NETLABEL
Netz ist besser als Keller
Logisch: Netlabel gibt es nur im Internet. Offline feiert es sich aber besser. Veranstalter Marc Widmer über das erste Netlabel-Festival in Zürich und Indie Rock online. Fragen von
Chris Köver
Wozu braucht man ein analoges Festival, wo sich doch jeder diese Musik im Netz herunterladen und anhören kann?
Um die Bewegung bekannter zu machen. Das funktioniert am besten über Events und Konzerte. Viele Leute haben keine Lust, im Netz nach Musik zu graben. Denen wollen wir zeigen, dass es so etwas gibt. Andererseits machen wir das, um den Leuten aus der Netzmusik-Szene die Möglichkeit zu geben, aufzutreten. Netlabel sind ja ein internationales Phänomen. Trotzdem sieht man hier sonst kaum einen Künstler von außerhalb. Wir wollten dieses internationale Netzwerk mal komprimiert in zwei Tage packen.
Ist es auch für die Szene selbst wichtig, sich von Angesicht zu Angesicht zu treffen?
Sicher, aber bei unserem Festival ist das nicht der zentrale Aspekt. Wir wollen eher die Leute außerhalb dieser Szene ansprechen und sie als Publikum für Netzmusik gewinnen.
Nach welchen Kriterien habt ihr die Künstler ausgewählt?
Wir wollten sowohl lokale als auch internationale Künstler nach Zürich bringen. Weil wir damit schon früher gute Erfahrungen gemacht haben, wollten wir außerdem nicht nur Acts für den Klub, sondern auch ruhigere. Zudem sollten verschiedene elektronische Richtungen zu sehen sein. Und natürlich hatten wir alle unsere persönlichen Favoriten.
In den Anfängen haben Netlabel vor allem elektronische Musik veröffentlicht. Auch euer Festival beschränkt sich darauf. Wieso gibt es so wenig HipHop, Rock, Soul oder Jazz, der kostenlos im Netz herunter geladen werden kann?
In erster Linie liegt das daran, dass die Bewegung von Leuten aufgezogen wurde, die mit dem Computer zu tun hatten. Da war es zwangsläufig, dass Netlabels anfangs vor allem elektronische Musik veröffentlichten. Außerdem haben Netlabels häufig kein Geld, um aufwendige Produktionen zu bezahlen. Elektronische Musik kann meist billiger und mit weniger Aufwand produziert werden.
Dass es so wenig Rock gibt, liegt vielleicht auch daran, dass Rockbands das technische Wissen fehlt, um im Netz zu veröffentlichen. Auch ist es in der Rockszene immer noch wichtig, auf einem "richtigen" Label zu erscheinen. Das Ideal "Erst Demo-Tape, dann Plattenvertrag" ist nach wie vor sehr stark. Es wird wahrscheinlich eine Weile brauchen, bis die Leute merken, dass es gescheiter ist, im Netz einfach mal anzufangen, anstatt zwei Jahre lang im Keller zu üben und nichts zu veröffentlichen.
Welche anderen Vorteile hat ein Künstler dadurch, dass er auf einem Netlabel veröffentlicht?
Übers Netz kann ich hören, was in Mexiko oder sonst wo auf der Welt passiert. Umgekehrt gilt: Wenn ich als Künstler bei einem bekannten Netlabel veröffentliche, dann werde ich nicht nur von wenigen Bekannten gehört, sondern theoretisch auf der ganzen Welt. Gerade für Musiker, die eine Nische bedienen, ist das eine große Chance. Das sollte man vielleicht den Indie-Rock-Bands mal mit auf den Weg geben.
Wenn jemand massentaugliche Musik macht, wird er nicht zwingend auf ein Netlabel zurückgreifen müssen. Wer aber spezielle Musik macht und gehört werden möchte, sollte sich das ernsthaft überlegen.
Gibt es denn inzwischen auch Indie-Rock im Netz?
Das Genre ist immer noch unterrepräsentiert, aber es gibt jetzt zum Beispiel das deutsche Label 12rec , das ausschließlich Bandmusik veröffentlicht. Das reicht von Indie-Rock bis HipHop.
