Irak-Krieg
Reality-TV Irak
Die Dokumentarfilmreihe "Hometown Baghdad" zeigt zum ersten Mal seit Beginn des Krieges den Alltag junger Iraker. Julia Reinecke stellt sie und ihre Protagonisten vor
Adel ist 23 Jahre alt, hat braune Augen und sinnlich geformte Lippen. Eine Freundin hat er zurzeit nicht. In seiner Freizeit probt er mit seiner Rockband, ansonsten studiert Adel Ingenieurwesen. Das klingt nach einem ganz normalen Studentenleben, doch Adel lebt in Bagdad – noch dazu in einem der gefährlichsten Stadtteile. Vor seinem Schlafzimmerfenster tobt der Krieg: „Ich wollte jetzt eigentlich zur Uni“, sagt Adel, „aber heute geht es nicht.“ Stattdessen lehnt er sich zurück und lauscht den Geschossen, die vor seinem Fenster durch die Luft jagen. Während er spricht, richtet Adel eine Kamera auf sich.
Adel ist eine von drei Hauptpersonen der neuen Dokumentationsreihe
Hometown Baghdad
, die seit heute nach und nach im Internet veröffentlicht wird. Die 40 Episoden sollen zum ersten Mal seit Beginn des Krieges zeigen, wie junge Menschen im Irak heute leben, vier Jahre nach dem Beginn des dritten Golfkrieges. Einen Eindruck davon vermitteln, wie der Alltag im Irak jenseits der Bilder von Politikern, brennenden Autowracks und Anschlagsopfern aussieht, die wir aus den täglichen Nachrichten kennen.
Kein ausländisches Filmteam hätte diesen Alltag festhalten können. Die US-amerikanische Produktionsfirma
NextNext Entertainement
, die ursprünglich die Idee zu der Serie hatte, beauftragte daher ein irakisches Team. Die Koordination und Produktionsleitung im Irak übernahm der erst 23-jährige
Fady Hadid
. Auch Hadid studiert eigentlich. Seit Jahren dreht und produziert er jedoch gleichzeitig Filme in Jordanien und im Irak.
Für das Projekt stellte Hadid ein fünfköpfiges Team zusammen. Um unauffälliger drehen zu können, waren bei den Dreharbeiten nie mehr als drei Mitarbeiter gleichzeitig vor Ort. „In Bagdads Straßen ist es gefährlicher, eine Kamera in der Hand zu halten als eine Waffe“, sagt Hadid. In besonders gefährlichen Stadtteilen, wie dem von Adel, konnten selbst die Iraker nicht drehen. So entstand die Idee, Adel und die anderen Protagonisten selbst filmen zu lassen.
Das irakische Film-Team hat auch den 24-jährigen Saif und den 20-jährigen Ausama vergangenen Spätsommer über drei Monate hinweg begleitet. Sie gehören, wie auch Adel, zur Bagdader Mittelschicht – einer Gruppe, die im Irak immer kleiner wird, weil ihre Mitglieder es sich leisten können, das Land zu verlassen oder zumindest in den stabileren Norden zu ziehen. Mindestens 1,8 Millionen Iraker haben das Land mittlerweile verlassen, 2 Millionen sind in sicherere Regionen des Landes geflüchtet.
Die Geschichten von Adel, Saif und Ausama im Internet und nicht etwa im Fernsehen zu zeigen, war eine bewusste Entscheidung. Die Serie ist qualitativ hochwertig produziert, nicht zu vergleichen mit den Videoclips, die sonst im Internet auf YouTube und anderen Plattformen kursieren. Sie hätte zweifellos auch bei einem Fernsehsender laufen können. Aber, wie der New Yorker Koordinator des Projektes bei der Produktionsfirma NextNext Michael Dibenetto betont: „Das Internet ist zurzeit der mächtigste Distributionsweg. Da das irakische Team für diese Dokumentar-Serie täglich sein Leben riskiert hat, sollen so viele Menschen wie möglich kostenlosen Zugang haben.“
Aus demselben Grund wurde bei der Auswahl der Protagonisten darauf geachtet, dass sie gut Englisch sprechen. Schließlich sollten sie von einem globalen Publikum verstanden werden. „Gutes Englisch hilft den Zuschauern, sich den Irakern näher zu fühlen“, sagt Dibenetto.
NextNext hofft jetzt darauf, dass die Serie sich im Internet schnell verbreitet. Drei Mal pro Woche wird eine neue Folge auf bekannten Webseiten wie der Nachrichtenplattform Salon, dem Internetfernsehsender Joost und auch YouTube veröffentlicht. Danach sollen Blogger und andere Internetnutzer das ihre tun, die Filme in ihre Seiten einbinden oder per E-Mail weiterschicken.
Hometown Baghdad ist eine unabhängige Produktion. Einen Auftraggeber gab es nicht, NextNext verfolgt das Projekt aus Überzeugung. Das Budget wurde aus Stiftungsgeldern finanziert – unter anderem von der Stiftung des Geschäftsmannes und Milliardärs Omar Amanat , der bereits den ersten muslimischen Fernsehsender in den USA finanzierte und Projekte unterstützt, die sich mit dem Konflikt zwischen der westlichen und islamischen Welt beschäftigen. Einen anderen Teil gab die Stiftung Cinereach , die besonders sozialkritische Produktionen unterstützt.
Hometown Baghdad
ist nicht die erste politische Produktion, in die NextNext involviert ist. Der Schwerpunkt der Produktionsfirma liegt auf Dokumentar- und Reality-Formaten für Jugendliche. Bereits seit 2001 produziert sie zum Beispiel die Serie
Chat the Planet
. Für jede Folge verbindet sie dazu eine Gruppe von amerikanischen Studenten live mit einer Gruppe aus dem Ausland – Jordanien, Südafrika und auch der Irak waren schon darunter. Sie diskutieren über Krieg, Politik, Musik und was sie sonst noch beschäftigt. Die Hoffnung der Produzentin und NextNext-Gründerin Laurie Meadoff: „Wenn sich Menschen aller Nationen kennen würden, wären wir dem Weltfrieden längst näher.“
Auch wichtig:
Zu Hause um Irak
-
Hometown Baghdad
zeigt den Alltag junger Iraker. Zuender hat mit Produzent Fady Hadid gechattet
Den Hass verstehen
- Ein Konflikt, zwei Versionen. Mosaic TV zeigt Bilder arabischer Stationen in den USA
Was habt ihr erwartet?
- Baghdads Alltag im Forum diskutieren
Nach Hause
- Zuender. Das Netzmagazin
12 /
2007
ZEIT ONLINE