Alkohol
Alles Freaks
Kein Bier nach der Arbeit. Kein Glas Rotwein beim Abendessen. Marta trinkt nicht. Nie.
Man läuft ihnen nicht oft über den Weg. Einem dieser raren Exemplare der Spezies Homo Sapiens, die niemals Alkohol zu sich nehmen. Meistens gehören sie den Veganern oder Frutariern oder sonstigen dubiosen Sekten an. Ganz normal sind sie jedenfalls nicht.
"Keinen Alkohol zu trinken und gleichzeitig normal zu sein ist gar nicht so einfach," sagt Marta und nippt an ihrer heißen Schokolade. "Das sind doch alles Freaks."
Sie muss es wissen, schließlich ist sie eine von ihnen. Ab und zu mal ein kleiner Schuss Weißwein zum Kochen, mehr ist bei Marta nicht drin. Trotzdem ist sie augenscheinlich normal, ja sogar cool: Erfolgreiche Journalistin, ein Adressbuch wie Andy Warhol, auf den Gästelisten der besten Partys und so weiter. Und sie findet die Frage nach ihrer Abstinenz fast amüsant. "Was ist denn daran so besonders?" Dann denkt sie kurz nach. "Es wundert mich, dass nicht mehr Leute nicht trinken."
Doch jetzt mal der Reihe nach. "Mit 15 fing ich an wegzugehen, und mein Gott, haben wir gefeiert! An die Hälfte der Nächte kann ich mich nicht mehr erinnern, so viel trank ich damals. Ich nenne es mein gelöschtes Jahr." Mit achtzehn machte sie ihr Abi und fing sofort an zu studieren. Neue Umgebung, neue Freunde, neue Verantwortungen. "Ich war müde vom vielen Feiern. Und dann hat mir mein damaliger Freund von Straight Edge erzählt."
Die Straight Edge-Bewegung entstand in den frühen achtziger Jahren aus der Hardcore Punk-Szene, als Antwort auf deren selbstzerstörerische und gewaltgeladene Kultur. Jugendliche in zerschlissenen Lederjacken schworen plötzlich Alkohol, Tabak und Drogen ab und redeten gegen die Promiskuität an. "Ich habe mich gleich dafür begeistert. Es war eine echte Gegenkultur, etwas völlig anderes!"
Moment mal, wie war das mit den Sekten? Marta lacht. "Straight Edge hat sich wirklich zu einer Pseudo-Religion entwickelt. Ich habe schnell wieder Abstand genommen. Die Leute müssen immer so übertreiben!"
Zurück zum Alkohol fand sie trotzdem nicht, und das ist jetzt immerhin zehn Jahre her. Es schmeckt ihr nicht, weder Wein noch Cocktails oder Bier. Doch nicht zu trinken ist für sie auch eine Lebenshaltung. "Die Leute bilden sich ein, sie bräuchten bestimmte künstliche Substanzen. Das führt dann zu so lächerlichen Assoziationsketten wie Aufstehen=Kaffee, Konzentration=Zigarette, oder Spaß=Alkohol. Das ist vollkommener Unsinn. Ich nehme nichts davon und ich kann trotzdem aufstehen und mich konzentrieren." Sie lässt ihre Tasse auf den Tisch knallen. "Alkohol ist scheiße!"
Das klang jetzt aber militant. Sagt sie das ihren Freunden auch? "Nein, ich bin kein Prediger. Es stört mich nicht, wenn jemand trinkt – in Maßen. Meine Freunde gehen ja nicht mehr weg, um sich zu besaufen. Aus dem Alter sind wir raus." Und ihr Freund – ein bekannter Fernsehmoderator? "Das ist schon schwieriger, vor allem wegen der Kommunikation. Ich habe einfach keinen Bock auf zusammenhanglose und nichtssagende Unterhaltungen mit Betrunkenen. Er weiß das und trinkt nicht viel. Vielleicht mal ein paar Bier alle zwei Wochen oder so."
Man kann nicht anders: In Martas Gegenwart muss man sich schwach fühlen. An ein Bier ist nicht zu denken, an eine Zigarette noch weniger. Nicht mal ein Kaffee. Sie macht aus ihrer Überlegenheit keinen Hehl. "Das klingt jetzt vielleicht scheiße, aber natürlich bin ich stolz darauf, nicht zu trinken. Ich habe etwas aufgegeben, das meinem Körper nicht gut getan hat. Ich brauche keine künstlichen Aufputschmittel. Ich habe nie einen Kater. Und meine Haut ist viel besser als die anderer Mädchen in meinem Alter."
Doch dann lehnt sie sich verschwörerisch über den Tisch, über die Schokoladenspritzer. "Aber sag mal… was ich schon immer mal wissen wollte: warum bekommt man nach einem Bier Lust auf mehr? Und wieso rauchen die Leute mehr, wenn sie getrunken haben?"
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06 /
2007
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