HIP HOP
Palästina rappt
Weite Hosen, orientalische Klänge, Imperialismus-Kritik. Die drei MCs von DAM sind die Superstars des palästinensischen Hip Hop.
Es ist die erste internationale Veröffentlichung einer palästinensischen Hip Hop-Band überhaupt: Das Album
Dedication
von Tamer und Suhell Nafar und Mahmud Jreri. Gemeinsam sind sie
DAM
und überraschen nicht nur mit explizit politischen und gesellschaftskritischen Texten, sondern auch durch die gelungene Symbiose von westlichem Hip Hop und Elementen der traditionellen arabischen Musik.
2001 haben DAM zum ersten Mal über ihre Landesgrenzen hinaus auf sich aufmerksam gemacht, als eines ihrer Stücke auf der beliebten arabischen Hip Hop-Seite www.arabrap.net landete und innerhalb eines Monats über eine Million Mal herunter geladen wurde. Das zog nicht nur die Aufmerksamkeit des britischen Labels Red Circle Music auf sich, sondern auch die von Filmemachern wie Jackie Salloum , Udi Aloni oder Hany Abu Assad – der vor kurzem einen Golden Globe für seinen Film Paradise Now gewann. Aloni und Assad verwenden seitdem die Musik der drei in ihren Filmen; Salloum portraitierte sie in ihrer Dokumentation Slingshot Hip Hop.
Bis
Dedication
endlich das Tageslicht erblickte, dauerte es eine Weile: Die Band arbeitete über drei Jahre an dem Album und probierte zahlreiche israelische Produzenten aus. "Wir haben ihnen die arabische Musik vorgespielt, die wir als Kinder ständig gehört haben, unsere traditionelle Musik", berichtet Mastermind Tamer Nafar. "Auf diese Weise haben wir zu unserem eigenen Sound gefunden."
Hip Hop ist in Palästina angesagt. Das sieht man schon allein an den Konzerten der lokalen Künstler, zu denen regelmäßig tausende Menschen erscheinen. "Hip Hop war das größte, das Palästina in künstlerischer Hinsicht je erfahren hat", sprudelt es aus Tamer hervor. "Es gab Musiker, die in ihren Nachbarschaften auftraten, aber keine Superstars. Dann breitete sich Hip Hop fast wie ein Virus aus. Alle hatten übergroße Klamotten an, jeder wollte sich mal probieren. Momentan gibt es vielleicht 50 Rapper in Palästina, von denen es aber höchstens zehn ernst meinen."
DAM verstehen sich nicht nur als Musiker, sondern auch als politische Aktivisten. Sie organisieren regelmäßig Demonstrationen, Lesungen und Diskussionsrunden in ihrem Heimatland und setzen sich für die Gleichberechtigung der Palästinenser ein. Diese Einstellung spiegelt sich auch in ihren Texten wider, die unter anderem vehement die US-amerikanische Außenpolitik im Nahen Osten kritisieren. "The US has made it their 51st state, cleaning the Middle East of its Indians, hitting us then blaming us", rappen DAM da. Gleichzeitig ist amerikanische Popkultur auch aus Palästina nicht mehr wegzudenken.
Dass sie für ihre Kritik an den USA gerade eine Ausdrucksform benutzen, die in der US-amerikanischen Kultur entstanden ist, stellt für Tamer keinen Widerspruch dar: "Wir kritisieren die amerikanische Regierung und den amerikanischen Imperialismus, nicht die Kultur. Jede Kultur besitzt positive und negative Aspekte. Wenn ich etwas von der amerikanischen oder europäischen Kultur lernen und meine eigene damit bereichern kann, ist das doch fantastisch." Außerdem besteht der 27-jährige Musiker darauf, dass Hip Hop in erster Linie afro-amerikanisch und erst dann amerikanisch war. "Da besteht ein großer Unterschied."
Und Tamer betont: Schon lange vor der Entwicklung des Hip Hop in den siebzigern und lange, bevor er nach Palästina kam, gab es in der arabischen Kultur ähnliche Ausdrucksformen: "Beispielweise Sheikh Imam , einen Protestsänger, der Lieder gegen die Mächtigen und die ägyptische Regierung geschrieben hat. Man sollte sich die Reime des Herren mal ansehen: Das ist Rap. Noch vor der Zeit Mohammeds gab es außerdem im arabischen Raum Märkte, auf denen man Gedichte kaufen konnte. Dort war eine Bühne aufgebaut, auf der sich zwei Dichter einen Wettstreit lieferten. Hip Hop-Texte handeln meist von Stärke und Kraft und das traf auch auf diese Texte zu. Mit dem kleinen Unterschied, dass man heute von Knarren und dicken Autos spricht und damals eher von Pferden und Schwertern. Doch diese Art des Geschichtenerzählens gab es in meiner Kultur auch."
DAM nehmen auch gesellschaftliche und soziale Probleme in ihrer Kultur aufs Korn. Beispielsweise sprechen sie sich für die Gleichstellung von Frauen in der arabischen Welt aus: Eine Position, die innerhalb der Hip Hop-Kultur einen gewissen Seltenheitswert besitzt. Das kam bei vielen der weiblichen Konzertbesucherinnen gut an. "Ich rede oft mit gebildeten Frauen über den Song Freedom For My Sisters . Meistens finden sie ihn gut, kritisieren aber auch bestimmte Stellen. Ich spreche in dem Song über die Frauenthematik, weil ich dazu eine starke Meinung habe und nicht, weil ich denke, dass ich darüber reden kann und die Frauen nicht", erläutert Tamer. "Starke Frauen wissen, dass niemand sie repräsentieren muss, vor allem nicht ein Mann. Außerdem schränkt nicht die Religion Frauen ein, sondern religiöse Menschen. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Natürlich ist diese Veränderung nur schwer zu erreichen, doch wenn es nicht in dieser Generation gelingt, dann vielleicht in der nächsten." Wenn man Tamer aber auf konkrete Schritte zur Verbesserung dieser Situation anspricht, flüchtet er sich in Allgemeinheiten: "Die ersten Worte wären: Es tut mir leid. Wie kann ich es wieder gutmachen? Der nächste Schritt wäre zu überlegen, wie man gemeinsam an diesem Ziel arbeiten kann."
Trotz der internationalen Aufmerksamkeit kann die Band noch nicht von der Musik leben. Das könnte sich nach der Veröffentlichung von
Dedication
jedoch ändern. Derzeit haben DAM alle Hände voll zu tun: Sie sammeln und editieren Material für eine DVD und alle drei Musiker arbeiten schon an Soloalben. Israel möchten die drei aber auf keinen Fall verlassen, lieber wollen sie mit ihrer Popularität auch anderen Musikern dort Gehör verschaffen. "Wir werden mit traditionellen arabischen Musikern zusammenarbeiten, so dass sich ihre Musik über alle Grenzen hinwegsetzen kann", berichtet Tamer zum Abschluss.
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2006
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