ALKOHOL AB 18

Wodka ist kein Bier

Politiker und Medien machen sich plötzlich Sorgen um jugendliche Komatrinker. Die Pädadogin Heidi Kuttler arbeitet seit mehr als drei Jahren mit solchen Problemfällen. Zuender hat mit ihr gesprochen.

Fragen von Franziska Schwarz

Immer mehr Jugendliche trinken, bis sie bewusstlos werden oder sogar ins Koma fallen. Das gab es schon immer, doch Politiker und Gesundheitsexperten warnen vor einer neuen Mode – seit einigen Jahren steigt die Zahl der "Komatrinker" sehr stark an.

Das Präventionsprogramm HaLT ("Hart am LimiTt") wendet sich speziell an diese Gruppe. Heidi Kuttler hat es mit ihren Kollegen in der Villa Schöpflin , einem Zentrum für Suchtprävention in Lörrach, entwickelt.

Was macht HaLT anders als andere Programme?

In erster Linie ist HaLT ein präventives Alkoholprogramm. Wir wollen helfen, bevor die Jugendlichen als Süchtige in einer Entzugsklinik landen. Das Problem daran ist, dass Alkohol eine legale Droge ist, darum ist es nicht leicht, an alkoholtrinkende Jugendliche heranzukommen: Wenn ein sechzehnjähriger Schnaps trinkt, ist das nicht verboten – nur der Verkauf von hartem Alkohol an ihn ist illegal.

Auffällig wird dieser Sechzehnjährige erst, wenn er mit einer schweren Alkoholvergiftung im Krankenhaus landet. Die Ärzte im Krankenhaus unterstützen uns, diese gefährdeten Jugendlichen zu erreichen. Wenn ein Jugendlicher eingeliefert wird, stellen sie den Kontakt zu uns her, wenn er und seine Eltern einverstanden sind.

Angeblich steigt die Zahl der Jugendlichen, die sich betrinken, bis sie ins Koma fallen. Stimmt das?

Ja. Uns ist dieses Phänomen zunächst im Landkreis Lörrach aufgefallen. Dort sind die Fälle von Jugendlichen, die mit Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert wurden, zwischen 1999 und 2002 von 16 auf 56 angestiegen. Eine deutschlandweite Studie des Gesundheitsministeriums hat den Trend eindeutig bestätigt.

Wer sind diese Komatrinker?

Was Schulbildung und Beruf der Eltern angeht, kommen die Jugendlichen aus allen Schichten. Auffällig ist: Es sind fast so viele Mädchen wie Jungen. Das gab es bisher nicht.

Es ist gar nicht so leicht, sich mit Bier bewusstlos zu trinken. Warum kommt es so weit?

Spirituosen sind der Hauptgrund – über 90 Prozent der Jugendlichen, die zu uns kommen, haben harten Alkohol getrunken, pur oder gemischt. Vor zwanzig Jahren war es noch nicht Mode, Wodka aus der Flasche zu trinken. Wir vermuten, dass Alcopops diesen Trend ausgelöst haben, vor allem Wodka und Rum wurden so zum Kult. Als Ursache machen wir auch Langeweile, Mutproben, Trinkwettbewerbe oder schlicht Kummer aus, eine einzige Ursache gibt es sicherlich nicht.

Zwar trinken noch immer viele Bier und Wein, aber da machen wir uns keine Sorgen, dass sie sich bis zur Bewusstlosigkeit betrinken: Ab einer bestimmten Menge wird den Jugendlichen übel, sie erbrechen, und dann ist Schluss. Trinken sie dagegen eine Flasche Wodka, oft innerhalb sehr kurzer Zeit, manchmal innerhalb einer halben Stunde, wird es gefährlich. Der Alkohol im Körper führt in zwanzig bis dreißig Minuten zur Bewusstlosigkeit – eine tickende Zeitbombe. Zu Übelkeit und Erbrechen kommt es gar nicht erst, weil die Ohnmacht vorher eintritt.

Wer ist also schuld?

Es ist falsch, zu fragen: Was ist mit den Jugendlichen von heute los? Überall wird Alkohol getrunken, Erwachsene machen es vor, dazu kommt die Werbung. Wenn ein Dreizehnjähriger in seiner Famile oder bei einem Straßenfest sieht, wie jemand eine Flasche Bier in einem Zug austrinkt, dann versucht er das eben mit Wodka. Und hat keine Ahnung, was Spirituosen anrichten.

