Berlin

Verkauft Köpenick!

Der Schriftsteller Wladimir Kaminer will Berlins nächster Bürgermeister werden. Denn er hat einige radikale Ideen, wie man die Hauptstadt sanieren kann.

Fragen von Christian Bangel

Herr Kaminer, Sie leben in Berlin und wollen jetzt in die Politik gehen.

Ja, ich will Berliner Bürgermeister werden. Ich will die Politik aufwirbeln und die Bürger auf den Boden der Tatsachen holen. Die meisten Leute glauben heute noch, Kapitalismus habe etwas mit sozialer Gerechtigkeit zu tun. Obwohl der Kern des Kapitalismus die Spekulation ist. Die jungen Leute ahnen das. Die Meisten aber denken in Kategorien von vorgestern. Sie glauben, dass der Staat ihre Probleme mit der Wirtschaft lösen kann.

Was wollen Sie dagegen unternehmen?

Den Feind mit eigenen Waffen schlagen. Die Tricks, die in der kapitalistischen Wirtschaft genutzt werden, kann sich auch ein Staat zu Eigen machen.

Auch die Pleitestadt Berlin?

Ich schlage vor, die Stadt in die Insolvenz zu führen und danach ein neues Berlin zu gründen. Eine Aktiengesellschaft, die New Berlin AG. Alle Bewohner sind Aktionäre. Mich selbst sehe ich als eine Art Vorstandsvorsitzenden. Ich habe viel Erfahrung mit Berlin und das notwendige Insiderwissen.

Womit sollen Berlins Gläubiger bezahlt werden?

Wir werden einige Bezirke verkaufen müssen. Mir als Bürgermeister wäre es lieb, wenn wir diejenigen abstoßen, die bei der letzten Wahl die NPD gewählt haben. Köpenick, Lichtenberg und so weiter. Wir bieten diese Bezirke ausländischen Investoren mit viel Geld und ehrgeizigen Projekten an. Und wenn sie in ein paar Jahren die Nase voll von unseren rechtsradikalen Mitmenschen haben, kaufen wir sie ihnen wieder ab. Natürlich zu einem ganz anderen Preis.

Zu einem höheren Preis…

Im Gegenteil. Die merken nach einigen Jahren, dass mit Köpenick nichts zu machen ist. Dort kann man nicht mal eine Dackelfarm aufbauen, ohne dass die platt gemacht wird. Sie werden uns diese Bezirke für zehn Euro pro Stück wiedergeben.

Meinen Sie, man wird Lichtenberg überhaupt los?

Natürlich. Berlin im Portfolio ist schwer angesagt. Ich habe noch weitere Ideen, wie wir Berlin reich machen. Allein in meiner Straße wohnen Dutzende freischaffende Internetdesigner. Wie wäre es, mit vereinten Kräften ein virtuelles Berlin zu gründen? Ein Online-Touristenzentrum mit allem, was diese Stadt ausmacht: Sehenswürdigkeiten, Clubs, Konzerte. Man wird Berlin besuchen können, ohne Geld für Sprit auszugeben oder auch nur seine Wohnung zu verlassen. Das gibt es in keiner Stadt der Welt! Und ökologisch durchdacht ist es auch, weil hier keine Reisebusse mehr herumfahren.

Man wird viele Webcams brauchen, um die Stadt im Netz abzubilden. Sollen die etwa auch in den Wohnungen installiert werden?

Nur bei Leuten, die damit Geld verdienen wollen. Die bekommen eine virtuelle Identität und bieten den Besuchern etwas an, ob sie nun Zeitung lesen oder über die Berliner Mauer erzählen.

Berlin wird also ein riesiges Myspace?

Eher ein Videospiel. Nur, dass es kein Spiel, sondern echt ist… Obwohl, das alles muss gar nicht real existent sein. Wir können alles nachstellen. Streich das, wir brauchen keine Webcams. Wichtig ist: Dieses Spiel wird das Gesicht unserer New Berlin AG.

Mit Ihnen wird niemand koalieren wollen. Sie brauchen bei der nächsten Wahl 2011 also die absolute Mehrheit.

Auf dem gewöhnlichen Weg schaffe ich das wahrscheinlich nicht. Es ist keine Direktwahl vorgesehen, man muss eine Liste gründen und dafür Unterschriften sammeln.
Ich denke eher an eine alternative Bürgermeisterschaft. Wer braucht schon das Rote Rathaus, dieses ganze Winke-Winke? Vielleicht meine Frau, die könnte dann ihre Abendkleider ausführen. Mich mit meinen ehrgeizigen Plänen aber bringt das etablierte System nicht weiter.

Sie wollen also nicht konventioneller Bürgermeister werden?

Natürlich erwäge ich auch das. Eine Beraterin prüft gerade, welche Formalia erfüllt werden müssen für eine Kandidatur. Vielleicht mache ich beides.
Entscheidend ist aber weder das Rathaus noch mein Schlips, sondern: (überlegt) Die Menschen dazu zu bringen, nicht irgendeinem Rathaus die Macht über sich selbst zu geben. Sondern selbst Macht auszuüben.

Eine Art direkter Demokratie?

Genau. Wichtig ist, dass die Initiative von unten kommt. Dass kein Chef aus einer Laune heraus befiehlt, plötzlich Wollsocken zu produzieren. Sie, die Aktionäre Berlins, müssen eigene Ideen entwickeln.

Was ist mit denen, die nicht mitmachen wollen?

(überlegt) Gute Frage. (überlegt weiter) Nichts, was soll mit denen schon sein? Schau: Die ganzen Staatsformen, Nationalstaat, Ideologiestaat, all das gehört der Vergangenheit an. Die Zukunft gehört Gemeinschaften, die sich nach Interessen finden. Ich sehe zwar keinen Grund, warum jemand keine K-Aktie haben sollte, aber wer will, kann ja auch eine eigene AG gründen. So dass die Bürger am Ende zwischen verschiedenen AGs wählen können.

Nach wie vor entscheidet nach ihrem Modell das Berliner Abgeordnetenhaus, wo Straßen gebaut werden und die Polizei patrouilliert…

All diese Entscheidungen müssen wirtschaftlich Sinn machen und die New Berlin AG weiterbringen.

Was, wenn es der Senat plötzlich für wirtschaftlich hält, drei Atomkraftwerke in Berlin zu errichten?

Das würde ich nicht gutheißen. Ich glaube an nachhaltige Ressourcennutzung. Wir wollten in der “Russendisko” im Kaffee Burger ein System aufbauen, das aus den Tanzbewegungen unserer Gäste Strom produziert. So hätte man wilde Parties feiern und gleichzeitig Gutes tun können.
Alle Betätigungen müssen menschlich und gleichzeitig ökonomisch sinnvoll sein. In Deutschland kann jemand als Topmanager brutal sanieren und gleichzeitig ein guter Kerl sein, weil er für Arbeitslose spendet. Ich verstehe das nicht. Sein Auftrag ist es, mit seiner Tätigkeit menschlich zu sein und Gewinn zu machen.
Pass auf: Wenn die Sache mit der AG läuft, können siebzig Prozent der Leute nichts tun und trotzdem ernährt werden.

Auch schön:

I'm not a punk, I'm Nina Hagen - Das Interview

Was ist Neukölln? - Erkundungen im Neuland

Drüber reden? - Dieser Artikel wird hier im Forum diskutiert

Nach Hause - Zuender. Das Netzmagazin

32 / 2006
ZEIT online