Medien

Das hat der Punk gemacht

Wozu gibt es eigentlich Musikjournalisten, wenn die ohnehin nur über sich selbst schreiben? Thomas Venker, Chefredakteur der Intro, sammelt Argumente

Fragen von Chris Köver

Du sagst von Dir selbst, du wärst Popautor, nicht Journalist.

Ja, was aber nicht heißt, dass ich mich nicht als Journalist sehe. Im Gegenteil: Popautor greift weiter. Konkret bedeutet das: Geschichten auch abseits der reinen Information zu erzählen, größere Bögen zu zeichnen, auch Dinge zu schreiben, die auf den ersten Blick nicht der Kern der Geschichte sind. Natürlich arbeite ich auch journalistisch, wenn es darum geht, Fakten zu vermitteln.
Investigativ arbeitet man im Musikbereich allerdings kaum. Wir schreiben zwar auch Artikel, die in die Tiefe gehen – wenn es zum Beispiel um den Konkurs des Musikvertriebs Efa oder um Piraterie geht, dann werden für eine Story durchaus mal 15 Leute interviewt. Normal ist im Musikjournalismus aber eher, dass man eine Newcomerband trifft und mit der redet. Dafür muss man natürlich nicht so viel recherchieren.

Liest man deine Texte, hat man das Gefühl, mehr über dich zu erfahren als über den portraitierten Künstler. Von dir stammt auch die These "Der Autor ist mindestens so wichtig wie der Künstler selbst."

Das hat mit der Musik zu tun, mit der ich sozialisiert wurde. Punkrock und Hardcore haben damals in den frühen Achtzigern ganz bewusst das Gefälle zwischen der Bühne und dem Publikum aufgebrochen. In den Siebziger Jahren war das noch typisch, später stand die Band immer auf gleicher Höhe mit dem Publikum. Dahinter steckte die Idee, dass die Band nicht besser oder schlechter ist als die Zuhörer. Das habe ich dann aufs Schreiben übertragen.
Allerdings sehe ich es nicht so, dass man genauso viel über mich wie über die Band erfährt – das war selbst in den sehr auf das Autoren-Ich fixierten Tagen bei der Intro , so gegen 2001, nicht so. Es geht immer darum über persönliche Geschichten auch etwas über die Band zu erzählen.

Das Schreiben über Musik ist also ein gleichwertiger künstlerischer Prozess, ebenso wichtig wie das Musik machen?

Natürlich gibt es kleinere Geschichten, die man schnell runter schreibt. Aber normalerweise will ich etwas abliefern, das auch in einem Jahr noch Bestand hat. Ähnlich wie eine Band möchte, dass ihr Album in einem Jahr noch gut klingt.

Ist dir wichtig, was die Musiker, über die du schreibst, von deinen Texten halten? Der amerikanische Musikkritiker Greil Marcus hat ja offen gesagt, dass ihm das völlig egal sei.

Ja, aber Greil Marcus ist auch ein bornierter Kritiker. Natürlich ist es mir wichtig, wie meine Texte aufgenommen werden. Man will ja auch Rückmeldung bekommen. Manchmal sagen die Künstler: Schön, was du geschrieben hast, aber da hast du ganz schön überinterpretiert. Aber irgendwie gefällt ihnen das auch, weil sie merken, dass sich jemand Gedanken gemacht hat.
Man wünscht sich ja immer, dass die Künstler lesen was man zu ihrer Musik geschrieben hat – insofern schmerzt es dann oft, dass am Ende doch der Großteil der Künstler englischer Muttersprache ist und nie aus erster Hand erkennen wird, wie gut die popkulturelle Schreibe in Deutschland ist. Und damit meine ich die Linie Intro- Spex - Debug - Groove und ausgewählte Feuilletons wie das der FAZ Sonntagszeitung beispielsweise.

Du hast mit Künstlern wie Aaliyah, Björk oder David Bowie gesprochen. Ohne respektlos klingen zu wollen: Da interessiert mich doch, was das für Menschen sind, was sie zu erzählen haben. Und nicht, ob du an dem Tag gerade gute oder schlechte Laune hattest.