Dazu kommt das so genannte Flat Rate-Trinken. Man zahlt in der Disco einen Festpreis und darf so viel trinken, wie man kann. Besonders schlimm daran ist, dass diese Angebote meist nur bis Mitternacht gelten, also genau in der Zeit, in der sich Jugendliche dort aufhalten. Das ist, als würde man sie anfixen.

Warum ist Komasaufen so gefährlich?

Es gibt wenige dokumentierte Todesfälle und keine Studien zu Langzeitschäden, die direkt auf eine Überdosis Alkohol zurückzuführen sind, dafür ist das Phänomen zu neu. Die größte Gefahr für die Gesundheit ist zunächst, dass die Jugendlichen an ihrem Erbrochenen ersticken können, es kommt immer wieder zu Todesfällen. Der Körper will den Alkohol loswerden – die natürlichen Reflexe sind aber durch den Alkohol ausgeschaltet.

Das zweite Problem ist ein psychisches: Wenn sich Jugendliche aus Langeweile oder Schüchternheit angewöhnen, zur Flasche greifen, sind sie in großer Gefahr, süchtig zu werden.

Arbeiten Sie nur mit den Jugendlichen zusammen?

Wir sprechen immer auch mit den Eltern und unterstützen sie bei der Suche nach einer Suchtberatungsstelle, wenn das notwendig ist. Ein Drittel der Jugendlichen, die zu uns kommen ist stark suchtgefährdet, wir helfen ihnen, eine langfristige Begleitung zu finden.

Wenn HaLT nur kurzfristiges Eingreifen bedeutet, was können Sie dann erreichen?

Wir arbeiten mit den betroffenen Jugendlichen in Gruppen. Oft führt Gruppenzwang in den gefährlichen Rausch und indem wir diese Situation wieder herstellen, wollen wir die Jugendlichen ermutigen, dem Druck der Gruppe zu widerstehen und Stopp zu sagen. Sie sollen einen unschädlichen Umgang mit Alkohol lernen und ein Gefühl dafür entwickeln, wann das Trinken ihnen und anderen schadet.

Unschädlicher Umgang? Was bedeutet das denn?

Dafür gibt es Kriterien. Keine Spirituosen und kein Alkohol für Kinder unter 14 Jahren zum Beispiel. Dazu gehört aber auch, dass die Jugendlichen nicht Mofa fahren, wenn sie Alkohol getrunken haben und überprüfen, ob der Fahrer noch nüchtern ist, wenn sie irgendwo mitfahren.

Sollte dieses Wissen nicht im Schulunterricht vermittelt werden?

Es gibt Studien, die zeigen, dass es nichts bringt, das einer Schulklasse zu erzählen.

Hat Ihre Therapie Erfolg?

Das Programm gibt es seit dreieinhalb Jahren. Nur 12 Prozent der Jugendlichen kam mehr als einmal zu uns.

Was halten Sie von der Idee, Alkohol für Jugendliche unter 18 Jahren zu verbieten?

Sehr lange fand ich es gut, dass unser Jugendschutzgesetz die Alkoholabgabe staffelt, dass Alkohol also an Jugendliche unter 16 Jahren überhaupt nicht verkauft werden darf, und harter Alkohol erst ab 18 Jahren. Doch europäische Studien zeigen, dass andere Länder mit strengeren Regelungen positive Erfahrungen machen. Deshalb bin ich für das Verbot.

Der Knackpunkt allerdings ist, dass niemand systematisch die Einhaltung des Jugendschutzgesetzes überwacht. Es nutzt nichts, ein Verbot einzuführen, das hinterher nicht kontrolliert wird. Das wichtigste Präventionsziel im HaLT-Projekt ist, dass das Jugendschutzgesetz bei Festen, in Diskos und vom Einzelhandel auch wirklich eingehalten wird. Die Arbeit mit den Jugendlichen ist sehr wichtig, aber sie setzt erst an, wenn das Problem schon entstanden ist. Und auch dann erst interessieren sich die Medien dafür.

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11 / 2007
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