Liebesbriefe

Nimm mir die Worte aus dem Mund

Die Vorstellung von Liebe setzt sich zusammen aus aufgeschnappten Versatzstücken aus Film, Literatur und Popmusik. Statt Songzeilen zu zitieren, gehe ich einen Schritt weiter und kaufe einen Liebesbrief.

Von Franziska Schwarz

„Ich muss nicht verliebt sein, um einen Liebesbrief zu schreiben. Wir machen das professionell“, sagt Christoph Römer, Chef der Berliner Agentur „textfisch“. Professionell? Super! Selbst wenn ich verliebt bin, kommt mir das nämlich schwer über die Lippen. Gut, dass ich stattdessen meine Brieftasche zücken kann. Verschiedene Agenturen bieten den Service schon lange an: ihren wortkargen Kunden die Gefühle auszuformulieren. 29 Euro kosten ein paar Zeilen und werden innerhalb von 24 Stunden geliefert.

Das Online-Bestellformular ist lapidar. In Stichworten soll ich den Anlass meines Liebesbriefs beschreiben, und ob ich mit meinem Auserkorenen „verheiratet“, „zerstritten“ oder an ihm „interessiert“ bin. „Interessiert“ wähle ich kühl. Schließlich handelt es sich nur um meinen neuen Nachbarn. Hatte ich schon „gemeinsame Erlebnisse“ mit dem Objekt meiner Begierde? Naja, wir wohnen im gleichen Wohnheim und teilen uns die Küche... Bei „seine Eigenheiten“ fallen mir nur tadellos gebügelten Hemden ein. Ich hab ihn seit meinem Umzug doch erst fünf Mal gesehen - an der Spüle, meist.

Dürftige Eckdaten sind die Liebesbrief-Texter gewohnt. „Manche unserer Kunden haben sich in die Frau an der Supermarktkasse verliebt, mit der sie kurzen Blickkontakt hatten. Ansonsten wissen sie nichts über die Person. In dem Fall einen Brief zu verfassen, ist ziemlich anspruchsvoll“, sagt Römer. Andere Kunden traf Amors Pfeil im Bus oder beim kollektiven Böllern an Sylvester. „Den Formulierungen nach zu urteilen, vermute ich, dass die meisten unserer Kunden Männer im Alter von 18-25 Jahren“, sagt Römer.

Ich fülle das Formular weiter aus. Schwierig wird es beim gewünschten Stil des Briefes. Ich kann doch keine Liebesbriefe schreiben – woher soll ich wissen, ob „liebevoll“, „romantisch“, „unverbindlich“, „distanziert“, „humorvoll“, „freundschaftlich“ oder „bestimmt“ am besten ankommt? Wo ist die Option „kafkaesk“?„Liebe ist, dass Du mir das Messer bist, mit dem ich in mir wühle.“ – das war doch mal eine Ansage von Franz Kafka. Oder etwas so im Stil von, sagen wir, Goethe? „ Ein hehres Ziel“, so Römer. Dieser Anspruch sei für 29 Euro zu hoch. Natürlich arbeiteten sie mit Zitaten aus der Literatur, aber sie könnten keine Dichter nachahmen: Was wäre, wenn jemand einen Text im Stil von Peter Handke oder Elfriede Jelinek verlangen würde?

Ich wähle „unverbindlich“, vorsichtshalber. Die Frage „Was für ein Typ ist der Empfänger?“ kann ich nicht beantworten. Für mich selbst gebe ich „sachlich“ an und sehe dann, dass ich den Brief per Rechnung bezahlen werde.

Die Kunden sind mit dem Service zufrieden, sagt Römer. Rund 30 Briefe verfasst textfisch im Jahr. „Natürlich leben wir nicht von den Liebesbriefen - wir sind eine Textagentur und schreiben hauptsächlich Reden“, sagt er.

Am nächsten Tag checke ich gespannt meinen Posteingang. Da liegt er nun, der Brief, als Word-Datei:

„Lieber _________________,“

An dieser Stelle schwant mir, dass ich den Brief wohl doch noch ins Reine schreiben muss, schließlich wirkt so ein Vordruck nicht sehr herzlich.

„‚Die Nahrung ist ein Liebesbrief […] den wir entziffern müssen’ – dieser Satz ist nicht von mir, sondern von einem Gelehrten namens Aïvanhov. „

Aïvanhov ? Ich google schnell – nicht, dass ich bei meinem Nachbarn in Erklärungsnot gerate.

„Doch auch, wenn wir oft gemeinsam kochen, habe ich mich entschlossen, dir lieber einen Brief zu schreiben, als es mit einer versteckten kulinarischen Botschaft zu versuchen. Seitdem ich gemeinsam mit dir im Wohnheim wohne, fällst du mir auf und das meine ich durch und durch positiv. Deine tadellose Kleidung und vor allem dein Ordnungssinn sind mir ein wenig ungewohnt, so dass ich stets mehrmals hinschauen möchte: Sind deine Hemden wirklich immer frisch gebügelt? Lässt du den Abwasch auch mal stehen oder wäschst du immer sofort ab? Bist du in allen Lebensbereichen so ein ordentlicher Typ? Du machst mich neugierig und wie gerne würde ich Antworten auf meine Fragen erhalten.
Vielleicht bei einem gemeinsamen Essen, dass mal nicht im Wohnheim stattfindet?
Ich würde mich riesig freuen, dich näher kennen zu lernen.
Deine Franziska“

Das ist er also. Mein Liebesbrief. Zumindest ist er geradliniger formuliert, als ich es je gekonnt hätte. Als sachliche Einladung zum Abendessen taugt er auf jeden Fall. Und schön, dass die Dienstleister meine Service-Mentalität gleich übernommen haben. Da denkt jemand mit! Essen gehen, statt Essen machen. Wer kochen lässt, beginnt das romantische Dinner auch nicht mit Brand- und Soßenflecken auf dem Kleid. Und der Wein wird gebracht – ich muss mich also nicht mit dem Korkenzieher auseinandersetzen.

Nur eine Frage stelle ich mir immer noch: Was macht dieser seltsame Gelehrte Aïvanhov in meinem Liebesbrief? Im Internet steht, dass er mit vollem Namen Omraam Mikhaël Aïvanhov heißt, einen langen weißen Rauschebart trägt und spiritueller Führer der Universellen Weißen Bruderschaft ist. Die Bruderschaft will "die Menschen zum Bewusstsein der Einheit allen Lebens im Universum wie zum Einssein mit Gott hinführen" und beschäftigt sich hauptsächlich mit Gebeten, Lichtmeditation und der kosmischen Bedeutung der Nahrung. "Ich glaube, dass man sogar beim Essen die Erde und den Himmel vereinigen kann", hat Omraam Mikhaël Aïvanhov einmal gesagt. Hoffentlich hat mein Schatz kein Internet in seinem Wohnheimzimmer.

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07 / 2007
ZEIT ONLINE