Überwachung
"Stasi 2.0"
Am kommenden Mittwoch will die Bundesregierung über die weitgehende Kontrolle von Telefonaten und des Internets beraten. Heute gehen die Überwachungsgegner in Frankfurt auf die Straße. Doch was bringt so ein Protest?
In zwei Sätzen: Was ist Vorratsdatenspeicherung?
Das ist der Plan, die Telekommunikation der gesamten Bevölkerung ohne Anfangsverdacht aufzuzeichnen. Das betrifft fast eine halbe Milliarde Menschen in der EU.
Politiker argumentieren, diese Maßnahme diene der Sicherheit. Jeder fühlt sich gern sicher.
Sicherheit ist seit Jahren die Standardbegründung für alle Überwachungsmaßnahmen. Aber es gibt eine Studie des Bundeskriminalamtes darüber, wie viele Straftaten in den vergangenen Jahren nicht aufgeklärt wurden, weil Daten über das Telekommunikationsverhalten der Verdächtigen gefehlt haben. Das sind so wenige Fälle, dass sich die Aufklärungsquote durch die Vorratsdatenspeicherung nur unwesentlich steigern ließe. Der Preis dafür ist aber, dass die private Kommunikation der gesamten Bevölkerung mitgeschnitten wird.
Was ist daran so schlimm?
Es ist ein Grundprinzip des Rechtsstaates und der freiheitlichen Gesellschaft, dass jeder erst einmal alles sagen kann, ohne dass der Staat zuhört. Wenn ich eines Verbrechens verdächtigt werde, wenn also meine Fingerabdrücke an einem Tatort gefunden werden, können Ermittler von meinem Telefon- oder Internetanbieter verlangen, dass meine Telefonate und meine Internetnutzung für ein paar Wochen protokolliert werden – wenn ein Richter dies genehmigt hat. Aber ohne einen Anfangsverdacht darf das nicht sein.
Aber der Richtervorbehalt bleibt ja bestehen. Auch in Zukunft kommt die Staatsanwaltschaft nur dann an die Daten, wenn zuvor ein Richter zugestimmt hat.
Für die Staatsanwaltschaft stimmt das, aber auch die Geheimdienste werden auf die gespeicherten Daten zugreifen können und brauchen dafür keinen richterlichen Beschluss. Das zweite, grundsätzliche Problem ist, dass mit der Vorratsdatenspeicherung die richterliche Genehmigung erst nachträglich eingeholt wird. Mit der neuen Regelung wird die gesamte Bevölkerung pauschal verdächtigt. Der Richter entscheidet nur noch darüber, ob man auf die bereits gesammelten Daten zugreifen darf. Das ist ein Paradigmenwechsel in Hinblick auf die Rechtsstaatlichkeit.
Man könnte es auch Anpassung an neue Probleme nennen.
Seit dem Jahr 2001 wurden die Sicherheitsgesetze immer wieder verschärft. Und jede neue Befugnis weckt sofort neue Wünsche. Als vor fünf Jahren über die LKW-Maut diskutiert wurde, hieß es ausdrücklich, dass die Daten niemals für andere Zwecke als die Abrechnung der gefahrenen Kilometer verwendet werden würden. Inzwischen verlangen Politiker, das System für Fahndungszwecke zu nutzen. Wenn das so weitergeht, könnte es demnächst heißen: Jeder, der sich auf der Straße unterhält, darf abgehört werden.
Die Vorratsdatenspeicherung ist schon technisch ein komplexes Problem, dazu kommen die rechtsstaatlichen Aspekte. Wie kann man all das so erklären, dass jeder es gleich versteht?
Den Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung gibt es jetzt seit mehr als einem Jahr und bisher war das für uns kein großes Problem. Viele Leute verstehen intuitiv und wissen sofort, dass sie keinen Bock darauf haben, dass ihre gesamte Kommunikation aufgezeichnet wird. Das ist ja auch ein Sicherheitsproblem: Was, wenn Hacker an diese Daten kommen? Inzwischen haben sich mehr als 12.000 Leute bei uns gemeldet, die bereit sind, eine Klage gegen die Vorratsdatenspeicherung vor dem Bundesverfassungsgericht mitzutragen.
