehmen unsere Wähler ernst und wollen auch selbst ernst genommen werden. In unserem ersten Wahlkampf vergangenes Jahr, als wir für das Städteparlament in Antwerpen kandidierten, haben wir uns bei tausenden Wählern persönlich vorgestellt Zum Schluss haben 1,5 Prozent für uns gestimmt – das ist sehr viel für eine kleine Partei.

Ihr habt die Wahlwerbung selbst finanziert? Warum nutzt Ihr die Aufmerksamkeit nicht, um Unterstützer zu gewinnen?

Es gab schon Angebote. Aber wer finanziert, möchte auch mitreden. Und wir möchten weiterhin frei bleiben, um unser eigenes Ding zu machen. Wir haben große Angst davor, dass unsere Ideen durch Abhängigkeiten verwässert werden.

So viel Aufmerksamkeit wie es scheint, bekommen wir auch gar nicht. Es melden sich zwar Journalisten aus Deutschland, Italien, Polen, Frankreich. Aber in Belgien haben gerade Mal zwei Zeitungen angefragt. Anscheinend bestätigen sich unsere Befürchtungen: Diese Art des Wahlkampfs regt in unserem Land viel weniger auf als anderswo.

Heißt das, Ihr wollt die Kampagne noch weiter auf die Spitze treiben?

Nein, das war schon spitz genug. Jetzt kehren wir zurück zum Inhalt. Ich schreibe ein Blog auf unserer Homepage, das ich wieder regelmäßiger aktualisieren werde. Bis zur Wahl am 10. Juni gibt es noch genug zu sagen, mehr nackte Haut gibt es erst mal nicht.

Wozu denn überhaupt eine inhaltliche Kampagne, wenn Ihr doch gar nicht gewählt werden wollt?

Wir brauchen eine Partei wie die unsere, damit die Menschen die Möglichkeit haben, Politiker zu sanktionieren, wenn sie mit ihnen unzufrieden sind. Auch wenn wir hoffen, dass sie von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machen müssen.

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21 / 2007
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