Netlabels sind in der Regel Hobbyprojekte. Gibt es auch Modelle, um damit Gewinn zu machen? Oder wollen Netlabel-Betreiber gar nicht kommerziell werden?
Wenn man Musik veröffentlicht, die nicht massentauglich ist, dann ist es allgemein ein Problem, damit den Lebensunterhalt zu verdienen. Das gilt auch für herkömmliche Label. Aber inzwischen gibt es schon Netlabels, die versuchen, ihre Künstler auch kommerziell zu vermarkten. Hier in der Schweiz macht das zum Beispiel Alpinechic , ein Netlabel, das vor allem auf Popmusik ausgerichtet ist. Sie veröffentlichen weiterhin im Netz, bringen aber gleichzeitig CDs raus, um ihre Künstler auch außerhalb der Netlabel-Szene bekannt zu machen. In Zukunft wird es sicher noch mehr Label geben, die in diese Richtung gehen.
Und die Künstler? Können Netlabels auch für die eine Alternative sein, die mit ihrer Musik Geld verdienen möchten?
Es ist generell schwierig, mit der Veröffentlichung von Alben so viel Geld zu verdienen, dass man davon leben kann. Dass gilt nicht nur für Netlabel, sondern auch für größere Bands, die bei herkömmlichen Labels veröffentlichen. Wer eine gewisse Bekanntheit hat, kann seine Musik bei einem Mp3-Shop in Netz stellen und damit vielleicht 300 Euro im Monat verdienen. Aber ob sich das wirklich lohnt? Da kann man sich überlegen, ob man nicht lieber eine größere Verbreitung vorzieht.
Wovon lebst du im "richtigen" Leben?
Bis vor kurzem habe ich an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich studiert. Im Moment arbeite ich hauptsächlich als Grafikdesigner und Programmierer.
Was sind deine fünf liebsten Netlabels?
1.
equalitec
aus Polen
2.
fragment
aus Russland
3.
nexsound
aus der Ukraine
4.
-N
aus Japan
5.
espilonlab
aus Kanada
Die veröffentlichen minimale oder experimentelle elektronische Musik, die irgendwo zwischen Klub und Hängematte angesiedelt ist. Im Unterschied zu vielen anderen Labels sind die Veröffentlichungen sehr eigenständig.
Hörst du auch Nicht-Netlabel-Musik?
In letzter Zeit weniger. Neben der Vorbereitung für das Festival und der Arbeit an der Netaudio-Plattform Sonicsquirrel blieb mir nicht viel Zeit für anderes, aber prinzipiell natürlich schon. Normalerweise ist das dann eher Nischenmusik, aber auch größere Label wie Warp haben oft Interessantes zu bieten.
Gibt es so etwas wie eine Schweizer Netlabel-Szene oder sind Ländergrenzen im Internet bedeutungslos?
Die Schweiz ist da vermutlich ein Sonderfall, weil die Netlabel hier sehr lokalbezogen sind. Es gibt etwa zehn Netlabel und die Leute, die dort veröffentlichen, kommen fast alle aus der Schweiz. Ausländische Labels sind da viel offener. Wenn die Künstler in das Konzept des Labels reinpassen, dann ist es zweitrangig, ob sie aus Italien oder Kanada kommen.
Ist die Schweizer Szene lokalpatriotischer?
Wahrscheinlich liegt das einfach daran, dass sich die Leute privat kennen.
Netlabel sind immer noch ein Nischenphänomen. Wo siehst du sie in zehn Jahren?
Im Moment beobachte ich, dass einige Netlabel hybrid werden, also sowohl im Netz veröffentlichen als auch herkömmlich über Platten und CDs. Ähnliches sehe ich bei kleineren herkömmlichen Labels in Zürich, die mittlerweile begonnen haben, ihre Musik auch als Mp3 in Netz zu stellen. Ich glaube, dass sich das in Zukunft stärker in beide Richtungen öffnen wird.
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32 /
2006
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