Hattest du denn das Gefühl, dass sie zu kurz kamen?

Nicht unbedingt, aber trotzdem hat man als Autor eine begrenzte Zahl von Zeichen zur Verfügung. Und den Platz, den man für sich verwendet, kann man nicht für die Beschreibung der Künstler verwenden.

Wir diskutieren hier im Haus oft darüber, welches Format wie viel Persönliches verträgt. Die Band soll nicht unter der Egomanie des Autors leiden. Wir instruieren die Autoren immer, die subjektive Perspektive nur in Geschichten zu verwenden, die über zwei oder drei Seiten gehen und in denen trotzdem noch genug Platz für den Künstler bleibt. Ich maße mir nicht an zu glauben, ich sei genauso groß wie David Bowie. Und das tut auch keiner der Intro -Autoren. Das ist eher eine Frage des Gestus’, mit dem man dem Künstler begegnet. Ich finde es schlimmer, wenn Schreiber zu viel Ehrfurcht zeigen. Man muss Respekt haben, aber auch frech sein. Das kann ich nur, wenn ich weiß: Selbst wenn mir das Interview abschmiert, bekomme ich trotzdem eine gute Geschichte hin.

Hast du dich selbst auch schon mal nachträglich aus einem Text rausredigiert?

Ich schreibe sehr impulsiv und gehe dann am nächsten Tag noch mal über den Text drüber. Da dachte ich hin und wieder: Ui, hier habe ich es vielleicht übertrieben. Aber das macht man ja mit vielen Aspekten im Schreibprozess. In der Regel weiß ich aber schon vor dem Losschreiben ziemlich genau was für einen Duktus der Text bekommen soll und wie viel ich von mir selbst Preis geben will – oder eben nicht.

Braucht man auch ein gewisses Maß an Narzissmus, um so schreiben zu können?

Ich hoffe, dass das "Ich" in meinen Texten nicht narzisstisch geleitet ist, sondern immer im Zusammenhang mit der Geschichte und dem Künstler steht. Die Gefahr, dass es nicht so wahrgenommen wird, sehe ich natürlich. Aber wie gesagt: Auf jeden Text mit dem Autoren-Ich kommt sicherlich auch einer ohne die Einbringung des Autoren in unserem Blatt.

Welche Ansprüche stellst du an Texte?

Dass sie unterhaltsam und informativ sind, die Leser unterhalten und aufklären. Es gibt ein paar Themen, an denen wir uns bei der Intro abarbeiten. Popfeminismus, die Sexismusdebatte im HipHop zum Beispiel. Uns ist wichtig, das immer wieder zu kritisieren und bei einer neuen Platte von Snoop Doggy Dog auch darüber zu sprechen, dass man es nicht gut findet, wie er sich gibt und dass er an einer Pornofirma beteiligt ist. Auch wenn das inzwischen ermüdend ist.

Liest man die Plattenkritiken in der Intro und anderen Musikzeitschriften, sind die nicht immer verständlich.

Natürlich haben unsere Autoren einen gewissen Anspruch an ihre Schreibe. Das Feuilleton der Zeit hat ja auch einen Anspruch, der gewisse Leser ausschließt. Das macht es für die anderen erst reizvoll.

Man schreibt also nicht für alle, sondern nur für die, die bereits ein bestimmtes Wissen mitbringen.

Ja, klar. Subkultur war ja nie das Versprechen, dass man die Tür aufmacht und alles versteht. Man muss sich hineinbegeben und daran arbeiten, es zu verstehen. Das ist überall im Leben so. Wenn ich ein Jahr lang außer Landes bin und dann zurückkehre, brauche ich auch eine Weile, bevor ich mich im Politikteil der Süddeutschen wieder zurechtfinde.

Und warum sind viele Kritiker in ihrer Meinung so absolut, anstatt die Leser eine eigene Meinung bilden zu lassen?

