Sicherheit

So Leute wie uns

Schäuble sagt, seine Überwachungpläne träfen nur Verdächtige. Ein schwaches Argument, wenn schon das Reisen verdächtig macht. Ein Kommentar

Von Carsten Lißmann

Der Staat will meine Fingerabdrücke, er will mein Passfoto und er will wissen, wie lang meine Nase im Verhältnis zu meinen Ohren ist. Er will aufzeichnen, wann ich telefoniere und mit wem, wie lange ich im Internet surfe, er will meine E-Mails lesen und meine Telefongespräche mithören wenn ihm etwas seltsam vorkommt. Dann kann er mich auch in meiner Wohnung belauschen. Er will meinen Computer durchsuchen, ohne dass ich davon erfahre, und vielleicht bald auch feststellen lassen, auf welcher Autobahn ich fahre. Auf dem Mainzer Hauptbahnhof testet er ein System, das Alarm schlägt, sobald ich den Bahnsteig betrete. Wenn ich nach Amerika fliege, gibt er der US-Regierung Bescheid und was ich auf dem Flug dorthin essen möchte, meldet er gleich mit. Wolfgang Schäuble sagt Innere Sicherheit dazu, seine Gegner nennen es Überwachungsstaat .

Beides ist nicht schlimm, in Sicherheit zu leben ist nämlich schön und vor dem Staat habe ich nichts zu verbergen: Ich esse oft Schweinefleisch, auch wenn es im Flugzeug nicht schmeckt. In Mainz bin ich noch nie gewesen und es zieht mich auch nichts dorthin. Mein Auto musste ich vor einem Jahr verschrotten, in den Pornos auf meinem Computer spielen nur erwachsene Leute mit und in jeder meiner E-Mails taucht das Wort "Zuender" von Berufs wegen mindestens dreimal auf, ohne dass ich jemals etwas gezündet hätte.

Mein Problem ist ein anderes. Jedesmal wenn jemand sagt "der Staat will" oder "der Staat soll dürfen", fange ich an, auf dem Stuhl zu zappeln, weil die Wortwahl nicht stimmt – Politiker wollen und Polizisten sollen dürfen. Der Staat ist nämlich kein abstraktes Gebilde. Der Staat sind wir. Wir leben hier, weil wir hier leben wollen - oder noch keine Zeit hatten, uns nach etwas besserem umzuschauen. Polizisten sind nicht nur Beamte, sie sind auch unsere Nachbarn und die Leute, denen wir auf der Straße mal ein Lächeln schenken. Der Staat - das sind alle Regeln, nach denen wir beschlossen haben, hier gemeinsam zu leben. Diese Regeln ändern sich gerade.

Auf dem biometrischen Passbild, das neuerdings im Reisepass meiner Freundin klebt, ist nicht mehr die Frau zu sehen, die ich liebe. Dort wohnt jetzt eine Frau wie Computer sie lieben; Scanner und Kameras, die aus ihren blauen Augen eine Nummer machen. Das war jetzt ganz schön pathetisch? Dann nehmen wir ein anderes Beispiel.

Wenn unsere biometrischen Passbilder künftig in einer zentralen Datenbank gespeichert werden, auf die Polizeibehörden und Geheimdienste automatisch Zugriff haben, dann steht dahinter eine Idee: Jeder von uns wird mit gewisser Wahrscheinlichkeit früher oder später einmal zum Verbrecher werden, man kann ja nie wissen. Und weil man nie wissen kann, werden wir alle künftig auf Verdacht erkennungsdienstlich behandelt. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat es in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Stern ganz deutlich gesagt: "Die Unschuldsvermutung kann nicht für die Gefahrenabwehr gelten." Nach dieser Logik ist also jeder von uns verdächtig, bis er das Gegenteil beweist. Ist ungemütlich geworden in unserem Staat, der doch unsere Gemeinschaft sein soll.

Was die massenhafte Überwachung des Telefonverhaltens, der Surfgewohnheiten, der Bewegung im öffentlichen Raum für diese Gemeinschaft bedeutet, kann sich jeder ausmalen, der einmal versucht hat, aus einer mittelgroßen Excel-Tabelle halbwegs zuverlässige Aussagen zu filtern. Allein bei der Vorratsdatenspeicherung fallen jeden Tag Datenmengen an, die ausgedruckt Millionen von Aktenordnern füllen würden. Dieser Flut kann man nur mit statistischen Methoden Herr werden, wie sie zum Beispiel für die Rasterfahndung eingesetzt werden. Doch Statistik unterscheidet nicht nach gut oder böse, nach gerecht und ungerecht – Statistiker suchen nach Abweichungen von der Norm. Sie suchen Muster: Politisch aktiv, mal auf einer Demo wegen zivilen Ungehorsams verhaftet?Viel gereist, nicht nur nach Malle? Kontakt zu Muslimen gehabt, oft im Internet unterwegs und nicht nur bei der Wikipedia?

Es ist dieser Mief der Rechtschaffenheit, der mir Angst macht. Zu wissen, dass der Staat über uns wacht und nichts passieren kann, so lange wir uns brav an alle Gesetze halten. So lange wir nur ein bisschen darauf achten, dass auch die Menschen in unserem Umfeld sich brav an alle Gesetze halten. Wer sagt: "Ich habe nichts zu verbergen", sagt im Grunde nur: "Ich bin unauffällig und bleibe das auch".Eine ideale Gesellschaft ist das Gegenteil dessen: sie ist in der Lage, sich zu entwickeln, weil sie anders sein zulässt.

In einem Land, in dem niemand etwas zu verbergen hat, will ich nicht leben. Das war schon wieder pathetisch – die Terrorismuskeule, die seit dem 11. September 2001 immer wieder geschwungen wird, ist es aber auch.

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16 / 2007
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