Sex

"Affären sind grundsätzlich unnötig"

Heike Martens vermittelt Seitensprünge im Internet. Nachfrage gibt es genug. Aber wo bleibt da eigentlich die Moral, Frau Martens?, fragt Simone Deckner.

Glaubt man Umfragen , ist die Hälfte aller Männer und Frauen in Deutschland schon einmal fremdgegangen. Je länger die Beziehung dauert, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit eines Seitensprungs. Sexuelle Frustration gilt als Hauptursache.

Ja, vor allem bei Männern. Ich muss da aber gleich mal reingrätschen: Sie reden von einem Seitensprung – ich rede im Zusammenhang mit meiner Agentur elbfreuden immer bewusst von einer Affäre.

Was ist der Unterschied?

Ein Seitensprung ist eine ganz kurze Sache, meistens ein One-Night-Stand. Bei einer Affäre handelt es sich um eine längerfristige Geschichte. Da sagt jemand bewusst: "Ich bin zwar gerade unglücklich in meiner Beziehung, will aber meine Partnerschaft grundsätzlich nicht aufs Spiel setzen." So ein Mensch hat sich meist lange mit dem Thema auseinandergesetzt, das ist keine impulsive Handlung.

Und wieso ist eine Affäre besser?

Aus meiner Erfahrung spricht eine Affäre Frauen eher an als ein One-Night-Stand. Bei Männern ist das unkomplizierter. Aber meine Agentur braucht ja auch Kundinnen. Die muss man auf emotionale Art auffangen. Die Frau, die als Single nach einer Affäre sucht, oder die Frau, die schon seit Jahren frustriert zu Hause sitzt, bei der geht es nicht unbedingt um Sex. Sondern darum, dass sie sich mal wieder begehrt fühlt, zum Essen eingeladen wird, Komplimente bekommt, geküsst wird – und zwar mit Leidenschaft. Der Akt an sich ist da gar nicht so wichtig. Die Männer wollen hingegen meist zum Zuge kommen.

Eine Affäre fängt man vor allem an, weil man mit seiner Beziehung unglücklich ist. Wäre es da nicht sinnvoller, die Partner würden sich mit ihren Problemen auseinandersetzen, anstatt sich abzulenken.

Dann müssten sich beide Partner eingestehen: "Hier läuft etwas schief, wir müssen zum Therapeuten gehen." Wenn jemand aber das Wort "Affäre" in die Suchmaschine eingibt, hat er sich gedanklich bereits aus der Beziehung verabschiedet. Und zwar nicht erst seit gestern. Dann ist das Unausweichliche oft schon vorprogrammiert.

Beziehungen als Ware zu behandeln, ist auch Ausdruck des Zeitgeistes. Gefällt mir die alte nicht mehr, sehe ich mich nach einer neuen um.

Ja, schon. Viele haben aber Angst vor Gerede. Statt sich scheiden zu lassen, sagen sie sich dann lieber: "Ich mache heimlich etwas. Das tut meinem Partner nicht weh, mir tut es gut und wenn ich nach Hause komme, ist alles wieder toll."

Aber das ist doch die typische Ausrede aller Menschen, die fremdgehen: Ich liebe meinen Partner, bei der Affäre geht es nur um Sex. Haben Sie kein schlechtes Gewissen, wenn Sie an die Beziehungsdramen denken, die Sie durch Ihr Angebot auslösen.

Ich will das Thema nicht schönreden. Ich habe lange mit mir gehadert. Aber: Die Leute, die mich im Netz finden, haben ihren Entschluss schon gefasst. Das sind erwachsene Menschen, die wissen, was sie tun. Ich biete nur eine Dienstleistung an und wenn ich es nicht täte, dann täten es meine Mitbewerber. Die Nachfrage ist da.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine Affärenagentur im Internet zu gründen?

Ich war neu in Hamburg und wollte mich selbstständig machen. Da sah ich im Fernsehen einen Bericht über eine Seitensprungagentur. Ich habe dann lange im Netz recherchiert, aber nur Seiten gefunden, auf denen ich mich als Frau nie und nimmer anmelden würde. Da wurde mir klar: "Das kannst Du besser, Heike."

Was haben Ihre Freunde und Bekannten dazu gesagt?

Das war interessant: Alle, von denen ich wusste, dass sie selbst schon mal fremdgegangen sind, haben mit dem Finger auf mich gezeigt und gefragt: "Wie kannst Du so etwas bloß machen?" Die Leute, von denen ich es am wenigsten erwartet hatte, waren hingegen offen für meine Idee und haben mich nicht verurteilt. Zum Beispiel meine Eltern.

Sie glauben nicht an lebenslange Treue?

Ich glaube an einen gewissen glücklichen Zeitraum, den man mit einem Partner verbringen kann. Das können viele Jahre sein – aber ich glaube nicht an ein "bis dass der Tod Euch scheidet". Was uns die Ehe verspricht, kann nicht mehr gehalten werden – auch weil es den Menschen viel zu einfach gemacht wird. Gehen Sie doch mal auf eine Ü-30-Party. Dort laufen nur aufgedonnerte 40- bis 45-Jährige rum, die mal wieder ein bisschen Spaß haben wollen. Es muss bloß ein halbwegs gut aussehender Mann auftauchen und warten, bis er angesprochen wird. Die Frauen sind heute ja auch viel fortschrittlicher.

Finden Sie das unmoralisch?

Das ist schwierig. Ich muss auch den Frauen etwas vorwerfen, weil viele sich hängen lassen. Sie haben irgendwann keine Lust mehr auf Sex. Ich kann aber nicht erwarten, dass der Mann die nächsten zehn Jahre bei mir bleibt, wenn ich nur noch sechs Mal im Jahr mit ihm schlafe – und das auch offensichtlich ohne Spaß. Da fehlt eine gewisse Offenheit. Die meisten Frauen sträuben sich aber, wenn der Mann zum Beispiel vorschlägt, mal in einen Swingerclub zu gehen. Wenn man sich ein bisschen zusammennimmt und nicht nur an Liebe, Absicherung und Kinderkriegen denkt, dann klappt das auch.

Moralisch handeln heißt für viele, das Vertrauen des anderen nicht zu brechen.

Vertrauen sollte nie missbraucht werden. Ich gehöre zu den Frauen, die sich trennen, wenn es in meiner Beziehung nicht mehr klappt. Trotzdem möchte ich nicht ausschließen – aus welchen Gründen auch immer –, dass ich irgendwann mal fremdgehe. Grundsätzlich ist es aber unnötig, sich eine Affäre zu suchen. Wenn man ein bisschen aufeinander zugeht, öfter mal etwas Neues ausprobiert und nicht direkt alles abblockt, dann ist es möglich, über viele Jahre hinweg ein ausgefülltes Sexualleben zu haben.

Bekommen Sie als Geschäftsführerin einer Affärenagentur auch unmoralische Angebote?

Die sind bisher ausgeblieben – wofür ich auch sehr dankbar bin. Mir passiert es aber sehr oft, dass Menschen sich an mich wenden, um mir ihre Probleme zu schildern. Ich bin oft erstaunt, wie offen gerade Männer auf mich zugehen und mir ihr "Leid" klagen. Anfangs kam ich mir fast vor wie Erika Berger (lacht). Viele sind auch sehr überrascht, wenn sie mich kennen lernen, weil sie sich die Betreiberin einer Affärenagentur eher wie eine Puffmutter vorstellen. Um das klarzustellen: Ich möchte selbst keine Affäre haben und habe auch noch nie jemanden betrogen.

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30 / 2007
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