Diese Selbsternennung steht in der Tradition des Punk. So, wie man sich herausgenommen hat, Gitarre zu spielen, obwohl man am Anfang nur einen Akkord konnte, nimmt man sich heraus, seine Meinung an oberste Stelle zu setzen. Man muss aber auch sehen, um welche Themen es dabei geht. Viel öfter wird mal Luft abgelassen, als Allgemeingültigkeit für die eigene Aussage beansprucht. Hier läuft keiner mit rausgestreckter Brust herum und sagt: Mensch, jetzt habe ich der Popwelt gezeigt, wo der Hammer hängt.

Ist die Intro politisch?

Rein politische Reportagen findest du in der Intro selten. Dazu haben wir weder den Platz noch die richtigen Autoren. Ich spreche jetzt von Außenpolitik, innenpolitische Aspekte findet sich hier und da schon. Und im Jahresrückblick versuchen wir allem gerecht zu werden, so haben wir dieses Jahr beispielsweise einen ausführlichen Artikel über Beirut mit drin, in dem es sowohl um die kriegerische Auseinandersetzung zwischen Israel und dem Libanon geht als auch um die Bedingungen für kulturelle Arbeit in Beirut vor, während und nach dem Angriff der Israelis.
Wir versuchen generell, Bands auf politische Themen anzusprechen, die gerade wichtig sind. Ein Beispiel ist da George W. Bush. Seit er amerikanischer Präsident ist, ist das ein wichtiges Thema im Gespräch mit US-amerikanischen Bands geworden. Außerdem legen wir Wert darauf, Bands vorzustellen, die von sich aus eine politische Einstellung haben. Bands wie Fugazi , die sich für Vegetarismus einsetzen, die auf Benefizveranstaltungen spielen, die zu jedem tagespolitischen Thema ansprechbar sind.

Du thematisierst selbst in deinen Texten die Beschränkungen, denen man als Musikjournalist heutzutage unterworfen ist – knappe Interviewtermine zum Beispiel oder die paranoide Musikindustrie. Ist unabhängiger Musikjournalismus überhaupt noch möglich?

Möglich auf jeden Fall. Die Frage ist, ob er noch erwünscht ist. Der Niedergang von Zeitschriften wie der Spex ist für mich ein Indiz dafür, dass immer weniger Leser Wert darauf legen. Wir berichten kritisch, aber wenn wir es nicht täten, würde es vermutlich gar nicht so viele tangieren. Aber ich bin auch optimistisch, dass sich das wieder ändern wird, wenn wir nur dran bleiben und den energischen, engagierten, politisch unterfütterten Kulturjournalismus einladend und voller Emotionen an die Leute heranbringen.

Wie kritisch kann man sein, wenn man wie ihr in hohem Maße auf Werbeeinnahmen angewiesen ist?

Es ist wichtig zu sehen, wo die Anzeigen herkommen. Als ich bei der Intro im Jahr 2000 angefangen habe, hatten wir über 60 Prozent Musikanzeigen, jetzt nur noch ein Zehntel. Der Anteil ist so gering, dass die Macht der Musikindustrie nachlässt. Die Auto- und Shampoo-Hersteller, die heute bei uns werben, haben keine inhaltlichen Interessen unterzubringen. Womit ich nicht sagen will, dass wir früher von der Musikindustrie abhängig gewesen wären: Die Unabhängigkeit der Redaktion war schon immer das oberste Credo bei uns, denn wenn da einmal andere Arbeitsweisen Einzug halten, kann man den Prozess nicht mehr aufhalten.

Trotzdem bedient ihr seit dem Neuzuschnitt des Heftes auffällig viele neue Themen, die auch dem veränderten Werbemarkt geschuldet sind, Mode, Filme und Computerspiele zum Beispiel.

Film, Kunst oder Literatur waren Themen, die wir immer schon gern im Heft gesehen haben, auch als wir uns noch als reine Musikzeitschrift verstanden. Dass der Musikteil dadurch kleiner geworden ist, stört mich nicht, denn die wichtigen Themen kommen immer noch darin unter.
Generell muss man sehen: Es spricht nichts gegen ein gutes Marketing auf Basis der Heftinhalte – es darf nur eben nicht andersherum laufen.

P.S.: Ja, der Zuender kooperiert mit Intro. Das Interview haben wir aber nicht deswegen, sondern trotzdem geführt.

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32 / 2006
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