Alkohol
Kein Film ohne mich
In unzähligen Filmen spielt er mit, besetzt Haupt-, Neben-, und Statistenrollen. Er ist wandlungsfähig, arbeitet gut im Team und altert nicht. Einen Oscar oder einen Stern auf dem Walk of Fame hat er nie bekommen – ist aber trotzdem auf jeder Premierenfeier dabei: der Alkohol. Zuender hat acht Szenen aus der Filmgeschichte ausgewählt.
Scarface (1983) von Brian de Palma
: Al Pacino spielt den verarmten Ex-Häftling Tony Montana, der gerade mit Rundrücken im Restaurant sitzt. Seinen Wein hat er allein geleert. Als einziger hat er keinen Tischnachbarn und als einziger hebt er die Stimme: "You are a bunch of fucking assholes!" Die Gäste bemühen sich um Haltung, die Kellner gehen in Position. Dann brüllt Montana los: "Ihr habt nicht den Mut, so zu sein, wie ihr wollt – ihr braucht Leute wie mich, damit ihr mit dem Finger auf sie zeigen könnt." Montana taumelt und wird von einem Kellner aufgefangen. Trotz mehrerer Promille wirft sein schwarzer Anzug nicht eine Falte und zum Abschied breitet er elegant die Arme aus: " So say good night to the bad guy!"
Rolle des Alkohols:
Der Helfer. Macht Montana Mut, verpasst seinem Frust das Etikett "gerechter Zorn" und gibt ihm etwas von seiner Selbsbestimmung zurück.
Factotum (2005) von Bent Hamer: Matt Dillon spielt den Schriftsteller Henry "Hank" Chinaskin. Hank trinkt, lebt von Gelegenheitsjobs und schreibt Texte, die niemand veröffentlichen möchte. Nach einer durchzechten Nacht rollt er sich aus dem Bett. Das Weiß seiner Wäsche ist so vergilbt wie das Zimmer. Neben ihm liegt seine Freundin, regungslos und starr wie auf dem Totenbett. Hank taumelt ins Badezimmer und kotzt in die Toilette. Er wischt sich den Mund ab, nimmt unter dem Klirren der vielen Flaschen ein Bier aus dem Kühlschrank. Dann lässt er seinen Körper in einem Stuhl fallen, wirft den Kopf zurück und nimmt einen großen Schluck.
Rolle des Alkohols: Das Dogma. Wie ein unumstößlicher Lehrsatz bestimmt es Hanks Leben, definiert seine Wahrheit.
Vom Winde verweht (1939) von Victor Fleming:
Vivien Leigh geht auf Zehenspitzen. Sie spielt Scarlett O’Hara, die wider Willen mit dem Abenteurer Rhett Butler verheiratet ist und ihr Unglück gerne mit einem Gute-Nacht-Drink vergisst. Dummerweise sitzt diesmal schon der betrunkene Rhett im Wohnzimmer. Er befiehlt ihr, Platz zu nehmen und schenkt ein. Sie ext den Kurzen umgehend. Er droht ihr mit Mord, falls sie weiter anderen Männern hinterher schaut. Doch die betrunkene Scarlett schießt scharf zurück. Wenige Sekunden später küsst Rhett sie und trägt sie die Treppe hinauf.
Rolle des Alkohols: Die Mama. Wiegt in den Schlaf und schlichtet den Streit ihrer Kindsköpfe.
From Dusk till Dawn (1996) von Robert Rodriguez:
Quentin Tarantino spielt den Serienkiller Richard Gecko. Im Stripplokal Titty Twister hat er gerade noch wahllos einige Frauen niedergemetzelt. Jetzt ist er im Visier einer mysteriösen Tänzerin. Grazil trägt sie ihre Schwindel erregenden Kurven über die Tische durch die betrunkene Truckermeute. Vor Richard macht sie Halt und lässt hypnotisierend die Hüften kreisen. Sie greift zur Weinflasche und setzt ihren zierlichen Fuß an Richards ohnehin offen stehendem Mund an. Dann gießt sie den Wein auf ihr nacktes Bein. Über ihren Schenkel, das Knie, den gewölbten Fußrücken strömt er in seinen Mund. Er lutscht an ihren Zehen, will die letzten Tropfen. Dann beugt sie sich zu ihm hinunter und flösst ihm Wein Mund zu Mund ein.