12.000 von achtzig Millionen.
Das scheint vielleicht wenig, aber es gab noch nie eine Klage von 12.000 Bürgern in Karlsruhe. Und das alles haben wir nur mit Hilfe einer Webseite und ein paar Mailinglisten erreicht. Angefangen haben wir mit etwa 15 Leuten, inzwischen sind wir ein paar hundert und mehrere Ortsgruppen. Und am heutigen Samstag findet in Frankfurt die dritte Straßendemonstration gegen den Überwachungswahn statt.
Was steht denn auf den Transparenten? Das Wort Vorratsdatenspeicherung passt doch auf kein Bettlaken.
Wir haben Bettlaken, auf denen steht "Stoppt die Vorratsdatenspeicherung". Andere Schlagworte sind "Stasi 2.0" oder "Privatsphäre ist wie Sauerstoff". Wir haben auch ein T-Shirt auf dem steht "Privacy is not a crime".
Warum überhaupt noch auf der Straße demonstrieren? Es gibt doch kreativere Möglichkeiten, im Netz zu protestieren.
Das hat zwei Gründe. Erstens geht es um die Wirkung nach außen. Wenn 1.000 Leute mit Trillerpfeifen durch Frankfurt laufen, berichten auch die Medien über das Thema und nicht nur ein paar Weblogs. Auf der anderen Seite wirkt so etwas nach innen, es zeigt den Leuten aus der kleinen Ortsgruppe in Wanne-Eickel, dass sie nicht allein sind. Hier sind Tausend andere Menschen aus der ganzen Republik, die das Gleiche wollen. Die kann ich kennen lernen und mit ihnen ein Bier trinken.
Die Kampagne muss aber die breite Masse erreichen. Gelingt das – oder erreicht sie nur diejenigen, die sich ohnehin schon für Datenschutz engagieren?
Datenschutz-Aktivisten haben die Kampagne angestoßen, aber mittlerweile haben wir viele Menschen und Organisationen auf unserer Seite, die vorher nichts mit Datenschutz oder dem Internet zu tun hatten. Auch die Presse hat Einiges gelernt: Früher wurde das Thema höchstens auf der Computerseite behandelt, inzwischen ist es im Politikteil – wo es eigentlich auch hingehört. Der Bundesverband der deutschen Zeitungsverleger und die Journalistengewerkschaften haben verstanden, dass sie ganz besonders betroffen sind, weil sie nicht mehr unüberwacht mit Informanten kommunizieren können. Zur Demo am Samstag ruft auch der Bundesverband der Frauennotrufzentralen auf, und die Kirchen machen sich Sorgen um die Telefonseelsorge.
Was ist mit den Bürgern, die keiner Kirche und keinem Verband angehören?
Die Frage ist: Was gibt man den Leuten an die Hand, damit sie selbst etwas tun können? Da haben wir verschiedene Angebote gemacht. Es gibt die Möglichkeit, die Sammelklage in Karlsruhe zu unterstützen, jeder kann online einen Brief an die Abgeordneten im Bundestag schreiben, zu einer Demo kommen oder einer der Ortsgruppen beitreten.
Mal angenommen, das Gesetz wird trotz allem verabschiedet: Was dann?
Ich glaube nicht, dass das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht durchkommt. Es gibt eine Reihe von ähnlichen Fällen, die von den Richtern bereits gekippt wurden. Falls es aber trotzdem passieren sollte oder falls das Gesetz erst mal vom Bundestag verabschiedet wird und dann erst drei Jahre später vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben wird, gibt es andere Möglichkeiten, sich zu schützen – Anonymisierungsdienste wie JAP zum Beispiel.
Diese Dienste nutzen aber in der Regel nur die Leute, die sich mit Computern auskennen.
Das ist der Grund dafür, dass wir politisch gegen das Gesetz arbeiten. Diejenigen, die sich mit Technik beschäftigen, können sich immer schützen. Uns geht es gerade um die anderen, die Omi, die abends ins Netz geht, um sich Fotos von ihren Enkeln anzusehen.
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16 /
2007
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