Zensur

Hochladen als Bürgerrecht

Darf YouTube die Beiträge seiner Nutzer zensieren? Seit Anfang des Monats ein islam-kritisches Video gelöscht wurde, diskutiert die Blogosphäre wieder über Meinungsfreiheit im Internet.

Chris Köver

"Tötet die Ungläubigen, wo immer ihr sie finden könnt. Wenn sie euch angreifen, dann tötet sie." Diese und andere Zitate aus dem Koran finden sich in dem Video Islamic Teachings , das der Nutzer Nick Gisburne auf die Videoplattform YouTube hochgeladen hatte. Das Video ist eine Collage aus zusammenhanglosen Zitaten, die auf mehr oder weniger radikale Weise zum Kampf gegen "die Ungläubigen" aufrufen. Anfang Februar wurde es von YouTube ohne Vorwarnung gelöscht – ebenso wie Gisburnes Nutzerkonto. Der Film habe ungeeignete Inhalte ("inappropriate content") transportiert, so die Begründung.

Seitdem wird in der YouTube -Gemeinschaft und der Blogosphäre wieder vehement darüber gestritten, ob YouTube die Meinungsfreiheit beschneidet.

Natürlich darf und muss YouTube zensieren, allein schon, um die Verletzungen gegen das Urheberrecht auf seinen Seiten in den Griff zu bekommen. Dagegen ist auch nichts einzuwenden, schließlich muss die Seite nicht zur öffentlichen Streaming-Plattform für urheberrechtlich geschützte Filme und Fernsehsendungen werden.

Problematisch wird es erst, wenn Filme mit der Begründung gelöscht werden, sie transportierten "ungeeignete Inhalte". In der Regel wird dieser Vorwurf gegen Gewalt verherrlichendes oder pornografisches Material erhoben. Mit Hilfe eines von YouTube angebotenen Werkzeuges, "Flagging" genannt, können Nutzer Videos als "ungeeignet" markieren. YouTube -Mitarbeiter entscheiden dann darüber, was davon tatsächlich gelöscht wird. Im vergangenem Oktober hat YouTube die Liste der Gründe, aus denen ein Beitrag als "ungeeignet" gemeldet werden kann, um einen weiteren erweitert: "Hate Speech".

Seitdem können also nicht mehr nur Porno-Clips und Hinrichtungsvideos, sondern auch alle Beiträge gelöscht werden, die jemand als bedrohlich, herabsetzend oder beleidigend empfindet. Das ist nun wirklich ein Problem. Denn indem YouTube es ermöglicht, Beiträge schwammig als "Hate Speech" zu deklarieren, kann im Grunde jedes Video, das eine kontroverse Meinung transportiert, zensiert werden.

Entsprechend ist auf YouTube in den vergangenen Monaten ein regelrechter Krieg der gegenseitigen Denunziation entbrannt. Vor allem Islam-Kritiker und Islam-Befürworter flaggen sich dabei gegenseitig, um die Videos der jeweiligen Gegenseite löschen zu lassen. Hunderte von Videos sind bereits gesperrt worden.

Dass YouTube jetzt auf diese Weise eingreift, hat Wirkungen. Schließlich ist die Videoplattform mittlerweile so etwas wie ein globales öffentliches Forum geworden. Neben Videos von tanzenden Teenangern finden sich hier auch Filme, die den Irakkrieg kritisieren, den Jihad ausrufen oder sich einfach nur über George W. Bush lustig machen. Religiöse und politische Propaganda nahezu jeder Richtung wird über YouTube im Netz veröffentlicht. Unabhängig davon, ob man mit diesen Meinungen und Botschaften einverstanden ist oder nicht, ist die Möglichkeit, sie nebeneinander zu sehen und zu hören, ein Wert an sich. Wenn YouTube diese Beiträge zensiert, dann leidet darunter die öffentliche Debatte.

Nun ist YouTube aber auch kein Speaker’s Corner – ein Ort, an dem jeder das Recht auf freie Meinungsäußerung hätte –, sondern ein privates Unternehmen, das selbst darüber entscheidet, was man auf seinen Webseiten tun oder lassen kann. Von YouTube zu fordern, es solle im öffentlichen Interesse ein Forum für globale politische und religiöse Debatten sein, wäre vermessen. Vielleicht brauchen wir vielmehr eine Art gemeinnütziges YouTube : Eine moderierte, aber unabhängige globale Videoplattform, die niemandem gehört und alle Meinungen zulässt. Ein öffentlich-rechtlicher Kanal des Internets.

Bis dahin sollte sich YouTube seine Zensur-Politik zwei Mal überlegen. Denn durch das Löschen von kontroversen Beiträgen wird nicht nur die öffentliche Debatte beschnitten. Letztlich wird auch YouTube selbst darunter leiden. Filme von tanzenden Teenagern und explodierenden Getränkeflaschen mögen lustig sein, aber ohne politische Kontroversen wird YouTube einiges an Bedeutung verlieren.

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09 / 2007
ZEIT online