Rolle des Alkohols:
Das Gogo-Girl. Macht heiß und hungrig auf mehr. Gegessen wird aber zu Hause.
Leaving Las Vegas (1995) von Mike Figgis:
Nicolas Cage spielt den Alkoholiker Ben Sanderson, der nach Las Vegas fährt, um sich zu Tode zu saufen. Auf den nächtlichen Straßen brennen tausend Lichter. Sanderson sitzt hinterm Steuer, mit der rechten Hand das Lenkrad umklammernd, mit der linken eine Flasche Klaren. Seine Schlucke sind so groß wie die eines Tour-de-France-Fahrers. Ein Cop fährt auf einem Motorrad vorbei und die beiden wechseln eine Reihe von Blicken. Cage hält seine Flasche unten. Der Polizist gibt schließlich auf und beschleunigt wieder. Schneller, als er aus dem Bild ist, hat Sanderson die Flasche wieder am Mund.
Rolle des Alkohols: Die verhängnisvolle Affäre. Bleibt lange Zeit unentdeckt und führt todsicher ins Verderben.
Herr Lehmann (2004) von Leander Haussmann:
Wie zum Duell verabredet, begegnen sich Frank Lehmann und ein Straßenköter im Morgengrauen auf dem Bürgersteig. Berlin schläft noch. Lehmann, gespielt von Christian Ulmen, ist betrunken, unbewaffnet und hat die ganze Nacht hinterm Tresen gearbeitet. Der Hund trottet ihm entschlossen entgegen. Nur wenige Meter voneinander entfernt bleiben sie stehen. Lehmann versucht den Hund mit sanfter Stimme zum Teufel zu schicken. Der aber steht da wie eine Säule und fletscht die Zähne. Resigniert setzt sich Lehmann im Schneidersitz auf den Asphalt, greift in sein Nadelstreifen-Sakko und zieht eine Flasche Whisky heraus. Er füllt den Verschluss, schwenkt ihn von rechts nach links, von links nach rechts – wie ein Pendel. Der Hund hat angebissen. Nach einer Kostprobe aus dem Flaschendeckel leckt er später den Whiskey-Rinnsal von der Strasse.
Rolle des Alkohols:
Der Diplomat. Er bringt gegnerische Parteien an einen Tisch und überbrückt sogar artbedingte Unterschiede. Und das ohne Übersetzer.
The Lost Weekend (1945) von Billy Wilder:
Ray Milland spielt den erfolglosen Jung-Schriftsteller Don Birnham, der gerade drei Tage lang durchsäuft. Der Barkeeper wischt schon die Tische ab, als Birnham – ein schlaksiger Junge mit Hut – hereinkommt. Ungelenk balanciert er an der Theke und wirft ein paar Scheine hin. Als er endlich sein Glas hat, rückt er es nervös hin und her und fummelt sich im Gesicht rum. Nach dem dritten Glas fängt er an, Sprüche zu klopfen.
Die Rolle des Alkohols:
Der Poser. Man will mit ihm Zeit verbringen, weil man hofft, dass seine Coolness abfärbt. Leider passiert das nicht, er ist höchstens ein schlechter Umgang.
Sideways (2005) von Alexander Payne:
Der Lehrer und gescheiterte Autor Miles, gespielt von Paul Giamatti, liebt Wein: Er hält ihn ins Gegenlicht, um die Farbe zu erkennen, er schwenkt ihn, schmatzt und schmeckt jeden Tropfen. Für Wein findet er die richtigen Worte, nicht aber für seinen Roman, den er ungelenk "Der Tag nach gestern" nennt. Auf einer Weinprobe verweigert ein Kellner Miles Nachschub. Der steckt tief in einer Krise und muss sich unbedingt betrinken. Er rastet aus. Miles und der Kellner ziehen an der Weinflasche wie an Tauenden. Als klar ist, dass er hier kein Glas Wein mehr bekommen wird, schnappt Miles sich den Bottich, in den der gekostete Wein gespuckt wird und schüttet die Brühe in sich hinein.
Rolle des Alkohols: : Der Rüpel. Er kann sich einfach nicht beherrschen und verstößt in einer Tour gegen die Etikette.
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07 /
2007
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